Die Nullen stehen

Die Hertha, die war: Sechs Thesen zum mauen Erfolg des Bundesligisten in der Hinrunde. Der Brasilianer Marcelinho kann, die anderen sollen wollen

von FRANK KETTERER
und MARKUS VÖLKER

1. Weil Marcelinho den klassischen Spielgestalter gibt, macht sich das Team viel zu abhängig von seiner Form. Marcelinho ist der Hertha-Spieler der Hinrunde. Trifft er, punktet Hertha. Wirbelt Marcelinho, muss sich der Rest keine Sorgen machen. Wirklich? Er muss: Denn die Art und Weise, wie der 27-Jährige das Spiel an sich reißt, kommt fast schon einer Entmündigung der Restelf gleich. Allzuoft wird nicht nur der Ball, sondern auch die Verantwortung zum Mann mit der Zehn geschoben. Allerdings gibt es keinen, der mit ihm die Last der Spielgestaltung teilen könnte. Beinlich, sowieso nicht für den Posten prädestiniert, leidet unter periodischen Verletzungen. Das war’s dann auch schon an Zauberfüßen im Mittelfeld.

2. Hertha leidet an einer Sturmkrise. Ein Weltmeister sollte es im Angriff richten, der Brasilianer Luizão, ein magisches Dreieck mit seinen Landsleuten Alex Alves und Marcelinho entstehen. Doch Luizão brachte es bislang nur zu einem einzigen Treffer, im Uefa-Pokal gegen Apoel Nikosia. Ihm fehle die Fitness, um seine Leistung abzurufen, vertröstete der Verein, die Ausrede wird noch immer strapaziert, jetzt, da er Monate Zeit hatte, um den Ferienspeck abzutrainieren.

3. Der Mannschaft fehlt es an Konstanz. Immer wenn Hertha könnte, kann sie’s dann doch nicht – sich in der Tabellenspitze festsetzen. Statistisch gesehen hat das damit zu tun, dass Marcelinho und Kollegen noch nie mehr als zwei Spiele am Stück gewinnen konnten. Psychologisch gesehen könnte es an der Angst vor der eigenen Courage liegen. Oder, wie der Manager unlängst feststellen musste: am absoluten Willen. Hoeneß: „Wir müssen gewinnen wollen. Wir müssen vorne stehen wollen.“ Nur: Hertha kann offenbar nicht!

4. Die Baustelle Olympiastadion macht den Heimvorteil zunichte. Heimelig kann man die als Stadion getarnte Großbaustelle Olympiastadion wirklich nicht nennen – und das drückt nicht nur auf die Heimstimmung, sondern auch auf den gleichnamigen Vorteil. In Punkten liest sich das so: Nur drei Siege hat Hertha in der eigenen Schüssel eingefahren, dazu drei Unentscheiden sowie zwei Niederlagen. Macht: zwölf Punkte – und damit nur einen weniger als in der Fremde.

5. Weil Trainer Huub Stevens das Zu-null-Spiel favorisiert, spielt Hertha gehemmt. Schon auf Schalke war das ja so: Die Null muss stehen, der Rest ergibt sich dann von selbst. Zwar hatte Hertha vor dem gestrigen Spiel in Kaiserslautern mit 17 Gegentreffern in der Tat die viertbeste Abwehr der Liga, doch wird dieser Vorteil leicht zunichte gemacht durch den drittschlechtesten Sturm. Denn anders als bei seinem alten Verein Schalke 04 hat Stevens in Berlin weder einen Ebbe Sand noch einen Emile Mpenza. Und weil auch im Mittelfeld bis auf Marcelinho Herausragendes fehlt, steht bei Hertha oft nicht nur eine Null in der Landschaft herum.

6. Hertha mangelt es am hochklassigen Personal, um vorn zu stehen. Was übrigens leicht zu begründen ist, man muss da nur einen Blick auf den Etat werfen: Hertha steht da hinter Bayern, Dortmund, Leverkusen und Schalke. Allerdings auch vor Teams wie Bremen und Stuttgart.