„Sie wissen nichts vom Rassismus, der in ihnen steckt“

Thomas Usleber hat ein biografisches Buch über den ganz gewöhnlichen Rassismus in Deutschland geschrieben. Einige Anmerkungen

Ja, ich werde als „Ausländer“ wahrgenommen. Ich treffe auf Menschen, die es für notwendig halten, mit mir wie in Kindersprache, im so genannten Ausländerdeutsch zu sprechen: „Was du wolle?“ Soll ich dies als ein Entgegenkommen auffassen?

Aufgewachsen als Deutscher mit einer deutschen Mutter und innerhalb der deutschen Kultur, bin ich „inwendig“ nichts anderes als deutsch. Äußerlich allerdings werde ich nicht sofort als „deutsch“ angesehen, denn ich habe eine dunkle Hautfarbe.

Mein Vater, ein amerikanischer Soldat, hat nichts von seiner Kultur in mein Leben einfließen lassen. Er verließ Deutschland, als ich gerade mal ein Jahr alt war. In meiner Geburtsstadt wurde ich als „Schwarzer“ gesehen! Ein Schulkamerad zeichnete mich mit krausen Haaren, breiter Nase und wulstigen Lippen.

Unverhohlen rassistisch verhält sich nur ein geringer Teil der Bevölkerung. Die Schimpfwörter, die sie mir seit meiner Kindheit so beharrlich auf den braunen Körper schreiben wollten, die mal verschwinden, sich geringfügig verändern und dann doch wieder in der gleichen Gehässigkeit wie vor 30, 40 Jahren auftauchen, können mich kaum mehr verletzen, aber dann und wann reißen sie wieder die alten Narben auf.

Die meisten meinen es gar nicht böse. Schon deshalb nicht, weil sie nichts vom Rassismus wissen, der in ihnen steckt. Nur wer ganz genau hinhört, entdeckt in bestimmten Formulierungen auch eine Gesinnung. „Sie sind ja gar nicht so dunkel“, wird wohlwollend und nachdrücklich betont. Aha, also ist es besser, hell zu sein!

Die Hautfarbe wird wahrgenommen. Ihr Stellenwert ist unterschiedlich. Als ich in die Nähe von Frankfurt am Main zog, wo sehr viele Angehörige nichtdeutscher Kulturen lebten, wurde ich schlagartig nicht mehr als „amerikanisch“ oder „afroamerikanisch“ eingeordnet. Ich war nun Marokkaner, Inder, Palästinenser oder gar Südeuropäer. Steckte nicht eine Schublade voll von Vorurteilen dahinter, wären manche dieser Äußerungen sogar ganz amüsant: Es wird ein amerikanischer Akzent aus meiner Sprache herausgehört und mein Name wird als arabisch vermutet.

Es scheint, als ob Integration in Deutschland eine Aufgabe der Ausländer wäre, eine Aufgabe, die dann abgeschlossen ist, wenn dieser die deutsche Sprache und die deutsche Kultur anwenden kann. Ein Aspekt kommt dabei nicht zur Sprache: Welche Rolle spielt eigentlich das Aussehen?

Ich bin dieser Frage nachgegangen. Und habe ganz simple Feststellungen gemacht, wie sich jemand am Telefon mir gegenüber verhält und wie, wenn er mich dann persönlich sieht, Fragen stellt wie: „Wo kommen Sie denn her?“; worauf auf meine Antwort „Aus Deutschland“ oder „Aus Hessen“ sofort die Nachfrage folgt: „Und ursprünglich?“

Wären da nicht auch Menschen, für die meine Hautfarbe nebensächlich, ja unbedeutend ist, so könnte ich Deutschland kaum als meine Heimat begreifen. Denn was ist Heimat? Obwohl sie meistens mit einer Region, einer Stadt, mit Landschaften und Traditionen gleichgesetzt wird, gehören doch auch Gefühle und damit Menschen, Freundschaften und Familienbande zwingend dazu. So begleitet mich die Frage, ob ein Mensch fremd in seiner eigenen Heimat sein kann, durch mein gesamtes Leben.

Deutschland schafft sich mitunter seine Fremden. Und deshalb kann Integration nicht nur eine Aufgabe der Zuwanderer sein. Die Aufnahmegesellschaft hat ebenfalls einen Beitrag zu leisten. Er besteht mindestens darin, Wahrnehmungen und Vorurteile zu überprüfen. Er besteht aber auch darin, dem Wort „deutsch“ eine neue Bedeutung zu geben.

THOMAS USLEBER