Untergang im Milchsee

Polen verhandelte bis zuletzt über Milchquoten und Direktzahlungen. Die Reform der EU-Agrarpolitik wird nun schwieriger

aus Kopenhagen DANIELA WEINGÄRTNER

Die Korrespondentin der Wiener Zeitung saß mutterseelenallein an einem Tisch im großen Speisesaal und blickte in ihr Rotweinglas. „Ich war sieben, als meine Eltern mit mir raus sind aus Polen. Damals herrschte Kriegsrecht. Wir haben so lange auf diesen Tag gewartet. Und jetzt – jeder geht seiner Wege, als wäre nichts geschehen.“

Tatsächlich hatte EU-Ratspräsident Fogh Anders Rasmussen seine Drohung wahr gemacht: Sollten seine Gäste sich nicht bis 18.15 Uhr am Freitagabend einig geworden sein, würde der Galaempfang bei Königin Margarethe ausfallen. So ging am Ende jeder Gipfelteilnehmer noch rasch in das dafür vorgesehene Kabuff und informierte kurz die Journalisten des eigenen Landes über den glücklichen Ausgang der Verhandlungen. „Und jetzt“, sagte ein sichtlich müder und erleichterter Bundeskanzler Schröder, „jetzt fahr mer heim.“

Im April wird die dann amtierende griechische Präsidentschaft einen Sondergipfel veranstalten, wo die Beitrittsverträge abgezeichnet werden sollen. Vielleicht werden sich in Athen die Bilder einstellen, die nötig sind, damit ein solcher Augenblick als historisch im Gedächtnis haften bleibt. Ein Feuerwerk vor der Kulisse der Akropolis eignet sich besser für die Geschichtsbücher als ein triumphierender polnischer Ministerpräsident Leszek Miller, der mit großem Gefolge durch die Gänge des Pressezentrums stürmt, um dann doch nur einen Durchbruch in der Milchquotenfrage zu verkünden.

Milchquoten dienen in der gemeinsamen Marktordnung dazu, Überproduktion zu verhindern. Sie wurden in der Zeit erfunden, als das Prämiensystem dazu geführt hatte, dass in der EU Milchseen und Butterberge entstanden. Mit der ursprünglich von der Kommission vorgeschlagenen Quote von 8 Millionen Tonnen pro Jahr hatte Polen sich nicht begnügen wollen. Deshalb war darüber auf dem Gipfel lange gefeilscht worden, bis Polen am Ende 500.000 Tonnen mehr herausgehandelt hatte.

Auch die Direktzahlungen, die die Bauern bekommen sollen, waren bis zum letzten Moment umstritten. Diese Einkommenshilfen zahlt die EU nach einem Schlüssel, der Anbaufläche und Viehbestand berücksichtigt. Agrarkommissar Fischler will das System reformieren und künftig andere Kriterien einführen, zum Beispiel umweltschonende Anbaumethoden. Doch nun haben die Verhandlungen mit den Kandidatenländern die alte Logik, nach der Masse viel EU-Geld einbringt, Qualität aber nicht berücksichtigt wird, weiter zementiert. Der geplante Ausstieg aus dem Quoten- und Prämienwahnsinn dürfte wieder in weite Ferne gerückt sein. Denn die Neuen werden sich die gerade hart erkämpften Privilegien kaum in einer Agrarreform wieder abhandeln lassen.

Die EU-Kommission hatte im Januar vorgeschlagen, dass die neuen Länder zunächst mit 25 Prozent des in der EU geltenden Satzes in die Direktbeihilfen einsteigen. Bis zum Jahr 2013 hätten volle 100 Prozent erreicht werden sollen – vorausgesetzt, das System besteht dann überhaupt noch. Die dänische Präsidentschaft hatte in ihrem Kompromissvorschlag angeboten, dass die Neuen diesen Satz aus eigenen Haushaltsmitteln und aus dem Fördertopf für ländliche Entwicklung aufstocken dürfen. Damit erhöht sich die Einstiegsquote von 25 auf 45 Prozent des EU-Niveaus, der volle Satz wird in kürzerer Frist erreicht.

Vor allem Polen hatte auf diese Änderung gedrängt, weil die Bauern fürchten, auf dem neuen gemeinsamen Markt sonst nicht konkurrenzfähig zu sein. Die Bauernpartei, von der die Regierung Miller abhängig ist, hatte das Thema zu einem zentralen Punkt für den Beitritt hochstilisiert. Den polnischen Unterhändlern war deshalb klar, dass das Referendum nur eine Chance haben wird, wenn sie mit einem deutlich besseren Angebot nach Hause fahren können.

Für die Umwelt also war der historische Tag ein eher dunkler Tag. Die Österreicher mussten nach Hause fahren, ohne für das umstrittene Atomkraftwerk Temelín rechtsverwertbare Sicherheitsgarantien zu erhalten. Und auch die Frage, wie künftig der Transit schwerer Lkws durch den Alpenraum umweltverträglich geregelt werden soll, blieb offen. Als der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel seinen deutschen Kollegen Schröder daran erinnerte, dass der in Sachen Ökopunkte bei ihm im Wort stehe, wurde er barsch auf den nächsten Fachministerrat im Januar verwiesen. Kleinkrämerische Umweltsorgen sind schließlich in historischen Momenten völlig fehl am Platz.