moderne sklaven
: „Im Sozialbereich ist es eben schwierig, Geld zu verdienen“

Die Psychologiepraktikantin

„Wir spannen den Beckenboden an, indem wir die Pobacken ganz fest zusammenziehen.“ Esra Prinz spricht mit klarer, ruhiger Stimme zu den drei etwas fülligeren Frauen mittleren Alters, die mit geschlossenen Augen vor ihr liegen und mühevoll ihren Anweisungen folgen. Vogelgezwitscher und Panflötentöne klingen aus dem kleinen CD-Spieler in der Entspannungstherapie im Treffpunkt Tempelhof, einer psychiatrischen Tagesstätte des Deutschen Roten Kreuz. Seit fünf Monaten arbeitet Esra Prinz in dem offenen Treff für Menschen, die psychologische Beratung suchen oder bereits einen längeren Psychiatrie-Aufenthalt hinter sich haben.

Das halbjährige Praktikum ist Pflichtprogramm für die Potsdamer Psychologiestudentin. Die 29-Jährige ist ausgebildete Altenpflegerin und steht kurz vor ihrem Diplom. Trotzdem ist sie bereit, noch einmal für sechs Monate unbezahlt zu arbeiten. „Im Sozialbereich ist es eben schwierig, Geld zu verdienen.“

Diese Hoffnung hat Prinz längst aufgegeben und sich einen Zweitjob in einer Kleiderkammer beim Roten Kreuz in Steglitz gesucht. Nach ihrem Pensum in Tempelhof verdient sie sich dort auf 320-Euro-Basis etwas zu ihrem Bafögsatz hinzu, um sich das Praktikum zu finanzieren. Auch dann sei es noch knapp mit dem Geld.

Wenigstens fühlt sich Esra Prinz wohl im Team der Tagesstätte. Fünf Festangestellte und drei Praktikantinnen arbeiten im Treffpunkt Tempelhof. Ein Arbeitsverhältnis, das auf billige Arbeitskräfte setzt. Aufgewertet werde das Praktikum aber durch die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und eigene Angebote zu schaffen. Wie die Entspannungstherapie, die Prinz vorgeschlagen hat und nun jede Woche leitet. „Wichtig ist, dass man als Praktikant nicht das Gefühl hat, fünftes Rad am Wagen zu sein.“

Als sie im Rahmen ihres Studiums ein dreimonatiges Praktikum im Altenheim absolvierte, war das anders. „Ausbeute“ sei das gewesen. Als „Mädchen für alles“ habe sie in erster Linie der Einsparungspolitik der Einrichtung gedient. Die Hierarchie, die sie damals spürte, nimmt sie jetzt nicht wahr. Eine herzliche Atmosphäre, so beschreibt Prinz die Stimmung in der Tagesstätte.

Jeden Morgen ist sie um halb neun zur Stelle, um das Frühstück für die acht festen Tagesstättenbesucher vorzubereiten. Momentan arbeiten die Mitarbeiter daran, eine bessere Kommunikation unter den Besuchern herzustellen und animieren sie in spielerischen Gesprächsrunden dazu, sich gegenseitig vorzustellen. Offenheit und das Sprechen über Gedanken und Gefühle soll Alltag werden. „Das hört sich alles so toll moralisch an“, meint Prinz. Aber für ihre therapeutische Zukunft mache sie wichtige Erfahrungen. Die Entspannungstherapie sei ihre wöchentliche Herausforderung: „Man wird immer wieder geprüft, wie sich die eigene Verfassung auswirkt. Wenn ich unruhig bin, merken das die Teilnehmer sofort.“ Praktikum als Selbsttherapie. Das zeigt sich auch in der Herkunft ihres Namens. Esra ist Persisch und bedeutet „die Unruhige“. „Jetzt zähle ich von 6 bis 1 rückwärts, dann fühlen wir uns entspannt und frisch“, verkündet Esra Prinz und klatscht zum Ende der Entspannungstherapie laut in die Hände.

Eine der Teilnehmerinnen gähnt. Fast wäre sie eingeschlafen, berichtet sie zufrieden im anschließenden Gespräch. Eine andere sagt, sie sei zu nervös gewesen, um sich zu entspannen. Wahrscheinlich weil sie ihre Tablette vergessen habe. Auch habe sie „die ganze Zeit so einen Hunger gehabt“. Prinz lächelt und nickt nachsichtig. „Bis nächste Woche.“ SEBASTIAN HEINZEL

Ob beim Deutschen Roten Kreuz, in der taz oder im Bundestag, Praktika gibt’s überall, Geld fast nie. Doch ohne die Schnupperkurse ist eine Bewerbung chancenlos. Das bedeutet oftmals eine 40-Stunden-Woche, einziger Lohn ist die Hoffnung auf die Zukunft. Die taz stellt in dieser Woche einige der neuen Billigarbeiter vor.