Sprung aus dem Schatten

Bisher war Michael Uhrmann nur schmückendes Beiwerk der deutschen Skispringerherrlichkeit. In dieser Saison aber ist er zum Vorflieger mutiert. Auch deshalb, weil er einfach „sein Zeug“ macht

aus Titisee-Neustadt KATHRIN ZEILMANN

Wen sollte man denn nun bedauern? Den Veranstalter, als er erfahren hat, dass Martin Schmitt beim Weltcup-Skispringen in Titisee-Neustadt nicht springen wird und Sven Hannawald außer Form ist? Oder doch besser den Fernsehsender RTL, der seine Übertragungen von der Schanze für gewöhnlich stark auf Schmitt und Hannawald ausrichtet und nun damit konfrontiert wurde, dass ein gewisser Michael Uhrmann zu Anfang der Weltcuphatz der einzige deutsche Skispringer ist, der mit den Besten der Welt mithalten kann?

Am Ende dieses ereignisreichen Wochenendes im Schwarzwald waren diese Fragen fast schon wieder zur Nebensache geworden, die Dinge haben sich auf ebenso glückliche wie wundersame Weise eingerenkt: So setzte der noch verletzte Martin Schmitt zum Entzücken der weiblichen Fans ein paar Trainingssprünge zu Tal, malte hernach ein paar Autogramme und beurteilte schließlich für RTL die Weitenjagd der Kollegen und Konkurrenten. Und selbst Sven Hannawald ist am Sonntag endlich wieder gut gesprungen, Vierter war er da, was sich allemal sehen lassen kann. Immerhin hatte der neuerdings blond gesträhnte Liebling der Massen beim Weltcup-Auftakt im finnischen Kuusamo vor zweieinhalb Wochen noch eine böse Bauchlandung hingelegt, gleich zweimal hatte er da das Finale verpasst. Selbst am Samstag in Titisee-Neustadt sah es nur unwesentlich besser aus, mit Platz 17 konnte und wollte er nicht zufrieden sein. Ein paar Weihnachtsplätzchen, die ihm eine Fangruppe in die Hand gedrückt hatte, hielt er zwischen den Fingern, als er zu erklären versuchte, dass „das Gefühl“, das ihn normalerweise zum Schweben bringt, momentan nur manchmal da sei. Und manchmal eben nicht.

Am Sonntag war es plötzlich da. Den vierten Platz verdankte er aber vor allem den wechselhaften Bedingungen. Doch das spielte keine Rolle mehr, als er euphorisch seinen Sprung auf 132,5 Meter bejubelte und feststellte: „Ich bin so froh, das ist ein richtig gutes Ergebnis.“ Denn im ersten Durchgang war ihm mit einem 120-Meter-Sprung nicht gerade eine Glanzleistung gelungen, dass er doch im vorderen Feld platziert war, lag an den wechselnden Windbedingungen, die die meisten Favoriten zu früh auf den Boden zurückkehren ließ.

Auch für Michael Uhrmann reichte es nur für den 13. Platz, was seine schlechteste Platzierung im diesjährigen Weltcup ergab. Aber der Bayer mit dem breiten Grinsen nahm diesen Umstand relativ gelassen hin. „Wenn mir das im vergangenen Jahr gelungen wäre, wäre ich heilfroh gewesen“, bemerkte er nur. Im Vorwinter war er zwar mit dem Team Olympiasieger geworden, doch mit der Qualifikation für Salt Lake City hatte er sich im Vorfeld schwer getan, meist gelang es ihm in den Weltcups nicht, zwei konstant gute Sprünge zu zeigen. In dieser Saison ist das anders. Uhrmann war Sechster, Fünfter, Dritter und Zweiter bei den Wettbewerben in Skandinavien – und beim ersten Springen in Titisee-Neustadt am Samstag Fünfter. „Endlich funktioniert’s “, bemerkte Uhrmann kurz und knapp. Er habe sich in den vergangenen Jahren immer viel zu sehr auf die Ergebnisse, die er erreichen wollte, konzentriert, jetzt halte er sich an das Hannawald’sche Motto, „sein Zeug“ zu machen. Uhrmann sagt: „Ich konzentriere mich eben jetzt auf die wichtigen Dinge, nämlich auf das, was ich an der Schanze zu tun habe.“

Das kann er getrost und in aller Ruhe tun, denn die Augen der Öffentlichkeit nehmen die Fortschritte zwar mit freundlicher Aufmerksamkeit zu Kenntnis, das wahre Interesse fokussiert sich aber nach wie vor auf Schmitt und Hannawald. Uhrmann genießt das mehr, als dass es ihn stört. „Ich konnte schon ein wenig aus dem Schatten heraustreten. Es ist schön, dass man endlich auch wahrgenommen wird. Und dass ich den Rummel wie Sven und Martin nicht habe, damit kann ich leben“, sagt er.

Dass er jetzt überhaupt zur Weltspitze gehört, ist zu einem großen Teil auch der Geduld von Bundestrainer Reinhard Heß zu verdanken. Michael Uhrmann, 24 Jahre alt, war 1995 und 1996 gleich dreimal Juniorenweltmeister, er galt als großes Nachwuchstalent. Doch dann, im A-Kader, konnte der junge Springer nicht Fuß fassen, der Druck, den Erwartungen gerecht zu werden, schien zu groß. Er stürzte, verletzte sich, hatte plötzlich Angst vor dem Springen. Und er dachte ans Aufhören. Doch Heß schrieb ihm Briefe und drückte ihm sein Vertrauen aus. Über den Perspektivkader von Trainer Andreas Bauer hat Uhrmann sich schließlich wieder in den A-Kader gekämpft. Dort hat er in der Vergangenheit oft gehadert, war mit seinen Leistungen häufig nicht zufrieden. Aber pünktlich, wenn es darum ging, mit der Mannschaft einen Titel zu gewinnen, war Michael Uhrmann zur Stelle, als Lohn hat er nun eine WM- und eine Olympia-Goldmedaille zu Hause. Und seit zwei Wochen sogar ein wenig Aufmerksamkeit.

Also: Nein, niemand ist zu bedauern. Das Wochenende von Titisee-Neustadt hat Michael Uhrmanns Zugehörigkeit zur Weltspitze bestätigt und Sven Hannawald zurück in diesen Kreis gebracht. Es war wirklich ein gutes Wochenende.