die jazzkolumne: Mit Jason Moran erlebt der Jazz seine Wiedergeburt aus dem Geist des amerikanischen Mittelstandes
Ein Mythos wird zum Download freigegeben
Wenn Jason Moran sagt, er sei nicht retro und nicht Avantgarde, signalisiert das zunächst einmal, dass er keinen Streit will. Beim Berliner JazzFest war der 27-Jährige die Entdeckung, die New York Times machte eine Riesenstory über ihn. Bandwagon heißt sein Trio mit Tarus Mateen, Bass, und Nasheet Waits, Schlagzeug, das in New York für großes Aufsehen sorgte. Jason Moran spielt Klavier. Seine vierte CD unter eigenem Namen, ein Solo-Album mit dem Titel „Modernistic“, ist gerade erschienen, ab 3. Januar geben Moran und Bandwagon insgesamt 14 Konzerte zwischen Hamburg, Berlin und Wien.
Der englische Sozialhistoriker Eric Hobsbawm postuliert zwar seit über vierzig Jahren, dass die Zukunft des Jazz bei den Jugendlichen aus den schwarzen Elendsbezirken der USA liege, doch viel mehr als seine Beobachtung, dass der Ghetto-Blaster das Saxofon nicht ersetzen konnte, kam da nicht mehr nach. Morans Mentor Greg Osby wagt nun sogar die These, dass genau in der behüteten Kindheit des Jason Moran vermutlich der Schlüssel für seine Ideen, Unabhängigkeit und Offenheit liege. Moran kommt aus der so genannten Upper Black Middle Class, er wuchs in Houston als Sohn eines Investment-Bankers auf, spielte als Kind Tennis und Golf, und ging mit 18 nach New York, um an der Manhattan School of Music zu studieren. Zu seinen Lehrern gehörten Andrew Hill und Jaki Byard – beide haben in der Geschichte des Jazzpianos eine wichtige Rolle gehabt.
Seit 1997 spielt Moran in den Bands von Greg Osby, der auch sein drittes Album „Black Stars“ produzierte. Bei dieser Aufnahme war nun der Saxofonist Sam Rivers dabei, der in den Siebzigern die New Yorker Loft-Szene initiierte und entscheidend voranbrachte. Dass Moran mit den Erfindern des New Thing zusammenspielt und von ihnen lernt, bezeichnet er als wesentlichen Inhalt seines derzeitigen Lebensabschnitts. Er will damit auch praktische Kritik an der Auffassung üben, der Jazz stagniere seit 1968.
Moran hat keine Angst zu versagen. Seitdem das Musikbusiness den Jazz nahezu vollständig kontrolliere, sagt er, gehe es vorrangig um Image, Verkaufszahlen und Präsenz in der Öffentlichkeit. Klar, dass da viele Musiker ständig befürchten, ihren Plattenvertrag zu verlieren, weil sie den Anforderungen nicht gewachsen sind. Gut, Moran gibt auch zu, dass er kein Geldproblem habe, sollten sich die Dinge für ihn doch anders entwickeln, als in diesen Tagen angezeigt.
Jaki Byard war 71 Jahre alt und ohne Plattenvertrag, als Moran sein Schüler wurde. Sein großer Rat war, alles auszuprobieren und zu nutzen, was verfügbar ist. Bei Byard ging es um verschiedene Anschlagskulturen auf dem Klavier, doch für Moran hieß das auch, sich tonnenweise MP3-Files aus dem Internet runterzuladen, um zu wissen, was läuft. Jazzmusiker wie er verdienen mit CDs kein Geld, sagt Moran, also habe er auch nicht das Gefühl, beklaut zu werden, wenn man seine Musik von www.jasonmoran.com herunterlädt. Eine Plattenfirma sollte so innovativ wie die Künstler sein – nicht der Download sei der Ruin, sondern allein der Mangel an Vision.
Als die portablen Minidisc-Recorder in den USA noch nicht auf dem Markt waren, ließ sich Moran einen aus Japan mitbringen. Seitdem nimmt er jedes Konzert auf MD auf. Die Greg-Osby-CD „Banned In New York“ entstand auf diese Weise, als simple Dokumentation eines New Yorker Club-Gigs.
In seinen aktuellen Bandwagon-Konzerten gibt es ein Stück, für das Moran ein Telefongespräch einer Frau mit ihrer Mutter in türkischer Sprache mitgeschnitten und mit Hilfe einer speziellen Software transkribiert hat.
Moran wohnt in einer Achtraumwohnung in Harlem und bringt zu seinen New-York-Gigs, wie Anfang des Monats im Village Vanguard, gelegentlich auch ein eigenes Möbelstück mit: einen roten Designer-Stuhl von Susanne Fossgreen. Als Intro zum Konzert kommt dann ein Sample aus dem Off: Béla Bartók, Delta Blues, Elijah Muhammad und vom Rapper Cormega, das eine Wort dreimal wiederholt, „Bandwagon, Bandwagon, Bandwagon“.
CHRISTIAN BROECKING
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