Kopf-an-Kopf-Rennen in Südkorea

Heute wird in Südkorea ein neuer Präsident gewählt. Regierungskandidat Roh Moo-Hyun ist beliebt unter jungen Leuten und Arbeitern. Lee Hoi-Chang ist dagegen ein Hardliner gegenüber Nordkorea und steht für einen liberalen Wirtschaftskurs

aus Seoul ANDRÉ KUNZ

Altrosa, grasgrün und hellblau waren die Wohnblöcke mal gestrichen. Die Farben sind verblichen und nur die großen schwarzen Nummern fallen von weitem auf. 314, 315 und 316 sind die Samsung-Blöcke zur Rechten beschriftet und links stehen die Hyundai-Blöcke 1095, 1096 und 1097. Sie stehen wie Klötze um den Bahnhofsplatz von Changdong. Durch Verkaufsstände mit Handschuhen und Kindersocken, gedünsteten Süßkartoffeln und Kimchi-Nudeln ist ein Rednerpult zu sehen. Darauf streckt Roh Moo-Hyun vor fast tausend Arbeitern und Hausfrauen seine Arme in den Himmel und verspricht, die Korruption in der Regierungspartei zu bekämpfen. Nie solle ein Politiker Mitglied seiner Regierung sein, der bereits unter Verdacht der Bestechlichkeit gestanden hat. In den vordersten Reihen rufen die Leute Hurra. Eine alte Handschuhverkäuferin im Hintergrund schüttelt ungläubig den Kopf und knurrt: „Das haben schon viele Präsidenten versprochen und doch nie gehalten.“

Die Szene aus einem Arbeiterquartier im Nordosten der Hauptstadt Seoul ist typisch für den diesjährigen Wahlkampf in Südkorea. Viele WählerInnen wissen auch am letzten Tag vor der Wahl noch nicht, wem sie ihre Stimme geben werden. Obwohl insgesamt fünf Kandidaten antreten, wird das Rennen zwischen zwei Männern entschieden. Der 56-jährige Menschenrechtsanwalt Roh Moo-Hyun von der regierenden Demokratischen Millenniumspartei führt gemäß den jüngsten Umfragen noch mit einem kleinen Vorsprung von knapp zwei Prozent. Lee Hoi-Chang, 67, sein Gegner von der oppositionellen Großen Nationalpartei, holte allerdings in den letzten Tagen dramatisch auf. Deshalb enthält sich derzeit in Seoul jeder Politikkommentator einer Voraussage. „Der Sieger wird eine hauchdünne Mehrheit von vielleicht 500.000 der insgesamt 35 Millionen Stimmen erringen“, schätzt die größte Tageszeitung Dong-Ah Ilbo.

Sicher ist, dass der Anwalt Roh in den Arbeiterquartieren von Changdong eine klare Mehrheit erhalten wird. Roh gilt als der Kandidat der Jungen und der Arbeiter, während der frühere Oberrichter Lee Hoi-Chang zum politischen Establishment Südkoreas gezählt wird und als Vertreter der über 40-jährigen Mittel- und Oberschicht gilt.

Oberrichter Lee besuchte zwar auch solche Gegenden, doch am letzten Wahlkampftag zog er in den Finanzdistrikt und feine Einkaufsgegenden Seouls. Dort erklärte er Aktienhändlern und gut betuchten Konsumenten, wie er die südkoreanische Wirtschaft weiter reformieren und damit das Land definitiv in den Reihen der Top-Ten-Industrieländer etablieren wolle.

Erstaunlich ist, dass beide Kandidaten Nordkorea und die antiamerikanischen Demonstrationen erst gegen Ende ihrer Auftritte erwähnten, so, als ob es Pflicht wäre, die unbequemen Themen nicht zu vergessen. Dabei unterscheiden sich Roh und Lee gerade in ihrer Haltung gegenüber Nordkorea. Während Roh die von Präsident Kim Dae Jung begonnene Entspannungspolitik weiterführen will, spricht sich Lee für eine harte Linie gegenüber Pjöngjang aus und will dem Land erst wieder Hilfe gewähren, wenn es sich an internationale Verträge hält und sein Atomprogramm bedingungslos stoppt. Eine Haltung, die Lee gerade in den vergangenen Tagen viele Symphatien einbrachte.

Roh dagegen profitierte von den antiamerikanischen Demonstrationen, die er geschickt nutzte und der Bevölkerung versprach, künftig mit mehr Selbstbewusstsein gegenüber den USA aufzutreten und für eine neue Gesetzgebung über die Stationierung von 37.000 amerikanischen Soldaten in Südkorea zu kämpfen. Die Proteste waren ausgebrochen, nachdem zwei amerikanische Soldaten, die in einem Verkehrsunfall zwei koreanische Schulmädchen getötet hatten, freigesprochen worden waren. Für Unmut sorgte die Tatsache, dass die Soldaten nicht vor einem südkoreanischen Gericht erscheinen mussten.

Die Demonstrationen sind nun abgeflaut und die Sorge über die nächsten Schritte Nordkoreas beherrschen die Titelseiten der Tageszeitungen wieder. Ob die Furcht vor dem unberechenbaren Norden allerdings so weit um sich greift, dass der Hardliner Lee das Rennen gewinnt, wird das Wahlergebnis zeigen.