FPÖ-Machtkampf blockiert neue Koalition

Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) verhandelt weiter nach allen Seiten

WIEN taz ■ Eine Tiroler Trachtenkapelle zeigte gestern vor dem Parlament, dass konservative Werte wieder voll im Trend sind. Die durch die Wahlen vom 24. November zur stärksten Fraktion aufgewertete ÖVP bewies dann auch drinnen, wer Herr im Haus ist. So wurde bei der konstituierenden Sitzung des neuen Nationalrats nicht über eine dringliche Anfrage der Grünen, ob und welche Abfangjäger gekauft werden sollen, debattiert. Die ÖVP setzte stattdessen Österreichs Lieblingsthemen in Brüssel durch und ließ die 183 frisch vereidigten Abgeordneten über Transitverkehr und Kernkraft in Tschechien diskutieren.

Die Debatte leitete erstmals Andreas Khol (ÖVP), der den Posten des ersten Parlamentspräsidenten übernahm. Dritter Präsident wurde FPÖ-Wirtschaftssprecher Thomas Prinzhorn, der sich am Donnerstag in der Fraktionssitzung gegen den von Parteichef Herbert Haupt vorgeschlagenen Herbert Scheibner durchgesetzt hatte.

In der FPÖ tobt noch immer ein Machtkampf, der die Partei unberechenbar macht – und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel trotz weitgehender inhaltlicher Übereinstimmungen bislang davon abbrachte, sich auf eine Fortsetzung der Koalition festzulegen. Die Freiheitlichen sind die Einzigen, die sich als Partner andienen und schon Verhandlungsgruppen für Sachthemen gebildet haben. In den Knackpunkten Steuerreform und Europaskepsis, die zum Platzen der Regierung im September geführt hatten, signalisieren sie nun Kompromissbereitschaft.

Doch Schüssel, dem enormes Verhandlungsgeschick bescheinigt wird, hält sich so lange wie möglich alle Optionen offen. Damit verärgert er SPÖ und Grüne, die erst verhandeln wollen, nachdem die Haider-Truppe einen Korb bekommen hat. Die bisherigen Gesprächsrunden, so Insider, seien Schüssel-Monologe gewesen. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer will eine große Koalition, die mit über drei Viertel der Sitze eine bequeme Verfassungsmehrheit hätte, nur dann eingehen, wenn eine große Staatsreform angepeilt wird. Das Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Verhandlungsangebote ist gering. Die Sozialdemokraten haben nicht vergessen, wie Schüssel vor drei Jahren hinter ihrem Rücken mit Jörg Haider paktierte. Auch die Grünen warten vergeblich auf Signale, dass die ÖVP es ernst meint.

Erst nach dem traditionellen Dreikönigstreffen der ÖVP soll mehr Klarheit herrschen. Schüssel stellt eine neue Regierung für Ende Januar in Aussicht. Wer immer mit ihm regieren wird, es warten vor allem unangenehme Aufgaben. Eine Pensionsreformkommission fordert empfindliche Einschnitte ins System der Alterssicherung, und die am Freitag von den Wirtschaftsforschungsinstituten veröffentlichten Konjunkturprognosen lassen geringere Steuereinnahmen erwarten. RALF LEONHARD