Chaos mit System

Bambule: Über 4000 Menschen auf der Soli-Demo, 1500 Protestler nehmen in der Innenstadt am Anti-Schill-Shopping teil. 2500 Polizisten schmieden in der City zwei neue Hamburger Kessel

Von KAI VON APPEN

Die Bambule-Leute reagierten am Samstagmittag bei ihrer Demo trotzig auf das von der Polizei verhängte Demoverbot für die City: „Innenstadt, wir kommen!“, so hieß die Parole. Innensenator Ronald Schill hatte durch seine Direktiven im Vorfeld klar gemacht, dass er am Samstag vor Weihnachten zur Bestätigung seiner Politik das Chaos wolle. Und die Polizei richtete selbiges durch ihr Handeln auch an: Kurz vor Ende des Weihnachtstrubels ab 16 Uhr lief in den Kaufmeilen nichts mehr, da die Polizeiketten alles blockierten. Das Alsterhaus am Jungfernstieg musste wegen eines Polizeikessels sogar vorzeitig schließen. 254 Personen wurden in Gewahrsam genommen. 2500 Polizisten aus ganz Deutschland waren aufgeboten.

Dabei beginnt der Protest nach dem Protest am Ida Ehre-Platz unproblematisch: BambulistInnen sind getarnt mit Einkaufstüten in die City gesickert. und skandieren: „Schill muss weg.“ Viele PassantInnen empfinden die Parolen angesichts des Geräuschpegels aus den Buden-Lautsprechern kaum als Störung: „Oh, Bambule – und wir mitten drin.“ Doch dann will die Polizei Stärke zeigen, läßt planlos Polizeiketten in Kampfmontur aufziehen, um die Schillgegner in den Weihnachtsmarkt abzudrängen. Auf der Mönckebergstraße kommt alles zum Stillstand. Kaum ist die nächste Kette aufgezogen, postiert sich Protest im Rücken: „Schill muss weg.“

Die Einsatzleiter sind sich selbst nicht einig, raunzen sich untereinander an. „Das ist doch alles ohne System“ , brüllt einer. In der Tat: Erst wird der Eingang zu Karstadt durch Behelmte blockiert, damit die nächste Einheit Minuten später die Sperre wieder aufhebt, sich umdreht und so niemanden mehr aus dem Kaufhaus lässt. Wenn Einkaufsbummler den Anweisungen der genervten Polizisten nicht gleich Folge leisten, werden sie rüde weggestoßen. „Sie Rüpel“, empört sich eine ältere Dame, die geboxte Enkelin schimpft: „Warum sind sie so aggressiv?“

Um 16.50 Uhr teilt die Polizei über Lautsprecher ohne jegliche Vorwarnung und Rechtsgrundlage mit, „dass die hier Versammelten in Gewahrsam genommen sind“. Wahllos kesselt die Polizei mehrere hundert Menschen ein, Bekannte werden beim Shoppen getrennt.

Obwohl Busse mit der Aufschrift „Feuer und Flamme für Olympia 2012“ zum Abtransport parat stehen, werden nur zwei Dutzend Festgenommene zu ihnen geführt. Denn alle abzutransportieren würde Stunden dauern, der Weinachtsmarkt könnte für den Rest des Tages schließen. „Das ist doch alles Schwachsinn, was wir hier machen,“ schnauzt ein Einsatzführer ins Handy. Wenig später wird der Kessel aufgelöst, den Personen freier Abzug gewährt.

Zuvor hatten knapp 4000 Menschen an der Bambule-Demonstration von der Sternschanze aus durch St. Pauli teilgenommen. Den Protest hatte der Ex-Bürgerschaftsabgeordnete des Regenbogen, Norbert Hackbusch, unter dem Motto angemeldet: „Für das Recht auf freie Meinungsäußerung“. PDS-Landessprecher Yavuz Fersoglu hatte die von ihm angemeldete Demo zuvor kurzfristig abgesagt, nachdem die Gerichte den Marsch von der Mönckeberg- in die Steinstraße verlegt hatten. Dagegen war Fersoglu noch nachts vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Obwohl die Innenbehörde das rechtliche Prozedere durch Schikanen mehrfach verzögert hatte, deuteten die Verfassungsrichter informell an, die Route in der Eile nicht kippen zu wollen.

Während sich vor Karstadt nach der Auflösung des ersten Kessels die Situation wieder normalisiert hat, beharrt der bayrische Einsatzleiter vor dem Alsterhaus, vor dem gerade das Weihnachtsfeuerwerk mit Musik auf der Binnenalster starten soll, auf den Abtransport aller Eingekesselten. Reihen von Wasserwerfern, Mannschaftswagen und Panzer bilden die Kulisse am Alsteranleger. Und als vom Wasser her „Last Christmas“ ertönt, lassen 30 Mannschaftswagen am Ballindamm protzig noch mal ihre Martinshörer erklingen. Kaum ist das Geballer vorbei, ist wieder zu hören: „Bambule – Lasst die Leute frei.“ Denn im zweiten Kessel stehen noch Personen und rufen: „Hilfe – Wir frieren!“ Erst als die Feuerwerksböller verglüht sind, werden die Eingekesselten in Handfesseln abtransportiert.