Mansardenträume

Wer es sich leisten kann, findet leicht eine Wohnung in Berlin. Auf Besichtigungstour durch helle Dachgeschosswohnungen für Besserverdienende: Ein Erfahrungsbericht

„Was machen Sie denn so beruflich?“, fragt die Stimme. Jetzt bloß nicht „Student“ sagen

Die sprunghaften Launen einer Stimme: gleichmäßig tief, plötzlich ironisch glucksend und wie irre verhaspelt, wenn es ans Erklären geht. Man kann sich nie sicher sein bei so einer Stimme. Sie gehört einem scheinbar freundlichen, älteren Herrn, der eine Wohnung am Südstern los werden will. Seine Anzeige in der Berliner Morgenpost lautet: „Superlage, top DG, keine Terr., EBK, gr. Eßplatz, hell, ruhig + Provision, 116 m; 1140 w inkl.“

Das sind die Fakten. Es ist nicht leicht, am Telefon mehr über die Wohnung herauszubekommen. Die Stimme sagt nämlich andauernd Sätze wie: „Glauben Sie mir, dass ist eine ganz angesagte Ecke hier in Berlin“ – und bevor ich nach einem Besichtigungstermin fragen kann, richtet sie in nun viel deutlicherem Tonfall Fragen an mich: „Was machen Sie denn so beruflich?“ Bloß nicht „Student“ sagen, da wäre die Sache gleich gelaufen. „Freier Journalist“ würde mir wohl auch kaum Pluspunkte eintragen. Also „Journalist“.

„Das trifft sich gut. In der Wohnung hat bis jetzt auch ein Journalist gewohnt. Und gleich daneben wohnt die Chefin mit den Monitoren auf dem Flugplatz.“ Das habe ich nicht verstanden. „Nun, die ganzen Bildschirme am Flughafen …“ sagt er und verhaspelt sich. „Eine Überwachungsfirma“, sage ich, um Aufklärung bemüht. „Nein!“, ruft der Herr, entrüstet. Und beginnt den zweiten Erklärungsversuch viel versprechend mit „Fluglotserei“, endet aber wieder in Gebrummel. Meine Nachbarin wäre also Chefin. Der ältere Herr baut einen geschickten Übergang zu seiner nächsten Frage. „Sagen Sie, für welche Zeitung schreiben Sie eigentlich?“ Ich sage, dieses Ausfragen am Telefon, da würde ich mir die Wohnung lieber gleich mal ansehen. „Jetzt haben Sie aber einen Fehler gemacht, denn ich hätte eine Wohnung, die noch gar nicht inseriert ist, die kennt noch keiner außer Ihnen jetzt, 200 Euro billiger, mit drei Sälen, drei lichtdurchfluteten Sälen, die ich Ihnen nämlich auch anbieten könnte.“ Das klingt ja interessant, meine ich. Aber ich sei eher an Dachgeschosswohnungen interessiert. „Warum denn das?“ Mir fällt nichts ein, außer dass ich schon als Kind in einer Dachgeschosswohnung gewohnt habe und mich an das Prasseln des Regens auf den Fensterscheiben gewöhnt habe. Mir fällt einfach nichts Besseres ein. Der ältere Herr sagt, ich solle am Montag wieder anrufen und mir zur Vorbereitung das Ganze mal im Internet angucken, Immobilienscout, die Suchmaschine für Wohnungsuchende in ganz Deutschland. Er könne dann gleich an Ort und Stelle sagen, ob die Wohnung „meine“ sei. Bei Immobilienscout gebe ich Berlin ein, dann die Straße, Umkreis ein Kilometer: das Profil mehrerer Wohnungen erscheint. Die Wohnung am Südstern ist mit Foto. Weitwinkel, glänzendes Parkett, Riesenfenster, gemütliche Mansardenhaftigkeit. Aber man kann sich nie sicher sein.

Wir stehen im fünften Stock eines Hauses an der Schillerpromenade, Neukölln. Wir, das sind ein flüsterndes Pärchen und ich. Wir warten auf die Frau von der Hausverwaltung. Wir warten eine halbe Stunde. Der Mann ruft per Handy die Hausverwaltung an. Es stellt sich heraus, dass die Frau unten gewartet hat, während wir schon oben gewartet haben. Aber sie kommt gleich noch mal, sagt sie. Wir warten noch eine viertel Stunde. Nebenan in der Wohnung hören wir, wie das Licht im Bad angeknipst wird und wie ein Mann sagt, dass jemand bei ihm gestern 30 Euro Schulden gemacht habe, zusammen mache das jetzt 960 Euro. So viel kostet nicht mal eine Monatsmiete der uns interessierenden Wohnung, obwohl sie in Neukölln an diesem Wochenende eindeutig zu den Besseren gehört. Die Anzeige in der Berliner Morgenpost: „698 w. inkl., 87 m2, DG, gefl. Wannenbad, EBK, Teppichboden, Terrasse, Sonntagsbesichtigung-Sonntagsruf.“

Der Mann sagt zu seiner Freundin: „Jetzt keinen Stress.“ Dann kommt die Frau von der Hausverwaltung endlich. Sichtlich abgekämpft stellt sie sich als „Mitarbeiterin vom Außendienst“ vor. Meine Frage, wie heiß es denn hier im Sommer unterm Dachstuhl werden könne, solle ich besser an die Hausverwaltung richten, sagt sie. Die wüssten das. Das Pärchen verschwindet gleich im Schlafzimmer. Die Außendienstlerin steht im Pelz zwischen den Türrahmen und dreht den Schlüssel um den Finger. Sie trägt eine Goldkette und fährt einen kleinen Mitsubishi, falls das jemanden interessiert. Die Räume sind weit, die Terrasse ist gigantisch. Fünf Minuten lang gehen wir verstreut durch die Wohnung, streichen über Simse und öffnen den Schrank im Schlafzimmer, als würden wir dort etwas suchen. Dann muss die Außendienstmitarbeiterin dringend zur nächsten Besichtigung.

MATTHIAS ECHTERHAGEN