Café Online vor dem Off

„Wo sollen wir denn sonst hin?“: Jugendliche in St. Pauli sammeln Unterschriften, um ihren Internet-Treffpunkt vor der Schließung zu bewahren. Der Bezirk Mitte hat der Einrichtung sämtliche Gelder gestrichen: Im März 2003 soll sie schließen

von ARIANE DANDORFER

„Das soll offen bleiben. Das wollen alle hier“, sagt Ugur (16), der mindestens zweimal die Woche ins Café Online kommt. Dem Internetcafé für Jugendliche am Neuen Pferdemarkt sollen im Rahmen der Einsparungen bei der Jugendsozialarbeit auf St. Pauli sämtliche Mittel gestrichen werden. Als die Jugendlichen von den beiden SozialpädagogInnen erfuhren, dass im März kommenden Jahres ihr geliebter Treffpunkt schließen soll, waren sie empört. „Wir haben sofort eine Besprechung gemacht und beschlossen, Unterschriften für den Weiterbetrieb zu sammeln“, erklärt Fotini (16). Sie ist sehr zuversichtlich, dass sich die Politiker von genügend Unterschriften beeindrucken lassen und dem Café Online noch eine Chance geben. 500 UnterzeichnerInnen haben die Jugendlichen bereits.

„Wo sollen wir denn sonst hin?“, fragt Sinan (15), der wie die meisten anderen Jugendlichen nicht nur kommt, um zu taschengeldfreundlichen Gebühren den Internetzugang zu nutzen. Hier könne man sich unterhalten oder Karten spielen und „muss auch nicht verhungern“: Im Caféraum können die Jugendlichen Kleinigkeiten wie Toasts oder Cola erstehen. Im Computerraum, in dem einige BesucherInnen surfen oder chatten, herrscht konzentrierte Stille, doch im Caféraum geht es lebhaft zu. Sinan, Fotini, Ugur und andere Kids haben es sich auf Sesseln bequem gemacht, im Hintergrund läuft Musik. „Sogar die Musik ist gut hier“, findet Sumit (14). Er wohnt erst seit kurzem auf St. Pauli und freut sich, gleich nette Leute und einen Treffpunkt gefunden zu haben.

An fünf Tagen die Woche ist das Café nachmittags geöffnet. Die Identifikation der Jugendlichen mit der Einrichtung gehört zum Konzept, wie Ria Reimers, die seit drei Jahren als Sozialpä- dagogin hier arbeitet, erklärt. Für die Einhaltung der Regeln sollen sich die jungen BesucherInnen selbst verantwortlich fühlen. Natürlich werde immer mal gegen eine der Regeln verstoßen, gerade im Bereich „frauenfeindliche oder rassistische Sprüche“. Reimers und ihr Kollege organisieren dann eine Diskussion mit den Jugendlichen und sehen sich beispielsweise gemeinsam mit ihnen einen Film über das Dritte Reich an.

Für Alltagssorgen der Kids haben die SozialarbeiterInnen immer ein offenes Ohr, bieten aber auch Hilfe beim Schreiben von Bewerbungen an, was häufig in Anspruch genommen wird. Fotinis Erfahrung damit: „Wenn man nicht genau weiß, wie man einen Lebenslauf schreibt, dann erklären die das richtig gut.“ Wenn die Jugendlichen das Internet für Hausaufgaben oder zur Stellensuche nutzen, müssen sie nicht bezahlen. Das Angebot gilt auch für die Erwachsenen aus dem Stadtteil.

Sollte das Café Online dichtmachen, kann sich Jan (19) zwar vorstellen, auf kommerzielle Internetcafés auszuweichen, auch wenn er die Atmosphäre dort nicht besonders schätzt. Insbesondere das ständige „Daddeln“, die Ballerspiele, gehen ihm in den kommerziellen Cafés auf die Nerven. Für die Jüngeren kommt das als Alternative aus Geldmangel nicht in Frage. Evangelos (15), der praktisch jeden Nachmittag im Café ist, weiß überhaupt nicht, wie es nach der Schließung weitergehen soll. Er wäre dann „einfach nur sehr traurig“.

Aus dem Stadtteil erfahren die Jugendlichen viel Zuspruch für ihre Unterschriftensammlung. Das ermuntert sie, weiterzumachen – und die Hoffnung nicht aufzugeben.