„Am Anfang ist der Baum“

Afrikanisches Grenaille-Ebenholz kann wunderbare Töne machen. Aber das dauert. Klarinetten zu bauen braucht Zeit. Der Familienbetrieb „Richard Müller“ ist die einzige Bremer Holzblasinstrumenten-Werkstatt, die selbst Klarinetten baut. Erst ein einziger Kundenwunsch war nicht umzusetzen

Freundliche, konzentrierte Ruhe umfängt die Besucher der Werkstatt „Richard Müller“: Seit 83 Jahren bauen und reparieren Instrumentebauer in den Souterrain-Räumen in der Brokstraße Nummer 60 Klarinetten, Querflöten, Saxophone und Oboen. Seit 1919 scheint sich nicht all zu viel verändert zu haben: Die Feilen, Zangen und Bohrer, die auf den beiden Arbeitsplätzen am Fenster und an den Wänden rechts und links in den Regalen griffbereit liegen, sehen aus als seien sie schon durch viele Hände gegangen.

Eine Klarinette zu bauen braucht vor allem eins: Zeit. Das fängt schon mit dem Holz an. Altgeselle Norbert Schmanke erzählt: „Am Anfang ist der Baum.“ Das afrikanische Grenaille-Ebenholz müsse lange lagern, „mindestens sieben bis acht Jahre“. Das Holz könne aber auch mal zwanzig Jahre liegen, sagt Schmanke.

Irgendwann ist es dann soweit: Der ursprüngliche Vierkant bekommt seine Bohrung, wird auf einen bestimmten Durchmesser gedrechselt, gebeizt und schließlich in Öl gelegt. Wieder muss Zeit vergehen, mindestens drei Tage, problemlos aber auch zwei Wochen. Erst danach kommt die echte Feinarbeit: die Klanglöcher, die Mechanik, die Klappenpolsterung und schließlich das „Ausstimmen“.

In dem scheinbaren Chaos auf der Arbeitsplatte in der Werkstatt stehen zwei Kaffetassen: von Madeleine Müller, der Gesellin, und vom alten Hasen Schmanke. Als die Nachwuchsinstrumentenbauerin kurz den Raum verlässt, entdeckt der einen Fehler in ihrer aktuellen Arbeit. „Das gibt Ärger“, sagt er lachend, in seinen freundlichen Augen ein schelmisches Blitzen. Ärger mit dem Chef wird die knapp 30-Jährige nicht bekommen, denn die Chefin ist sie selbst, die Urenkelin des Firmengründers. Bisher ist sie eine der wenigen Frauen in einer Noch-Männerdomäne. Sie baut gerade eine neue Klarinette.

Viel mehr als zehn Instrumente pro Jahr entstehen in dieser Werkstatt nicht. In der gleichen Zeit produzieren Fabriken bis zu 20.000 Instrumente. Die meisten der Arbeiten hier sind Reparaturen, zur Ferienzeit besonders, „wenn die Leute gerade sowieso nicht spielen“. Dann kann sogar dem gelassenen Schmanke seine Arbeit langweilig werden: „Manchmal repariert man zwei Monate lang nur Klappen, die nicht mehr richtig schließen.“

Madeleine Müller ist gerade mit den „Aufsetzarbeiten“ an der Klarinette beschäftigt. Das bedeutet, kleine silberne Kugeln in den ebenholzschwarzen Korpus zu schrauben, in diese Kugeln winzige „Federlöcher“ mit weniger als einem Millimeter Durchmesser zu bohren und schließlich die silbernen Klappen anzubringen. Wenn nötig, können die hier sogar einzeln geschmiedet werden.

Der Klarinette in spe ihre Mechanik zu verpassen, dauert zwischen zwei und vier Wochen, je nach Routine. „Wenn man erst mal so seine 20 bis 30 Klarinetten gebaut hat, bekommt man Erfahrung“, weiß Schmanke. Denn die muss man sich hart erarbeiten. Gesellin Madeleine sagt: „Die alten Herren, und ich glaube so einer war mein Großvater auch, die haben ihre Geheimnisse nicht verraten.“ Schmanke kommentiert: „Alle wollten die Besten sein.“ Das würde aber allmählich besser.

Voraussetzungen für diese Arbeit? – „Geduld und handwerkliches Geschick“, sagt die Juniorchefin. Alles andere, selbst die ruhige Hand, könne man erlernen, ergänzt ihr erfahrenerer Kollege. Die Instrumente spielen zu können sei nicht nötig. „aber die Arbeit bringt es mit sich“, sagt Schmanke.

Und dann ist da noch die Kundschaft: Klar, alle Profi-MusikerInnen spielen handgebaute Instrumente. Außerdem kommen „fortgeschrittene Schüler und natürlich Liebhaber“ in die Werkstatt im Viertel, sagt Schmanke. Müllers Kundschaft ist über ganz Deutschland verteilt, denn wer einmal einen guten Instrumentenbauer kenne, bleibe ihm treu.

Sogar in die USA und nach Australien hat der Familienbetrieb schon Klarinetten verkauft. Werbung macht die Firma keine. „Das läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Eine gesteigert Nachfrage kann aber auch andere Gründe haben: „Als der Film ‚Jenseits der Stille‘ im Kino lief, kamen wochenlang Leute zu uns, die alle gebrauchte Klarinetten kaufen wollten“, erinnert sich Schmanke. „Wenn wir die Werkstatt mit Instrumenten voll gehabt hätten, wir wären sie alle losgeworden.“

Erst ein einziges Mal ist der Altgeselle an einem Kundenwunsch gescheitert: „Der wollte gerne eine Klarinette mit einem Querflötenmundstück gebaut bekommen. Das haben wir nicht geschafft.“

Ulrike Bendrat