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: Kalter Kaffee und schöne Zeitlöcher: Warum es kein großer Spaß ist, Heiligabend auf ein Popkonzert zu gehen

Auch die Weihnachtsdepression will gelernt sein, alle Jahre wieder

Mit Weihnachten verhält es sich wie mit der Zeitung von gestern. Kaum ein paar Stunden vorbei, ist das Fest schon wieder kalter Kaffee. Viele Leute realisieren das nur ungern, haben sie sich doch sechs Wochen lang mit nichts anderem beschäftigt als dem Heiligen Abend und den beiden Tagen danach, und sie behalten deshalb ihre Weihnachtsbäume bis in den späten Januar in ihren Wohnzimmern (die dann wiederum mitunter bis Mitte März auf den Straßen herumliegen).

Trotzdem wollen wir uns an dieser Stelle noch einmal mit einem beliebten Heiligabend-Ritual auseinander setzen, dem Weihnachtspopkonzert. Dieses fand in den letzten Jahren ab einer bestimmten Größenordnung und für eine (allerdings nur scheinbar) bestimmte Szene immer in der Volksbühne statt. Die einen meinen, so ein Konzert mitzuerleben wäre geradezu einer der Höhepunkte des Jahres. Die Straßen leer, eine wahnsinnige Ruhe, und ab halb elf, elf treffen sich alle Freunde, Freundinnen und guten Bekannten zu einer herrlichen Show mit anschließendem Besäufnis. Andere wiederum, dazu gehöre ich, halten von diesen Konzerten überhaupt nichts. Dazu bedurfte es natürlich einiger schlechter Erfahrungen. Zum einen ein Weihnachtskonzert Ende der Achtziger, damals im Ecstasy in der Hauptstraße. Das Damen traten auf, seinerzeit eine der angesagten Gitarrenbands vom amerikanischen SST-Label, keine schlechte Sache also. Trotzdem kam man sich irgendwie verloren vor: Der studentische Freundeskreis befand sich nahezu geschlossen bei den Eltern, und auch das langhaarige, coole Ecstasy-Publikum, das man nie an der FU traf, war verschwunden. Stattdessen nur Leute, die man noch nie gesehen hatte und die irgendwie nicht in den Laden passten.

Dasselbe Bild bot sich ein paar Jahre später in der Volksbühne bei The Fall. Große Band, großes Haus, da sollte doch eigentlich nichts schief gehen. Doch auch hier war plötzlich ein Publikum anwesend, das weder zu The Fall passen wollte noch als typische Nachtrock-Klientel der Volksbühne durchging. Natürlich machten The Fall Mitte der Neunziger keine Musik für junge Leute mehr, aber auch die alten und treuen Fans der Band schienen lieber bei der Familie in der Provinz Weihnachten feiern zu wollen.

Gekommen waren wieder solche Leute, die eher selten auf Konzerte gehen, denen das Ausgehen aber trotzdem während langer Jahre in Fleisch und Blut übergegangen ist. Weder schmuddelige Boheme noch coole Säue, sondern irgendwo dazwischen, was in der Regel wenig Gutes verheißt. Viele bewusst Verlorene, Eigenwillige, solche, die sich etwas darauf einbilden, Weihnachten und das ganze Drumherum blöd zu finden, und das auch gerne zu Protokoll geben.

Insofern hätte es mit Funny van Dannen am vergangenen Dienstag noch mal doppelte Probleme gegeben: Ein wahrscheinlich schwieriges Publikum („Funny van Dunnen? Nie gehört!“) und dann ein Musiker, der in jedem Fall sympathisch, aber auch nicht jedermanns Sache ist. Die Kombination Funny-van-Dannen-Lieder und Heiligabend wäre sicher auf eine schwerwiegende Depression hinausgelaufen.

So passt es natürlich gut, dass die ganze Chose vorbei und heute schon wieder der 27. ist. Darüber hinaus ist die Zeit nach Weihnachten und bis Silvester die allerschönste des Jahres. Ein tolles Zeitloch. Man befindet sich nicht mehr im alten Jahr, der Höhepunkt in Form des Weihnachtsfestes ist vorbei, und noch nicht im neuen, und man hat das Gefühl in großen Räumen zu verschwinden und alle Zeit der Welt zu haben. Was man in diesen Tagen nicht alles machen, schaffen und anpacken kann! Wie egal es doch ist, was an Silvester ist! Wie schön es aber auch wieder ist, sich die ganze Zeit über Silvester zu unterhalten! Die richtig fette Depression, gegen die ein Funny-van-Dannen-Konzert am Heiligabend gar nichts ist, die kommt dann erst im neuen Jahr, so am 2. oder 3. Januar, wenn doch tatsächlich alles wieder von vorn losgeht.

FRANCIS BERGMANN