Rohstoff auf Sendung

Wenn bei der heute startenden 3Sat-Reihe „Filmreif?“ Drehbücher vorgelesen werden, ist das keine neue Sparmaßnahme, sondern der gewagte Sprung einer kultigen Veranstaltung ins Fernsehen

Es ist eine Vorstellung von der Vorstellung eines nicht verfilmten Drehbuchs„Die Leute hatten am Anfang Angst, dass wir ihre Bücher verhunzen“

von MARKUS MÜNCH

Wunschfilme gab es schon mal im deutschen Fernsehen: Vor 15 Jahren konnte man im Sommerloch beim ZDF den „Wunschfilm der Woche“ bestimmen und bekam dann etwa das „Spukschloss im Spessart“ zur samstäglichen Hauptsendezeit präsentiert. Spannende Sache. Auch wenn es für das ZDF um nichts ging, lagen doch viele ihrer potenziellen Zuschauer ohnehin im Liegestuhl an der Adria – und die Ausstrahlungsrechte der alten Schinken waren sowieso längst abbezahlt.

Seitdem war ein Wunschprogramm im TV eher selten – bis Sat.1 in diesem Jahr damit begann, Serienpiloten zu präsentieren, die nur bei positiver Zuschauerrückmeldung auch weiter produziert werden sollten. Der kleine Bruder des ZDF, der Kabelsender 3Sat, wagt nun „zwischen den Jahren“ wieder das Experiment: Kein Pilot, kein Dreh, sondern nur die puren Drehbücher werden vorgestellt und das auch noch in einer gekürzten Fassung. Welches der drei Drehbücher vielleicht wirklich „filmreif“ ist, können die Zuschauer via Internet entscheiden.

Das Ganze klingt etwas skurril: Nicht produzierte, teilweise sogar abgelehnte Drehbücher werden im Fernsehen vorgelesen. Diese Idee könnte eigentlich einem berauschten Brainstorming sparwilliger Programmchefs entsprungen sein. Tatsächlich hat sie aber als Live-Veranstaltung schon eine beachtliche Erfolgsgeschichte vorzuweisen.

Im April 1999 wurde im „Alten Wartesaal“ in Köln das erste Mal ein Skript mit verteilten Rollen von Schauspielern vorgelesen. Mit nur einer Probe wurde über 90 Minuten Spielfilm- bzw. Lesezeit so gut agiert, wie es der unbekannte Text und die beschränkte, dasitzende Position auf der Bühne zuließen.

Die Idee hat Veranstalterin Heike-Melba Fendel aus den USA importiert, wo es offenbar noch mehr unverfilmte Drehbücher als unterbeschäftigte Schauspieler gibt: Dort lesen Schauspielstars im New Yorker „The Nuyorican Poets Cafe“ schon seit einigen Jahren Drehbücher vor, teilweise auch ihre eigenen. So hat etwa Steve Buscemis „Tres Lounges“ (gelesen von ihm selbst) überhaupt erst einen Produzenten gefunden.

„Zu der Zeit hat sich jeder in der Branche beklagt, dass es in Deutschland keine vernünftigen Drehbücher gibt“, erklärt Fendel. Mit ihrer Agentur Barbarella Entertainment startete sie als Gegeninitiative zur trüben Laune „Readings – Neues aus dem Giftschrank“. Dabei stellte sich schon der Titel der Reihe als erstes Hindernis dar, so Fendel: „Die Leute hatten am Anfang Angst, dass wir ihre Bücher verhunzen.“ Auch Schauspielagenturen zögerten, ihre Schützlinge zu einer Veranstaltung zu schicken, bei der durchgefallene Bücher gelesen werden sollten. Dabei ist längst nicht jedes „Readings“-Drehbuch ein „Verlierer“.

Fendel forscht bei Fachleuten nach deren Favoriten, heraus kommen oft Stoffe, die zwar alle gut finden, die aber schwierig im Programm zu platzieren sind. „Einige der Drehbücher haben auch noch gar keine Leidensgeschichte“, sagt Fendel. Sie kommen wie zum Beispiel „Mokaturc“ direkt von der Drehbuchakademie der „Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin“ (DFFB), wo sie gezielt für „Readings“ ausgewählt wurden. Mittlerweile gibt es keine Probleme mehr, an Drehbücher oder Schauspieler heranzukommen.

„Readings“ ist ein etablierter Treffpunkt und hat sich von Köln aus inzwischen auch nach Berlin, München und Hamburg ausgebreitet. Insgesamt 34 Drehbücher sind in diesen Lesungen vorgestellt worden, 13 davon haben dadurch einen Abnehmer gefunden.

Von den rund 200 Gästen, die sich zum Beispiel jeden ersten Montag im Monat im Berliner Tränenpalast einfinden, sind rund ein Drittel Fachpublikum, schätzt Heike-Melba Fendel. Die Produzenten, Lektoren, Caster und Redakteure suchen dabei nicht nur nach gutem Filmstoff, sondern schauen auch sonst genau hin. „Womit wir überhaupt nicht gerechnet hatten war, dass dadurch auch Schauspieler bekannter wurden“, erzählt Fendel. Der Leseauftritt sei eine besondere Art des Castings, da viel von der Persönlichkeit durchkomme. Schließlich hatten die Vorleser kaum Zeit, richtig in ihre Rolle zu schlüpfen. Highlights von „Readings“ sind dann auch Vorstellungen, bei denen etwas mehr passiert als nur das Lesen mit verteilten Rollen.

Wenn die Vorleser ihren Freiraum ausnutzen, um zum Beispiel ein bisschen mit den Kollegen zu flirten. Der durch Dominik Grafs „Die Freunde der Freunde“ zum Star gewordene Matthias Schweighöfer hat bei der Lesung zu „Landeinwärts Abhauen ist nicht“ die Gelegenheit genutzt und heftig mit der charmanten Vorlesepartnerin Christiane Paul geschäkert. Von den eifersüchtigen Reaktionen des Publikums zeugt heute noch das Internetforum (unter www.readings.de).

Leider wird dem 3Sat-Zuschauer das Vergnügen dieser kleinen „Romanze“ entgehen, denn aus den 90 Minuten Filmstoff ist eine 30-minütige Zusammenfassung geworden – oder ein „Making Of“, wie Fendel es nennt. Also die Vorstellung der Vorstellung eines nicht verfilmten Drehbuchs. Im Fernsehen. Das klingt jetzt nicht nur völlig abgedreht, es funktioniert leider auch nicht so gut wie die atmosphärischen Live-Lesungen.

Denn ein Drehbuch zu verstehen, braucht etwas Zeit, mehr als etwa ein für das Hören produziertes Radiohörspiel. Drehbuchautor Sven Severin beschrieb das bei der Lesung seines Films „Hedwige“ so: „Eine Totale im Film steht vielleicht zwei Sekunden. Sie zu beschreiben kostet aber 30 Sekunden.“ Das über 90 Minuten konsequent durchzuhalten, hat man bei 3Sat nicht riskieren wollen. Wohl auch, weil es vielleicht um brisanten Stoff geht; denn möglicherweise ist schon mal eines der Bücher im eigenen Hause abgelehnt worden.

Die Handlung wird in „Filmreif?“ einfach einige Male vorgespult. Was währenddessen passiert, erzählen die Akteure in knappen Worten. Der Zuschauer kommt kaum dazu, sich auf die unverkleideten und nur knapp agierenden Schauspieler einzulassen. Oft geht dadurch auch der Wechsel eines Schauspielers zwischen mehreren (Neben-)Rollen unter. Stattdessen gibt es hinterher noch Statements von allerlei Fachleuten. Die sind zumindest bei „Landeinwärts Abhauen ist nicht“ so voller Lob, dass man sich fragt, warum das Drehbuch überhaupt noch einen Publikumspreis braucht.

Auf der Homepage von 3Sat kann man heute schon sein Lieblingsdrehbuch wählen, was, so die Betreiber, die Chancen für dessen Verfilmung verbessere. Im Januar dann widmet sich das ZDF der Nachlese und präsentiert spätabends in seinem ehrgeizigen Theaterkanal die ungeschnittenen Langversionen der drei Veranstaltungen.

„Landeinwärts Abhauen ist nicht“ (27. 12., 3Sat, 19.20 Uhr); „Mokaturc“ (28. 12., 3Sat, 19.20 Uhr); „Nacht der Sieger“ (30. 12., 3Sat, 19.20 Uhr)