Steuermann, halt die Wacht

Die Schiffe auf der Elbe kommen und gehen. Wer wissen will, welche es sind, kann die Hamburger Schiffsbegrüßungsanlage besuchen und bei Kaffee und Kuchen allen Informationen lauschen

von BERND HANS MARTENS

Uniglory steht an der Bordwand des Containerschiffes. Ein dicker Pott, so lang wie das Fahrwasser hier breit ist und eckig wie ein Schuhkarton. Da sieht selbst der Kellner vom Schulauer Fährhaus hin. Nun dröhnt die britische Nationalhymne übers Wasser, abgespielt vom Willkommhöft an der Niederelbe. „Welcome to Hamburg!“, ruft die Lautsprecherstimme des Schiffsbegrüßungskapitäns.

Im Fährhaus sind noch Plätze frei. Zum Kaffee kriegt man sämtliche Nationalhymnen der Welt serviert. Man muss nur warten können. Weitere Informationen gibt es gratis vom Schiffsbegrüßungskapitän. Reiseroute, Ladung, Tonnage und Heimathafen. Nur dem Kellner reicht das nicht. „Der soll doch mal übers Bordleben erzählen!“, sagte er und zupft an der Tischdecke. „Es gibt ja überhaupt keine Matrosen mehr, nur noch Überseetransportbegleiter! Und auch der Kapitän auf einem modernen Containerschiff nennt sich nun Schiffsbetriebsleiter.“

Er rückt den Aschenbecher zurecht. Früher war er selbst auf große Fahrt gegangen, als Stewart. Zuerst in der Mannschaftsmesse, dann Offiziersmesse, zuletzt im Kapitänssalon. „Nirgendwo in der modernen Arbeitswelt gibt es noch so eine Dreiklassengesellschaft wie an Bord, wirklich schlimm!“ Der Kellner geht die Bestellung noch einmal durch, Tee für Lydia und Kaffee für mich, Obstkuchen für beide.

Uniglory, Globalline, Oceanwide heißen die Reedereien, als hätten sie die Welt bereits unter sich aufgeteilt. Die Containerschiffe ähneln sich, sehen alle gleich eckig aus. Zwischen Schiff und Ladung verschwindet immer mehr der Unterschied. Früher, also in Kindheitstagen, sagt Lydia, hießen die Schiffe Blumenau oder Lichtenfels. Als die schöne Tina Onassis auslief, schnieke und möwenschissweiß von drei Schleppern in den Strom gezogen, da war der Strand von Blankenese schwarz vor Menschen. Monrovia hieß damals ihr Heimathafen, und das klang noch nach tropischen Früchten, nicht nach Billigflagge. Wir winkten den Matrosen zu, und sie winkten zurück.

Unter den Klängen der dänischen Nationalhymne passiert die Baltic Express das Willkommhöft. „We wish you a good journey! Allzeit gute Fahrt!“ wünscht der Schiffsbegrüßungskapitän dem auslaufenden Dampfer. So heißt es nach altem Brauch für jedes seegehende Schiff. „Und der Mannschaft immer eine trockene Koje!“, sagt der Kellner. Vom Dampfer ist jetzt nur noch das Schraubenwasser unterm Heck zusehen. Zum Abschluss schallt Wagners „Fliegender Holländer“ über die Elbe: Steuermann, halt die Wacht. Jetzt sehe ich auch den Schiffsbegrüßungskapitän, im marinedunklen Troyer, aber ohne Schulterlitzen tritt er mal kurz aus dem Dienstraum. Erst wenn er den Namen am Bug eines Schiffes eindeutig ausmachen kann, erfolgt die Begrüßungs- oder Verabschiedungszeremonie. Die Schiffsbewegungen erfährt er von der zuständigen Meldestelle.

Es war schon eine schräge Idee, per Lautsprecher und automatisiertem Flaggendippen mit Seilzügen von einem vierzig Meter hohen Flaggenmast vorüberziehende Schiff zu begrüßen. Vor über fünfzig Jahren wurde sie an der Niederelbe kurz vor Hamburg aus der Taufe gehoben. Und es kam an. Von der Landseite kommen das ganze Jahr über Besucher, die „Pottkieker“, ins Schulauer Fährhaus, um sich das Spektakel anzusehen. „Doch zurückgegrüßt wird selten“, sagt der Kellner. „Nur ein italienischer Kapitän der Ostia-Line gibt Signal mit dem Dampferhorn.“ Vielleicht erinnert er sich an seine Heimat. Denn gleich hinter Schulau beginnt der Elbhang, ganz im neapolitanischen Stil hat ihn die Eiszeit hier ins norddeutsche Flachland geschoben.

Den schönsten Blick hat man vom Blankeneser Treppenviertel, sagt Lydia. Ganz oben wohnen die Großschiffahrts-Kapitänsfrauen, selten mit ihren Männern. Auch Röstkaffeehersteller oder Erfolgsautoren in Prosa haben sich dort angesiedelt. Aus ihren Fenstern schauen sie auf eine schon recht breite Elbe, ein kleines Meer bereits, oder tief hinein in die Hausgärten des Segelmachers, Chinawarenimporteurs und Erfolgsautors in Lyrik. Wenn die Schiffe der neuen Post-Panamax-Klasse vorüberziehen, mit 320 Metern Länge und hoch bis zur Brückennock mit Containern vollgepackt, dann stehen deren Häuser am Strandweg im Schatten. Minsch duk di, dor kummt een groten Damper!, heißt es dann. Nein! Das war früher, sagt Lydia. Vom Süllberg konnten wir dem Kochmaat auf dem Achterdeck, zwischen Heckhäuschen und Reservepropeller, beim Gemüseputzen zusehen. Oder dem Schiffsingenieur-Assi, wie er sich im Fahrtwind den Öldunst aus der Lunge pumpte. In Gedanken gingen wir mit auf große Fahrt, dann klang immer ein Echo vom anderen Ende der Welt mit. Vielleicht auch nur in der Erinnerung, sagt Lydia. Oder wir schauten einfach der Elbe zu, wie sie in die Nordsee floss. Oder gerade von dort zurückkam.

Mit dem einlaufenden Tanker aus Liberia kommt der Kellner an unseren Tisch zurück, um die Kuchenteller abzuräumen. Papadiamandis, steht am Bug. „Turbinentanker!“, sagt der Schiffsbegrüßungskapitän. „Bringt Rohöl aus Abu Dhabi. Zweieinhalb Wochen Seetörn ums Kap der Guten Hoffnung herum.“ Die liberianische Nationalhymne klingt recht flott. „Billigflagge!“, sagt der Kellner. „Die armen Kerle!“ Er meint die Mannschaft. „Sie kommen gar nicht von Bord, so schnell wird die Ladung gelöscht. Der Tanker bleibt seeklar. Welcome to Hamburg! Also kriegen die Matrosen Besuch: Fliegende Händler, Seemannsmission evangelisch-katholisch, Friseur, leichte Mädchen.“ Ich bestelle einen Kognak.

Der Kellner empfielt, auf einem Tanker nur soviel mit auf die Reise nehmen, wie bei einem Schiffbruch mitschwimmen kann! Er sieht dem in vielen Farben überpönten Rumpf der TS Papadiamandis hinterher. „Keiner kommt tiefer als bis auf den Grund“, sagt er. Und wir wissen nicht, ob er Tanker oder Mannschaft meint.

Ein Bananenjäger geht raus, mit hoher Fahrt, ganz in Weiß. Onkel-Tuca-Hut auf die Bordwand gemalt. Der Schiffsbegrüßungskapitän muß sich beeilen: Kühlschiff! Mit zweiundzwanzig Knoten Reisegeschwindigkeit auf dem Weg nach Honduras, sagt er. Dann folgen karibische Klänge und Abschlussfanfare. „Gute Fahrt!“, wünscht der Schiffsbegrüßungskapitän. Der Kognak wird serviert. „Liebe die See und bleib in der Schenke!“, sagt der Kellner.