Unmut in der Türkei über US-Pläne wächst

In Falle eines Irakkriegs will Washington bis zu 90.000 Soldaten in der Türkei stationieren. Ankara zögert

ISTANBUL taz ■ Die Türkei will ihre Unterstützung für den Irakfeldzug der USA auf ein Minimum reduzieren. Die türkische Staatsspitze versuchte über die Feiertage und gestern in eilig einberufenen Versammlungen, eine Antwort auf die US-Forderungen in Sachen Irak zu formulieren. Wie hinter den Kulissen zu hören war, setzte Washington Ankara eine Frist bis zum 1. Januar.

Nach US-Plänen sollen bis Ende Dezember die Inspektionen der türkischen Basen und Häfen beendet sein. Im Januar werden amerikanische Experten die nötigen Ausbesserungen vornehmen und ab Ende des Monats mit dem Transport von Material und Soldaten beginnen. Als finanzielle Entschädigung haben die USA Ankara bisher 5 Milliarden Dollar und weitere 20 Milliarden als rückzahlungspflichtigen Kredit angeboten – die Türkei erwartet in den nächsten fünf Jahren Verluste in dreistelliger Milliardenhöhe.

Die USA verlangen von der Türkei die Nutzung von fünf Luftwaffenstützpunkten: Incirlik, Diyarbakir, Malatya, Mus und Batman. Die kurdische Großstadt Diyarbakir soll zur Hauptbasis der „nördlichen Front gegen den Irak“ werden. Die Seehäfen Mersin, Iskenderun und Antalya sind für die Versorgung auf dem Seewege vorgesehen.

Auf den größten Widerstand stößt der amerikanische Plan, mindestens 80.000 bis 90.000 Soldaten in der Grenzregion zum Irak zu stationieren. Ein großer Teil dieser Soldaten soll für einen aktiven Einsatz über die Grenze, während die anderen für mindestens fünf Jahre in der Türkei stationiert bleiben sollen. Die Pläne wurden über die Weihnachtstage bekannt, als der türkische Premier Abdullah Gül die Opposition im Parlament über die US-Forderungen informierte.

Aus zuverlässigen Quellen verlautete, Washington drohe mit einer „Abkühlung der Beziehungen“, falls Ankara nicht einlenkt, weil die Öffnung der Nordfront die Irakoperation viel billiger mache. Außerdem könnten die USA ihr Kriegsmaterial und Personal auch über Deutschland und Zypern in den Nordirak transportieren, heißt es.

Das alles ruft in der Türkei Unmut hervor. Über 80 Prozent der Bevölkerung, vor allem die Basis der proislamischen Regierung, will keinen Krieg gegen ein anderes muslimisches Land. Während Intellektuelle und linke Splittergruppen vor Wochen nur einige tausend Menschen gegen den Krieg mobilisieren konnten, werden jetzt mit Hilfe der Gewerkschaften Massendemos organisiert. Die sozialdemokratische Opposition ist kategorisch gegen den Krieg.

Auch das Militär ist über eine Stationierung von US-Truppen nicht glücklich und will die Hilfe auf ein Minimum reduzieren. Die Armee will zwar, im Falle eines Angriffs, mit mindestens 30.000 Mann in den Nordirak, um zu verhindern, dass die Kurden die Ölstädte Kirkuk und Mossul unter ihre Kontrolle bringen. Aber ein längerfristiger Aufenthalt im Nordirak oder ein Mitmarschieren bis nach Bagdad sind nicht vorgesehen.

Gestern tagte der Nationale Sicherheitsrat. Erwartet wird immerhin die Öffnung der Luft- und Seehäfen, was de facto einen Kriegseintritt der Türkei bedeutet. Verkaufen will der Staat der Bevölkerung den Beschluss als „die Erlaubnis zum Transit“. Der Chef der Regierungspartei Tayyip Erdogan sprach gestern gar von einer Verschiebung der Entscheidung bis zu einem neuen UN-Beschluss Ende Januar. Bis dahin wollen die USA aber nicht warten. DILEK ZAPTCIOGLU