Grinsen statt Granteln

Das Wahrheit-Wahlporträt. Heute: Ähdmund Stoiber (CSU), Kanzlerkandidat

Wie Stoiber elegant um den Kanzler tänzelte, erinnerte an den jungen Muhammed Ali

Man tut dem Kanzlerkandidaten der Union, Dr. Edmund Stoiber, bitter Unrecht, wenn man ihn für einen Trottel hält, nur weil seine Rede manchmal äh-äh statt jaja und neinnein ist. Kleine Kunstpausen erhöhen die Spannung beim Publikum, und das eher unauffällige „äh“ lässt sich wesentlich besser einflechten als „Knödel“ oder „Oberammergau“, wenn man nicht weiter weiß. Außerdem hat das Äh-Sagen in Bayern eine große Tradition bei öffentlichen Auftritten. Der leider viel zu früh verstorbene vormalige Ministerpräsident des Freistaates, Franz Josef Strauß – Mentor, Ausbilder und Lebend-Devotionalie für den jungen Stoiber – begleitete seine Antworten in Interviews stets mit kleinen abfälligen Grunz- und Malmgeräuschen. Zum einen, um die völlige Überflüssigkeit und bodenlose Dummheit jeder Frage klarzustellen, zum anderen, weil er im Geiste gerade wieder einem Bolschewiken, Journalisten oder anderen Lumpen das Fleisch von den bis ins Mark verrotteten Knochen fieselte. Strauß war weder auf den Kopf noch aufs Maul gefallen, und Stoiber ist es auch nicht. Ältere Mitbürger vor allem aus dem Süden werden sich daran erinnern, wie er als Wadenbeißerl vom Dienst jeden coram publico verhackstückte, der es wagte, seinem Herrn und Meister FJS die Huldigung zu verweigern.

Mittlerweile ist Stoiber seinen Flegeljahren entwachsen, ist ruhiger geworden, weiser und weißhaariger. Seine schlimmste Waffe ist das Grrrinsen, nicht mehr das Grrranteln gegen die Hydra der Aufmüpfigkeit, die in Bayern nur einen Kopf hat, aber halt immer noch einen zu viel. Tatsächlich hat der nette, ältere, weißblaue Herr einen ziemlich äh-freien Auftritt hingelegt im letzten Fernsehduell, bei dem er sich sogar zu kabarettistischer Schlagfertigkeit („Die jetzige Regierung ist ein Schattenkabinett.“) aufschwang. Das Problem des Kandidaten liegt woanders, genauer gesagt in seinem Herkommen. Wann immer er gegenüber Parteifreunden zu einem seiner rhetorisch blitzsauberen und fachlich einwandfreien Höhenflüge ansetzen will, kommt er nicht weiter als bis zum dritten Wort. Dann fällt ihm ein: „Das hier ist die CSU! Das ist zu kompliziert! Edmund, das musst du einfacher sagen.“ In den Sekundenbruchteilen, die er mit dem kleinen Wörtchen „äh“ herausschlägt, findet er einen Weg, seine Perlen saumäßig umzuformulieren, bis er bald schon zu einem neuen Höhenflug ansetzt, dem er wieder durch ein „äh“ grausam und konsequent ein Ende bereitet. Seit 30 Jahren macht Stoiber das so, und er müsste schon so lange Kanzler bleiben wie Helmut Kohl, um diesen Defekt endgültig auszukurieren.

In der CSU ist man mit ihm auf den Geschmack gekommen und arbeitet daran, das Image der tumben Kamikaze-Seppls loszuwerden. Was für George W. Bush „compassionate conservatism“ ist, heißt in einer sich modernisierenden CSU an der Schwelle zum 21. Jahrhundert „sophisticated Spezltum“. Sollte Stoiber tatsächlich Bundeskanzler werden, steht sein Nachfolger in Bayern schon bereit. Günther Beckstein darf als Franke nicht Ministerpräsident werden – ein weitgehend unbekannter Passus der bayrischen Verfassung hat da vorgebaut – und wird deshalb Bundesinnenminister. Stoibers alter ego in der CSU und designierter Nachfolger heißt Alois Glück. Parteiintern auch „Edi 2.0“ genannt, hat er das Erfolgsmodell von Seriosität ohne Restalkohol verfeinert und ausgebaut. Ob er am Aschermittwoch den Haudrauf geben kann, muss er noch beweisen. Stoiber kann es, wenn auch nicht mehr mit der programmatischen Wucht eines Franz Josef Strauß. Für Passau reicht’s.

Reicht es auch für Berlin? Wie Stoiber im Wahlkampf nimmermüde, immer im Kompetänzelschritt um den Kanzler und seine Probleme herumflirrte, erinnerte ungemein an den jungen Muhammed Ali. Als eleganter Rechtsausleger vermied er Tiefschläge, und seine gefürchteten Kombinationen – Arbeitslose knuff! Körperschaftssteuer zack! Familienpolitik boing! – trafen häufig ins Schwarze oder besser: Rote. Auch das „äh“ brachte den Kompetenzmeister nicht ins Straucheln. Im Gegenteil – gilt es doch als Ausdruck von Integrität und Reife, wenn Männer öffentlich kleine Schwächen zeigen können. Viele seiner Fans hatten darauf gehofft, er würde eines Tages kokett zugeben, seine Frau Karin rufe ihn zu Hause „Schniedel“, aber billige Konzessionen an den Zeitgeist sind seine Sache nicht. Also bitte keine vorschnellen Urteile über Edmund Stoiber. Bis auf den schweren Charakterfehler, Bayern-München-Fan zu sein, ist er ein richtig dufter Typ: spritzig, originell, pfiffig, ein Organisationstalent mit Herz und einem hintergründigen Humor. Es gibt keinen Grund, ihn nicht zu wählen, wohl aber viele Argumente, die für ihn sprechen, Claudia Roth zum Beispiel.

RALF OBERNDÖRFER