Moskau getroffen

Der Bombenanschlag in Grosny gefährdet die russischen Pläne eines Verfassungsreferendums für Tschetschenien im kommenden Frühjahr

MOSKAU taz ■ Schätzungsweise 1.000 Kilogramm Dynamit verwandelten den Amtssitz des moskautreuen tschetschenischen Verwaltungschefs Achmad Kadyrow in Grosny gestern in einen Trümmerhaufen. Der Anschlag versetzte den Plänen, im Frühjahr per Volksentscheid eine neue Verfassung zu verabschieden, einen schweren Schlag. Kadyrow hatte bereits damit geliebäugelt, sich in Kürze offiziell zum Präsidenten Tschetscheniens wählen zu lassen, um nicht mehr als Statthalter des Kreml zu gelten. Bei den bislang einzigen halbwegs demokratisch anerkannten Wahlen in Tschetschenien hatte der inzwischen in den Untergrund geflohene Rebellenchef Aslan Maschadow den Sieg errungen.

Dieser Umstand verleiht Maschadow immer noch einen gewissen Rest an Legitimität. Als die Staatsduma sich im Dezember unerwartet vorsichtig dafür aussprach, die Verhängung des Ausnahmezustands über Tschetschenien zu debattieren, kritisierte Kadyrow die Pläne, denn sie hätten sein Referendum unmöglich gemacht. Auch Präsident Wladimir Putin verwarf die Idee wenig später bei einer Life-Fragestunde im russischen Fernsehen als unzeitgemäß, und das Parlament machte einen Rückzieher. Alexander Weschnjakow, Chef der russischen Wahlkommission, sah die Volksabstimmung auch nach dem Anschlag nicht gefährdet. „Das wäre genau, was die Terroristen bezwecken wollten“, sagte er.

Die Explosion des Regierungsgebäudes wurde im russischen Fernsehen als schwerster Anschlag in Grosny seit Beginn des Krieges bezeichnet. Im Oktober hatte ein Attentat auf ein Gebäude der Innenbehörden 23 Menschenleben gefordert. Nicht einmal das Hauptquartier der russischen Tschetschenientruppen in Chankala ist vor Überfällen sicher. Das wurde spätestens im August 2002 klar, als tschetschenische Kämpfer einen Transporthubschrauber des russischen Militärs in der Nähe der Militärbasis abschossen und über 100 Soldaten starben.

Für Kadyrow, der sich zum Zeitpunkt des Anschlags in Moskau aufhielt, steht fest, dass Maschadow den Terrorakt angeordnet habe. Eine Mitschuld trage auch die Wachmannschaft des Gebäudes. „Wie konnte es den Terroristen gelingen, den dreifachen Sicherheitsring um das Gebäude zu durchbrechen?“, fragte er. Gleichzeitig sprach er sich gegen neue „Spezialoperationen“ des russischen Militärs aus.

Militärsprecher Ilja Schabalkin erklärte, der Anschlag sei von dem radikalen tschetschenischen Warlord Schamil Bassajew angeordnet und mit Geldern aus arabischen Ländern finanziert worden. Nach der Explosion wurde die Milizpräsenz an allen öffentlichen Orten in Moskau verstärkt. Die Furcht vor neuem Terror schien nicht unbegründet. In einem Moskauer Vorort hatte die Miliz erst am Dienstag zwei Männer festgenommen, die mit Sprengstoffgürteln unterwegs waren. KARSTEN PACKEISER