Architektur: Erneuerung in Grün
"Real Identity" heißt das neue Zauberwort: Ein Besuch im Berliner Büro von Léon Wohlhage Wernik Architekten, die in Tripolis ein neues Regierungsviertel bauen.
Von der Vorstellung, dass ein Haus ein Haus ist, sollte man sich schleunigst verabschieden. Ein Haus, zumal ein ungebautes, ist zunächst einmal ein Metahaus. Keine Konstruktion aus Stein, Glas und Zement, sondern ein Gebilde aus Ideen und Image - eine Marke.
Wo werden solche Häuser gebaut? Zum Beispiel in der Berlin-Charlottenburger Leibnizstraße, in einem Gebäude, wo bereits außen draufsteht, was drinnen läuft: "Metahaus". Es handelt sich dabei um ein ehemaliges Abspannwerk der Bewag, das heute von Metadesign und Léon Wohlhage Wernik Architekten nachgenutzt wird, die gerade den Wettbewerb für ein neues Regierungsviertel in Tripolis gewonnen haben.
Metadesign ist eine auf das Arbeitsfeld Corporate Design spezialisierte Agentur, Léon Wohlhage Wernik Architekten ein Architekturbüro, das schon in jener Prähistorie baute, in der Normalverbraucher das Wort Branding noch im Wörterbuch nachschlagen mussten. Die Zeiten aber haben sich geändert, und so arbeiten die Unternehmen heute eng zusammen.
Wie anders wäre es auch möglich gewesen, den jüngsten Coup in Libyen zu landen? Nicht Zaha Hadid, Ateliers Lion oder Gerkan Marg und Partner sollen nun nämlich den neuen Sitz der libyschen Regierung in Tripolis bauen, sondern die Berliner Architekten aus der Leibnizstraße.
Die Dimensionen des gewonnenen Wettbewerbs sind monumental: dreißig Gebäude für Ministerien, Sitz des Ministerpräsidenten, Volkskongress, Konferenzzentrum, Fünf-Sterne-Hotel samt 140 Meter hohem Turm, nicht zuletzt eine Moschee - und all das auf einem 230 Hektar großen Grundstück zwischen dem Zentrum der libyschen Hauptstadt und dem internationalen Flughafen.
Der Architekt Siegfried Wernik, den wir aus diesem Anlass im Metahaus besuchen, macht in erstaunlicher Offenheit klar, wie dieser Auftrag an Land zu ziehen war. Durch eine noch junge Verquickung von Corporate Design und Real Estate nämlich, also durch das Zusammendenken von Markenbildung und Architektur. "Real Identity" nennt Wernik diesen Hybrid, eine "Verdichtung der Immobilienwelt zur Wertewelt". Hat schließlich der Markt einmal die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung figuriert, warum sollen dann nicht auch Entscheidungen auf dem Feld politischer Repräsentationsarchitektur den Regeln des Marketings folgen?
In diesem Fall in etwa so: Ein Land - Libyen in diesem Fall - ist mit einem unübersehbar schlechten Image geschlagen. Lockerbie, "La Belle", ein Diktator an der Spitze eines vom Westen lange Zeit so genannten Schurkenstaates - so das hartnäckige Vorurteil. Und je ernster man das nimmt, desto wirkungsvoller wird man es mit einem neuen Image kontern können. Die libysche Regierung beauftragte also das ebenfalls in Berlin ansässige Büro für Projektmanagement "phase eins" damit, den Wettbewerb samt inhaltlichen Maßgaben und verfahrenstechnischem Prozedere zu entwickeln.
Ein transparenter, öffentlicher und überaus seriöser Ablauf sei hier gefunden worden, sagt Wernik. Und ergänzt nicht ohne Stolz, dass in Deutschland entwickelte Wettbewerbsverfahren momentan in alle Welt exportiert würden. Schon hier greift nämlich das Gesetz der Marke: Der Wettbewerb selbst ist eine Dienstleistung, und je besser ihr Ruf, desto höher die Legitimation des Auftraggebers.
Ein "Icon of New Libya", so formulierte es "phase eins" schließlich in der Zielsetzung des Wettbewerbs, sei in Tripolis zu bauen. Und "New Libya", das hatte man sich zuvor von einem Wirtschaftswissenschaftler aus Harvard theoretisch unterfüttern lassen, soll alles sein, wofür das personifizierte Imageproblem Gaddafi nicht steht. Ein Land, dessen Bürger frei sind, in alle Welt zu reisen, ein Land mit offenem Zugang zu Internet und Fernsehen - ein Land auf einem guten Weg. Wernik verweist in diesem Zusammenhang hartnäckig darauf hin, dass der Revolutionsführer nicht einmal ein reguläres Mitglied der Regierung sei, in dem künftigen Gebäudekomplex also nicht einmal einen Ort haben werde. Nicht mehr als Regierungsberater sei Muammar al-Gaddafi, zugleich aber, das ist die Sollbruchstelle der Argumentation, irgendwie doch ein Diktator.
Lieber spricht Wernik über den Sohn Sail al-Islam al-Gaddafi, den 1972 geborenen diplomierten Architekten und Leiter der Gaddafi-Foundation, die zuletzt durch Entschädigungszahlungen in Sachen Lockerbie zu einer weitgehenden außenpolitischen Rehabilitierung des Landes beigetragen hatte. Auch Sail al-Islam, der gemeinhin als der künftig mächtigste Mann im Land gehandelt wird, ist nominell Regierungsberater und als solcher ein flammender Unterstützer des neuen Regierungssitzes in Tripolis.
Man muss dazu sagen, dass Gaddafi senior in repräsentationsarchitektonischen Fragen wohl als ausgemachter Wirrkopf dasteht. Erst vor zehn Jahren war schließlich auf sein Geheiß ein riesiger und prunkvoller Regierungssitz fertiggestellt worden, den finnische Architekten nicht in der Hauptstadt, sondern in Sirte, dem abseitig gelegenen Geburtsort des Revolutionsführers, errichtet hatten. Während aber diese Kolossalarchitektur mehr und mehr verwaiste, empfing Gaddafi auch hochrangige Staatsgäste mit Vorliebe im Beduinenzelt. Nicht gerade eine mustergültige Lektion in puncto Nachhaltigkeit.
Mit dergleichen Spontitum räumt der Entwurf der Berliner Architekten selbstredend auf. Nicht nur das ökologisch avancierte Energieversorgungskonzept genügt international gültigen Standards. Und das, obwohl die überwiegende Zahl der libyschen Gesprächspartner beim Thema Solarenergie nur den Kopf schüttelte - in einem Erdölparadies auf die Kraft der Sonne zu setzen, das hat man Wernik plastisch klargemacht, sei so, als stelle man einen popeligen Wassertank gerade dort auf, wo man doch gleich nebenan aus einem riesigen See schöpfen kann. Viel stärker noch als diese detaillierten Bedürfnislagen der libyschen Kunden wog aber ihr Bedürfnis, einen Entwurf nach Maßgabe international gültiger Standards zu bekommen. Auch hier: eine reine Imagefrage. Das Konzept der ausgeklügelten "Energy Farm" trug maßgeblich dazu bei, dass das Berliner Büro den Wettbewerb gewonnen hat.
Wie also sieht sie nun aus, die Marke des neuen libyschen Regierungssitzes? "Tripoli Greens" - so heißt das Ganze. Grün wie der arabische Paradiesgarten, grün wie die mediterrane Vegetation, grün wie die Farbe des Islam. Grün aber auch wie die Bücher des Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi. Dafür, dass er nicht einmal ein ordentliches Mitglied der Regierung ist, kommt man offenbar nicht leicht an ihm vorbei. Dieser Gaddafi ist einfach eine Marke für sich.
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