piwik no script img

Zwischen den RillenArchitektenaugen

■ Wie oft kehrt ein Popstar wieder? David Bowie singt über Kunst-Morde

Er malt Selbstporträts, die sich verkaufen, weil es Songs gibt, die von diesen Bildern handeln. Leben braucht er davon nicht – sie werden bei Benefizveranstaltungen zugunsten der leidenden Kinder in Bosnien oder Ruanda versteigert. Demnächst wird er in einem Film über die New Yorker Kunstszene Warhol spielen – weil er 1970 „Andy Warhol“ gesungen hatte. David Bowies Erfolg (und mittlerweile auch Mißerfolg) ist von den Schutzschilden nicht zu trennen, aus denen sich seine Starbiografie zusammensetzt, mit der man seit der Teeniezeit gefüttert wurde. Ein skurriler, zuweilen pazifistischer Mod und Kitschpoet in den sechziger Jahren; rebellische Piratentunte, Astronaut oder Soulcrooner, selbst Brecht/ Brel-Interpret in den siebziger Jahren; dann Alien, berlinophiler Nazidiktator im Punk-Ledermantel und zuletzt irgendein Angestelltenidol, das seinem Alter ego – einem durchgedrehten Angestellten in Ballettkostüm – nachrennt, daß es einen gruselt: „Put on your red shoes“ und „dance the blues“. Soweit the World of David Bowie. Das Video von „Fame“ zeigte knapp zwei Dutzend wandelnder Gesichter, die sich um einen steifen Mann im Oberhemd drehen.

Wahrscheinlich hat keines der Bilder gestimmt, und doch zugleich die Zauberkraft von Pop als einem doppeldeutigen Unternehmen geprägt, in dem das Uneigentliche zur existentiellen Bestimmung wurde und sich die aufregenden Lebensbilder, die Teenies von sich entwarfen, im Kurzschluß unter Beweis stellen sollten. (Die adäquate Bowie-Rezeption war die von Christiane F., unter Drogen auf dem Weg in die Disco, während sein Soundtrack lief. Denn so einfach, wie es sich die Musikschreiber dachten, die über das „Chamäleon“ Bowie sprachen, als ob sich verschiedene Lebenskonzepte einfach ausprobieren ließen, ohne Schaden zu nehmen, oder als ob das Ausprobierte ohne Risiko aufregend sein könnte, ist es natürlich nicht ...)

Seine größten Erfolge wären die schlechtesten Platten gewesen, und die letzten zehn Jahre ganz einfach Mist, sagte Bowie vor kurzem in einem ungewöhnlich offenherzigen ZDF-Interview, in dem nichts so recht stimmte („stoned“ wurde mit „eingeraucht“ übersetzt). Aber selbst wenn die Plattenfirma als Werbegag in Berlin eine David- Bowie-Underground-Party veranstaltet hat und Club-Mixe vorliegen: So richtig in Schwung kommt Bowie auf „Outside“ nicht. Zu viele Bilder, fremde Narzismen und Verweise auf alte Platten aus 25 Jahren Pop schwirren in seinem Kopf herum. Und nach 14 Stücken, die als eine Cut-up-Geschichte um Konzeptkunst und Zerstückelungsmorde gebaut wurde, liegt mehr als der eine Popstar David Bowie in Scherben, der von LP zu LP das Image wechselte – keiner der dutzendfachen Selbstentwürfe scheint mehr zu stimmen.

Die großartige 72er Burleske „Alladin Sane“ wird mit einem verhackten Klavierpart schon im vierten Stück „A Small Plot of Land“ geopfert, Heavy-Metal-Gitarren sollen an die rebellischen Momente von „Diamond Dogs“ oder später „Tin Machine“ erinnern. Und der Techno- und Jungle-Einfluß, die harten Beats und der Industrial-Schrott, der sich wie Pausennummern durchs Repertoire schleppt, ist der Idee geschuldet, daß die Story der „Nathan Adler Diaries“ auf „Outside“ mit weiteren Alben bis ins Jahr 1999 fortgesetzt werden soll. Eine Menge Holz.

Die Handlung spielt nicht mehr in einer der frühen Lyrikwelten, in denen „Laughing Gnomes“, „Gravedigger“ oder „Jeanies“ sich in ihrem Schicksal zurechtfanden. Bowie meint es durchaus ernst, wenn er sich über das Chaos am Ende des 20. Jahrhundert beschwert. Jetzt spürt Bowie, selbst Maler und ehemaliger Kunstschulstudent, als Detektiv diversen Happening-Verbrechen nach: Körperfeindlichkeit, Blutorgien, Mysterientheater. Schon wieder ein Nietzsche. Menschen lassen sich als cyberspaciges Gesamtkunstwerk bei Performances zerlegen, andere spritzen mit HIV- infiziertem Blut. Der britische Action-Bildhauer Damien Hirst wird als Schafschlächter vorgeführt. Tatsächlich macht er für neue Pophelden wie Blur Videos. Bowie, der selbst zu „Ziggy Stardust“-Zeiten ein Model für vermischte Geschlechterrollen hergab, irrt durch seine neuen Songs und singt in „Hello Spaceboy“ davon, wie viel Mühe es ihm macht, Jungs und Mädels auseinanderzuhalten: „It's confusing these days.“ Wie zuletzt Leonard Cohen sucht er eine Ordnung, die er selbst früher einmal hinterfragen konnte. Dann geht Bowie zum Schluß an den Glas- und Stahlarchitekturen von Philip Johnson vorbei („Thru these Architects Eyes“) und kommt am Ende zu der Erkenntnis: „We're Strangers, when we meet.“ Das klingt hymnisch wie „Heroes“, voller Inbrunst gesungen und zu versöhnlich, selbst für ein melancholisches Happy-End.

Sehr, sehr seltsam. „Outside“ ist ein mit 73 Minuten episch angelegtes Album, bei dem der Titel Programm ist, wie die Plattenfirma schreibt. Es handelt von Ausgeschlossenen und dem Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben („I am deranged“). Auf andere Weise, als die Plattenfirma meint, stimmt der Titel. Zum einen ist „Outside“ alles andere als eingängig – man muß es schon zehn- bis zwanzigmal hören, um die Wege zu verstehen, die die Musik geht –, zum anderen wirkt das meiste – von der Ausgedachtheit der im Cut-up-Computer zerstückelten HeldInnen bis zu den auseinanderfallenden Musikzitaten – auf eine schon bestürzende Art entfremdet.

Keine der Figuren eignet sich zur Popikone, mit keiner wird man Bowie je verwechseln. Die Entfernung zwischen Bowie und den Kunstfiguren ist unüberbrückbar. Wer Lust hat, mag darin depressives Pathos erkennen; wer Kierkegaard gelesen hat, wird eher an Verzweiflungen ziemlich hoher Potenz denken. Kuhlbrodt/Fricke

David Bowie: Outside (BMG)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen