Arbeitsmarktreform in Frankreich: Misstrauensvotum statt Votum
Die Reform des Arbeitsrechts bringt dem französischen Premierminister ein Misstrauensvotum ein. Das könnte die Regierung zu Fall bringen.
Sehr demokratisch wirkt es dennoch nicht. Doch ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass die meisten Regierungen der Fünften Republik seit 1958 zu dieser legalen Holzhammermethode griffen, wenn sie für die Durchsetzung einer unbeliebten Politik keine sichere Mehrheit im Parlament hatten. Was also auf den ersten Blick autoritär aussieht, drückt vielmehr Schwäche aus oder ist sogar das Eingeständnis von Machtlosigkeit.
Das ist heute die Ausgangslage bei der von der Regierung gewünschten Reform des französischen Arbeitsrechts. Es ist ihr nicht gelungen, die Volksvertreter, die Parteien und die Sozialpartner vom Nutzen der Reform zu überzeugen. Die Vorlage gefällt nach zahlreichen Korrekturen und Konzessionen im Gegenteil immer weniger und passt niemandem mehr: weder den Arbeitgebern, die ursprünglich diese Reform gefordert hatten, noch den Gewerkschaften, die das Ganze als „neoliberalen“ Angriff auf die Rechte der Arbeitnehmer ablehnen.
Einmal mehr hat sich so in Frankreich gegen ein Reformvorhaben eine heterogene Mehrheit mit unterschiedlichsten Interessen gebildet. Weil sich die Debatten in der Nationalversammlung in die Länge zogen und sich keine Mehrheit abzeichnete, hat die Regierung am Dienstag resigniert beschlossen, sich mittels Artikel 49-3 über alle Einwände und Proteste hinwegzusetzen.
Die rechten und linken Kritiker
Die Opposition hat jetzt laut Verfassung nur die Möglichkeit, eine Vertrauensabstimmung zu beantragen. Fällt die Regierung dabei durch, gilt auch die von der Exekutive mit dem Artikel 49-3 durchgedrückte Vorlage als verworfen. Genau dies wollen jetzt die konservativen Abgeordneten der Nationalversammlung mit ihrem Misstrauensantrag erreichen.
Jetzt könnte das nicht nur eine hilflos wirkende Geste ohne Aussicht auf Erfolg sein. Denn die Rechtsparteien können wohl bei der Abstimmung am Donnerstag auch auf die Unterstützung der linken Gegner der Arbeitsmarktreform rechnen: Auf das Risiko hin, die sozialistische Regierung zu Fall zu bringen, wollen VertreterInnen der Linkspartei, Kommunisten und Grünen dem Antrag zustimmen.
Erreicht er eine absolute Mehrheit, muss Staatspräsident François Hollande eine neue Regierung bilden. Nichts würde ihn allerdings daran hindern, erneut den bisherigen Premierminister Manuel Valls mit der Bildung eines Kabinetts zu beauftragen.
Der Präsident ist nicht verpflichtet, Neuwahlen anzusetzen. Freilich wäre eine Niederlage der regierenden Sozialisten bei einer Vertrauensabstimmung, ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen, eine verheerende Schlappe und eine Niederlage für die Regierungspartei, die mehr denn je gespalten würde.
Die internen Kritiker
Wirklich brenzlig könnte es für Valls werden, wenn auch der linke Flügel der Sozialisten seine Drohung wahrmacht, der Regierung beim Votum die Gefolgschaft zu verweigern. Das wäre für die Parteiführung des Parti Socialiste allerdings eine „rote Linie“, die nicht überschritten werden dürfe. Sie droht den „Dissidenten“, wie sie die internen Kritiker nennt, für den Fall der Gehorsamsverweigerung mit Parteiausschluss.
Valls, der die von Hollande gewollte Reform auf Biegen oder Brechen durchsetzen will, riskiert nicht nur den Sturz der Regierung – und damit seinen Job als Premier. Er nimmt auch eine schwere Krise seiner Partei in Kauf. Die Arbeitsministerin Myriam El Khomri sagte im Fernsehen, sie könne nicht verstehen, dass gewisse „linke“ Parteikollegen auch nur mit der Idee spielen könnten, einen Antrag der Rechten gegen die Linksregierung zu unterstützen: „Ein Abgeordneter, der mit der Rechten stimmt, ist ein rechter Abgeordneter.“
Auch wenn Grüne, Kommunisten, Linkspartei und ein paar dissidente „Frondeurs“ mit den Bürgerlichen votieren, würden dem inzwischen für Donnerstag angesetzten Misstrauensantrag immer noch rund 50 Stimmen für eine Mehrheit fehlen, meint die Regierung zuversichtlich. Unabhängig von der parlamentarischen Arena geht der Widerstand gegen die Reform auf der Straße weiter. Die aus der Ablehnung der Loi El Khomri hervorgegangene Protestbewegung „Nuit Debout“ hat mit Empörung auf das Vorgehen der Regierung reagiert. Sie erhielt dadurch sogar erneut Auftrieb.
In mehreren Städten des Landes haben am Dienstagabend Tausende demonstriert. In Toulouse kam es dabei zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei. Die Gewerkschaftsverbände haben für den 17. und 19. Mai weitere Protestaktionen angekündigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld