Arbeitslosigkeit und Zeitarbeit: Die Irrfahrten des Rolf B.
Wie ein Langzeitarbeitsloser in die Mühle von Jobcenter, Arbeitsvermittlung und Zeitarbeitsfirma gerät - und am Ende alle davon profitieren außer ihm selbst.
Eigentlich sollen private Arbeitsvermittler Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln. Dafür können sie vom Arbeitsamt bis zu 2.000 Euro kassieren. Häufig vermitteln die Vermittler ihre "Kunden" allerdings nicht in richtige Jobs, sondern an Zeitarbeitsfirmen, die ihre "Angestellten" dann wiederum weitervermitteln. Oder auch nicht - und ihnen gleich wieder kündigen, wenn einmal kein Einsatz naht. So erging es auch Rolf Becker*, den seine Suche nach Arbeit am Ende sogar mehr gekostet hat, als wenn er weiter Hartz IV bezogen hätte.
Nach drei Jahren Arbeitslosigkeit und mehreren Ein Euro Jobs in verschiedenen Vereinen wollte Becker endlich wieder in den ersten Arbeitsmarkt. Doch seine zahlreichen Bewerbungen fruchteten nichts und so ließ er sich von seinem Sachbearbeiter im Jobcenter einen Vermittlungsgutschein ausstellen und wandte sich an eine private Arbeitsvermittlerin. "Das Gespräch mit ihr dauerte nicht einmal zehn Minuten, dann hat sie mir einen Vermittlungsvertrag angeboten." Gleich am nächsten Tag klingelte sein Telefon und die Vermittlerin gab ihm Bewerbungstermine - ausschließlich bei Zeitarbeitsfirmen, die ihre Mitarbeiter an Call-Center verleihen. Obwohl Becker es verrückt fand, für 2.000 Euro an eine Zeitarbeitsfirma vermittelt zu werden, nahm er gleich am nächsten Tag einen Job an, weil er dringend Geld brauchte.
"Mein erster Einsatz ging gleich los. Callcenter-inbound, nichts tolles, aber ich habe so etwas schon einmal gemacht. Irgendwie bin ich aber nicht gut angekommen und nach zwei Wochen wollte man mich nicht übernehmen." Und obwohl seine Zeitarbeitsfirma "Olympia Personaldienstleistungen" nach einer Lücke von zwei Wochen einen weiteren Einsatz für Becker hätte, wurde ihm umgehend gekündigt. Bis zum Eintreten der Kündigung wurde er auf unbezahlten Urlaub geschickt.
Becker meldete sich umgehend wieder arbeitslos. Die Zeitarbeitsfirma schickte ihn fast jeden Tag zu einem neuen Gespräch in verschiedene Call-Center. Eine teure Angelegenheit für den Arbeitslosen, denn Fahrt- und Bewerbungskosten übernahmen, anders als zuvor das Arbeitsamt, weder die Zeitarbeitsfirma noch die private Arbeitsvermittlung. Trotzdem findet man beim Arbeitsamt nichts dabei, 2.000 Euro an eine Vermittlungsagentur zu bezahlen, die Arbeitslose an Zeitarbeitsfirmen vermittelt, die diese wiederum entlässt, sobald sie keine Beschäftigung für sie hat. "Eine Vermittlung an Zeitarbeitsfirmen ist regulär und entspricht der Gesetzeslage, solange es zu einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis durch die Vermittlung kommt", sagt Uwe Mählmann von der Pressestelle des Arbeitsamtes. Bei der Zeitarbeitsfirma Olympia Personaldienstleistungen wiederum beteuert man, dass Mitarbeiter "nur im Einzelfall" in unbezahlten Urlaub geschickt würden. Ansonsten sei man ein ganz gewöhnliches Unternehmen. Hauptqualifikationen für eine Anstellung seien eine angenehmen Telefonstimme und grundlegende Computerkenntnisse.
Und so liest sich die Bilanz der Arbeitssuche für Becker folgendermaßen: die private Arbeitsvermittlung hat die Option auf den Vermittlungsgutschein, die Zeitarbeitsfirma hat mit ihm Geld verdient, und er selbst steht nach zwei Wochen Zeitarbeit mit weniger Geld da, als hätte er weiterhin Hartz IV bezogen.
Klaus Abel, Sprecher der IG Metall Berlin, sind solche Vorgänge bekannt. "Leider kommt so etwas immer wieder vor. Seit dem Wegfall des Synchronisationsgesetzes, dass früher die sofortige Entlassung bei einer Zeitarbeitsfirma verhindert hat, ist es in vielen Zeitarbeitsfirmen Praxis geworden, sofort zu kündigen, wenn nicht gleich ein anderer Einsatz gefunden werden kann. Nimmt man noch die häufige Ungleichbehandlung der Zeitarbeiter in den Betrieben hinzu, ergibt sich ein wirklich unhaltbarer Zustand."
Becker hat sich am Ende dennoch entschlossen, die Zähne zusammen zu beißen und nach seinem erzwungenen Aussetzen bei der Zeitarbeitsfirma weiter zu machen, wenn der nächste Job anfängt, den diese für ihn zu haben scheint. "Ich brauche das Geld", sagt er. "Aber noch einmal so von einem zum anderen gereicht zu werden, um am Ende mit weniger Geld dazustehen, darauf kann ich wirklich verzichten."
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin