: Arbeitsdienst für Kriegsdienstverweigerer?
Die SchweizerInnen sollen in Volksabstimmung entscheiden, ob Kriegsdienstverweigerer künftig „nur“ noch mit Arbeitsdienst bestraft werden/ Die „Barras-Reform“ anerkennt nur „ethische Gründe“/ Rechte und linke Oppositionelle gegen Reform ■ Von Thomas Scheuer
Basel (taz) — Jedes Jahr wandern in der Schweiz rund 600 Männer ins Gefängnis für eine Tat, die im größten Teil Europas mittlerweile als selbstverständliches Menschenrecht gilt: die Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen. In der Alpenrepublik, deren Milizarmee weltweit Inbegriff bärbeissigen Wehrwillens ist, wird die Wahrnehmung dieses Menschenrechts mit Freiheitsstrafen von durchschnittlich sechs Monaten geahndet. Verhängt werden sie nicht von der zivilen Justiz, sondern — auch im tiefsten Frieden — von Militärrichtern. Ein Ersatz- oder Zivildienst besteht nicht. Damit verharrt die noble Schweiz in der zweifelhaften Gesellschaft von Staaten wie etwa Albanien, Bulgarien, Rumänien oder des NATO-Mitglieds Türkei. Neben der Türkei ist die Schweiz das einzige Mitglied des Europarates, das seinen Bürgern das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verweigert.
Wiederholt scheiterten Initiativen friedenspolitischer Kreise, per Volksabstimmung das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Verfassung zu bugsieren. Auch Helvetiens Parlament befaßt sich seit gut 90 Jahren immer wieder mit diversen Vorschlägen zur Entkriminalisierung der Verweigerer. Über das jüngste Parlamentsprodukt in Sachen KdV, die sogenannte Arbeitsdienstvorlage, entscheidet das Wahlvolk der Schweiz morgen. Der Gesetzesvorschlag, auch „Barras-Reform“ genannt, sieht vor, daß Verweigerer, die ethische Gründe glaubhaft machen können, künftig zu einem Arbeitsdienst anstatt wie bisher zu Gefängnis vergattert werden. Der „Dienst an der Allgemeinheit" soll in der Regel eineinhalb mal so lang sein, wie der Militärdienst. Dieser Arbeitsdienst soll weiterhin von Militärgerichten als Strafe verhängt werden, Strafarbeitsdienst statt Knast also. Und Verweigerer, bei denen keine Gewissensgründe diagnostiziert werden, was laut Statistik bisher bei rund zwei Dritteln der Verhandlungen der Fall war, sollen weiterhin ins Gefängnis wandern — und zwar länger als bisher. Lediglich der diskriminierende Eintrag des Urteils in das Strafregister soll künftig entfallen. Bisweilen zählten für manchen Verweigerer nämlich die Nachteile bei der Arbeitssuche als „Vorbestrafter“ schwerer als die Knastmonate selbst.
Strafarbeitsdienst für die einen, Knast weiterhin für die anderen, beides nach inquisitorischer „Gewissensprüfung“ und Verurteilung durch Militärtribunale — die proklamierte Entkriminalisierung von Kriegsdienstverweigerern ist in der „Barras-Reform“ nicht auszumachen. Und mit einem echten Ersatz- oder Zivildienst hat das Ganze schon gar nichts zu tun. Militär-Minister Villiger nennt die Novelle einen „Zwischenschritt“ bei der Lösung des Verweigererproblems und ist damit zwischen die Fronten geraten.
Rechts-bürgerlichen Kreisen geht schon sein Zwischenschritt zu weit. Einen Schritt in die falsche Richtung sehen Friedensgruppen, kirchliche Organisationen, Grüne und Sozialdemokraten in dem Gesetz und fordern deshalb ebenfalls zu einem „Nein“ am Sonntag auf. Eine Annahme von Villigers „Barras-Reform“ würde in den Augen der Kritiker bevorstehende Gesetzesvorstöße und eine Volksinitiative in Sachen Zivildienst verzögern, die bereits in Arbeit sind. „Der Zivildienst wird kommen“, meint zuversichtlich ein sozialdemokratischer Funktionär. Die Frage, wie immer in der Schweiz, ist nur: Wann?
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