: Arbeitsamt angezeigt
■ Arbeitslosen-Initiative: Arbeitslosenhilfe wird rechtswidrig gekürzt / Vorgriff auf Gesetzesänderung
Um die Kürzung der Arbeitslosenhilfe gibt es Streit: Die Aktionsgemeinschaft arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger (AGAB) hat wegen des Verdachts auf Rechtsbeugung Strafanzeige gegen Vertreter des Arbeitsamts Bremen und der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg gestellt. Begründung: Ohne rechtliche Grundlage würden Leistungen an Arbeitslose gekürzt.
Mit ihrem Vorwurf beziehen sich die Kläger auf einen Sammelerlaß aus Nürnberg vom 14. Juni. Darin heißt es, die Dienstellen sollten bei der „Anpassung an die Ansprüche“, „im Vorgriff auf eine beabsichtigte gesetzliche Regelung handeln“. Eine Musterklage beim Bremer Sozialgericht soll die Nichtigkeit der Anordnung erweisen.
Denn endgültig wird über die Kürzungen und die Übergangsregelungen für sogenannte Altfälle erst mit dem im Bonner Sparpaket enthaltenen „Wachstums-und Beschäftigungsförderungesetz“ entschieden. „Die bewegen sich im rechtsfreien Raum“, ist AGAB-Juristin Gitta Barufke überzeugt. Das sei skandalös. Wie solle sie Arbeitslose vom Mißbrauch von Sozialleistungen abhalten, wenn das Amt sich ebensowenig an rechtsstaatliche Normen halte.
Es geht konkret um die Stichtage, von denen an bei Altfällen die Arbeitslosenhilfe nach neuer Grundlage berechnet wird. Komplizierter Hintergrund des Streits ist das neue Arbeitslosenhilfereformgesetz. Neu ist, daß jetzt die Bemessensgrundlage – und damit die Arbeitslosenhilfe – nach einem Jahr nicht mehr individuell vom Sachbearbeiter, sondern für alle um drei Prozent gekürzt wird.
Die Frage war nun, wann für bereits anspruchsberechtigte Bezieher von Arbeitslosenhilfe der Jahres-Countdown beginnen soll – ursprünglich war der 1. April geplant, nach Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren ist jetzt der 1. Juli festgelegt worden.
Für die Kürzungen der Bemessungsgrundlage für April, Mai und Juni fehlt nach Ansicht der Kläger die Rechtsgrundlage, weil eine entsprechende Übergangsregelung (§ 242v Arbeitsförderungsgesetz) noch im Sparpaket zwischen Bundesrat und Bundestag hängt.
Gegen entsprechende Bescheide des Amtes hat nun die betroffene Susanne Schweers gleichzeitig mit der Strafanzeige der AGAB eine Nichtigkeitsklage beim Sozialgericht eingereicht. Sie will die Kürzung ihrer Arbeitslosenhilfe von 300 auf 294 Mark die Woche nicht hinnehmen. „Wo bleibt der Rechtsstaat, wenn das jetzt durchgeboxt wird und man sagt, das Gesetz kommt noch“, fragt die schwerbehinderte Haus- und Ernährungswissenschaftlerin.
Sie steht mit ihrem Widerstand gegen die neuen Bescheide nicht allein: Nach Auskunft des Arbeitsamtes wurde die Widerspruchsstelle von einer „erheblichen Zahl von Einwendungen“ überschwemmt.
Bei der Bundesanstalt für Arbeit räumt man „Ungereimtheiten im bisherigen Gesetz“ ein. Für deren Korrektur lasse man sich mit der vorläufigen Regelung Raum. Mit einem neuen Sammelerlaß vom 6. August haben die Nürnberger denn auch ein wenig eingelenkt: Im Falle der zahlreich eingehenden Widersprüche sollen die Sachbearbeiter nach einer Order aus Nürnberg auf Zeitgewinn setzen. In den vorgegebenen Textbausteinen heißt es: „Über eine Rücknahme der in der Zeit vom 1. April 1996 bis 30. Juni 1996 vorgenommen Neubemessung kann ich noch keine Entscheidung treffen, weil sie von Änderungen im Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz abhängt. Die Änderungen würden derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren beraten“.
Im Arbeitsamt wird gemunkelt, eine Klage habe große Chancen. Denn nach dem Buchstaben des geltenden Gesetzes müße Susanne Schweers ihr abgezogenes Geld zurückbekommen. Man müsse aber die Anweisung aus Nürnberg befolgen. Wieviele von den fast 14.000 Bremer EmpfängerInnen von Arbeitslosenhilfe in das Drei-Monats-Loch gefallen sind, kann das Arbeitsamt nicht sagen. Zahlen über Zugänge würden nicht erhoben. jof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen