: Arbeiter statt Anwalt
Ernst Dieter Lueg ist tot. Der emsige Berichter aus Bonn versprühte mit Eulenbrille und hastiger Atmung spröden journalistischen Charme und betrauerte den Niedergang der großen Politik
von STEFFEN GRIMBERG
Nein, einer der ganz Großen war er nicht. Trotz des „Vielen Dank, Herr Wöhner!“ zu Herbert Wehner, der ihn als „Herr Lüg“ verballhornt hatte. Dennoch schießt der Mann mit der Eulenbrille jedem, der schon vor seinem Abschied aus dem ARD-Studio Bonn im Januar 1995 Politik im Fernsehen wahrnahm, sofort durch den Kopf. Vor allem Wahlabende waren ohne Ernst Dieter Lueg nicht zu denken. Staubtrocken, nach Atem ringend, immer ein bisschen zu verstrickt in seine langen Anmoderationen, präsidierte er über seine geliebten „Elefantenrunden“ der alten, der Bonner Republik. In der Nacht zum Dienstag ist Lueg 70-jährig nach schwerer Krankheit verstorben.
Dass dabei ausgerechnet er, der 1988 vom ARD-Programmbeirat wegen zu großer Nähe zur regierenden CDU-FDP-Koalition de facto öffentlich via Spiegel abgewatscht wurde, dann Anfang der 90er-Jahre vom Kanzler auf die Liste der unerwünschten Journalisten gesetzt wurde, ließ ihn noch im vergangenen Jahr über die „beleidigte Leberwurst“ Helmut Kohl granteln.
Aber bei aller Voreingenommenheit – Lueg war übrigens immer SPD-Mitglied –, die Anbiederung an die Mächtigen war nicht seine Sache. Anders als sein telegenerer Vorgänger, der spätere WDR-Intendant Friedrich Nowottny, oder heutige Polittalker und -moderatoren von Sabine Christiansen bis Alexander Niemetz erlag er auch nicht dem Glamour der bunten Fernsehwelt – gerade das machte seinen „Bericht aus Bonn“ oft zur Qual.
Bis Anfang 1995 war er hier freitäglich anstelle der „Tagesthemen“ präsent, blieb aber nicht die graue Eminenz im Studio, sondern mischte sich nach wie vor unters Politvolk – auch wenn er lange brauchte, bis sein jeglicher Interviewtechnik hohnsprechender Fragestil wenigstens in den letzten Jahren etwas an Substanz gewann. „So häufig wie möglich nach draußen gehen. Es wird nichts in Büro hineintelefoniert“, war sein Rat an seine Nachfolger in Bonn und anderswo.
Anderswo war für Lueg nach 1995 Berlin, hier wohnte er im Wechsel mit Bonn und mischte sich für das private Fernsehen in der eigens für ihn und den kürzlich ebenfalls verstorbenen Johannes Gross kreierten Sendung „RTL-Analyse“ noch einmal in den Politjournalismus ein. Wenig erfolgreich, lieber „ausklammern“ wollte er dieses Engagement in einem der vielen späteren Interviews. Da fehlten ihm dann schon die „Großen“ der Politik, Franz Josef Strauß zum Beispiel und andere „Männer mit Ecken und Kanten, die sich einen feuchten Kehricht darum gekümmert haben, was wohl am nächsten Tag die Unterhäuptlinge ihrer Partei zu dem Auftritt hätten sagen können“.
An diese „Großen“ wollte Lueg, der nach dem Krieg als Bergarbeiter das „harte Leben“ im Ruhrgebiet kennen gelernt hatte und von der Regionalzeitung eher zufällig 1964 zum WDR und damit zum Fernsehen wechselte, mit der „nötigen Courage und dem nötigen Biss herangehen“. Gelungen ist ihm das nicht oft, doch sein Selbstverständnis von Journalismus bleibt allemal sympathisch: Nicht Anwalt – „das ist mir zu hoch –, sondern „Arbeiter“ für das Fernsehpublikum wollte er sein.
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