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Arbeiter in der SportgeschichteHundert Jahre Zweisamkeit

Der Arbeitersport trat an als Alternative zum bürgerlichen Turnen. Doch vor 100 Jahren begann die Spaltung in Sozialdemokraten und Kommunisten.

Mit Lkw auf Propagandatour: der Arbeitersportverein „Fichte“ aus Berlin Foto: Archiv

Ein Sieg der Internationale war das nicht gerade. Als im Juli und August 1920 in Moskau der Zweite Kongress der Kommunistischen Internationale tagte, kam es am Rande zum vermutlich ersten Fußballländerspiel der jungen Sowjetunion: Russische Delegierte spielten gegen Internationalisten. Bei Letzteren stand der US-Journalist John Reed im Tor, berühmt durch sein Buch zur Oktoberrevolution, „10 Tage, die die Welt erschütterten“. Die Internationalisten verloren deutlich. Das einzige Tor für die Internationale erzielte der Schotte Willie Gallacher, späterer Vorsitzender der Kommunistischen Partei Großbritanniens.

1920 war der Arbeitersport noch nicht gespalten. In diesem Jahr war in der Schweiz die Luzerner Sportinternationale (LSI) gegründet worden, die sozialdemokratisch dominiert war. Eine kommunistische Alternative entstand erst 1921, also vor hundert Jahren: die Rote Sportinternationale (RSI). Diese Gegengründung war jedoch keineswegs von der Kommunistischen Internationale oder den Bolschewiki in Russland initiiert worden, auch wenn es beim zweiten Kominternkongress solche Debatten gegeben hatte; es steckten eher kommunistische Arbeitersportler aus Tschechien, Frankreich und vor allem aus Deutschland hinter der Gründung.

In Berlin gab es seit 1890 den Arbeitersportverein Fichte. Mit zwischenzeitlich 10.000 Mitgliedern war der eine Macht in Berlin und Deutschland. Er hatte eigene Sportgeschäfte, ein genossenschaftlich geführtes Versandhaus in der Köpenicker Straße in Kreuzberg, hauptamtliche Funktionäre, und es gab sogar einen „Fichte-Marsch“: „Froh, frei, stark, treu, der freien Fichte-Turner stolzer Wahlspruch sei“. Die Fichte-Sportler suchten schon 1919 die Konfrontation; sie beschlossen, „nur solche Mitglieder in den Vorstand und in die Verwaltungskommission zu wählen, die eingeschriebene Mitglieder der USPD oder KPD sind“.

Der herausgeforderte Dachverband war der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), der in der Mehrheit sozialdemokratisch war. Gegen diesen Fichte-Beschluss wehrte sich der ATSB, und tatsächlich gab es zwar immer wieder Streitpunkte, aber die deutsche Arbeitersportbewegung blieb bis 1928 unter einem einheitlichen Dach. Dann erst beschloss der ATSB, nicht mehr mit der KPD zusammenarbeiten zu wollen und warf Vereine wie Fichte hinaus.

Bis die politische Spaltung der Arbeiterbewegung auch den Sport erreichte, hatten gemeinsame arbeitersportliche Werte den ATSB halbwegs zusammengehalten. Gegner war der bürgerliche Sport, also in Deutschland zunächst die Deutsche Turnerschaft.

Turnen, Turnen und kein Fußball

Gegen deren Deutschtümelei und Demokratiefeindschaft hatten sich Arbeitersportvereine gegründet. Das begann während der Sozialistengesetze (1878 bis 1890), als die Sozialdemokratie Tarnorganisationen brauchte, und das wuchs besonders in den 1920er Jahren an. Zuerst wurde in Deutschland nur geturnt, bald folgten Radfahrer und Schwimmer.

Nur die Fußballer wollte der ATSB, der damals noch kein „Sport“ im Kürzel trug, er hieß ATB, nicht dabei haben. „Unzivilisiert“ und „entsittlichend“ seien die Kicker, hieß es bei den Arbeiterturnern. Dieser neue Sport aus England wecke „tierische Instinkte“ und gehöre zu den „sportlichen Abarten der Leibesübungen“, wie der ATB-Vorsitzende Karl Frey 1907 schrieb. Dennoch und zum Erstaunen der Funktionäre sowohl des bürgerlichen wie auch des arbeiterbewegten Turnens wurde Fußball populär.

Mustergültige Sportleute, die in dem Spiel selbst nicht den Sieg für das Wichtigste hielten

Der „Kicker“ über die „Russenspiele“ 1927

In den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg waren etwa 80 Prozent der Fußballer männliche Arbeiterjugendliche. Sie gingen lieber in bürgerliche Klubs oder in wilde Vereine, die kein Verband haben wollte. Berühmtestes Beispiel für wilde Klubs ist Schalke 04 – ein Arbeiterverein, der nicht im organisierten Arbeitersport mitmachte, sondern gegen heftige Widerstände versuchte, im bürgerlichen DFB zu landen. Erst ab 1909/10 begannen die Arbeiterturner, sich den Fußballern zu öffnen, indem sie in Dresden und Berlin einen Spielbetrieb einrichteten. Aber ein deutscher Arbeiterfußballmeister wurde erst 1920 ermittelt, es war der TSV 1895 Fürth.

Billig, demokratisch, international: Vorteile des Arbeitersports

Arbeitersport, auch Arbeiterfußball, wurde schnell populär. Im Jahr 1919 spielten 26.000 Fußballer im ATSB, binnen eines Jahres verdoppelte sich ihre Zahl und wuchs später noch mehr an: 1926 wurden 90.000 aktive Fußballer gezählt, 1932 bereits 136.000. Damit stellten die Fußballer im ATSB etwa ein Fünftel der Mitglieder. Attraktiv waren die moderaten Mitgliedsbeiträge, die nicht zuletzt deswegen so niedrig sein konnten, weil von den Mitgliedern vieles in Eigenregie geleistet wurde: vom Bau des Vereinshauses bis zur Pflege der Sportstätten.

Zu den Pluspunkten gehörte auch die große innerverbandliche Demokratie. Jugendliche durften etwa den Vereinsjugendleiter selbst wählen. Beim schon erwähnten Arbeitersportverein Fichte aus Berlin besaßen die Jugendlichen sogar das volle Stimmrecht in allen Vereinsangelegenheiten.

Die Arbeiterfußballer übernahmen auch keineswegs eins zu eins das vom DFB vorgegebene Regelwerk. So durfte beim ATSB der Torwart im Torraum überhaupt nicht körperlich angegangen werden, für Jugendliche wurden kürzere Spielzeiten angesetzt, es wurde lange über die Aufnahme der Abseitsregel ins Regelwerk diskutiert. Ein Ligasystem und eine Jagd nach Punkten wollte man gar nicht. Und intensiv wurde gestritten, ob nicht anstelle von Leistungspunkten eher erzieherische oder ethische Qualitäten berücksichtigt werden müssten.

Zu den Besonderheiten des Arbeiterfußballs gehörte auch, dass er sich jedem Starkult zu verweigern suchte: So wurde in den Berichten von Spielen, die in Verbandsblättern erschienen, weitgehend die Namensnennung vermieden – das entscheidende Tor hatte dann eben ein namenloser linker Läufer erzielt. Nicht unwichtig war auch das weitgehende Fehlen von Antisemitismus; ab Mitte der 1920er Jahre traten jüdische Klubs wie etwa die Bar-Kochba-Vereine aus Duisburg, Chemnitz, Magdeburg oder Köln in die Fußballsparte des ATSB ein. Das waren oft Vereine, die ursprünglich eher im bürgerlichen Makkabi zu Hause waren, sich aber irgendwann lieber unter das Dach des Arbeitersports begaben, oft wegen Diskriminierungserfahrungen.

Die Öffnung für Frauen war ein großer Vorzug des Arbeitersports, auch wenn einige Bereiche dann doch exklusiv männlich blieben: etwa Fußball und die Trommlerkorps. Gleichwohl fand vereinzelt unter dem Dach des Arbeitersports auch Frauen- und Mädchenfußball statt. Bekannt wurde ein offiziell angesetztes Frauenspiel im Oktober 1932 zwischen der FT 1920 Speyer und dem ASV Hochfeld in der Pfalz.

Früher als andere unternahmen die Arbeitersportler Auslandsreisen. Bürgerlichen Sportlern waren nach dem Ersten Weltkrieg internationale Kontakte weitgehend verbaut. Die Fußballer des Bremer SV Weser 08 jedoch trugen etwa bereits 1920 ein Freundschaftsspiel gegen die Niederlande aus, und 1924 reiste derselbe Klub 39 Tage lang durchs junge Sowjetrussland.

Streitpunkt Sowjetunion

Genau dafür wurde er vom sozialdemokratisch dominierten ATSB abgestraft: sechs Wochen Sperre. Denn auch wenn im ATSB kommunistische Arbeitersportler organisiert waren, so lehnte der ATSB zu diesem Zeitpunkt noch Kontakte mit der Sowjetunion ab. Zwei Jahre später, im August 1926, schloss der ATSB aber ein Sportabkommen mit der Sowjetunion ab, und im Sommer 1927 kam es zu den „Russenspielen“. Das war die Reise der sowjetischen Fußballnationalmannschaft durch Deutschland und Österreich. Der Kicker lobte Sportler wie Zuschauer als „mustergültige und objektive Sportleute, die in dem Spiel selbst nicht den Sieg für das Wichtigste hielten, sondern die Tatsache, dass dies Spiel überhaupt gespielt wurde“.

Kurze Zeit später kam es aber im deutschen Arbeitersport zum Bruch: Erst wurde das Sportabkommen mit der Sowjetunion gekündigt, dann wurde der Abbruch aller Beziehungen zur KPD verkündet, und die vor einem Jahr noch so gelobten „Russenspiele“ wurden plötzlich diffamiert: Die sowjetischen Kicker hätten doch nur „im deutschen Arbeitersport politische Geschäfte“ machen wollen, hieß es beim ATSB. Die hinausgeworfenen Kommunisten gründeten eine „Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport“ (IG), aus der 1930 die „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“ (KG) wurde.

Arbeiterolympiaden versus Spartakiaden

Neu war die Konkurrenz nicht, sie existierte schon seit Beginn der 1920er Jahre, aber sie wurde heftiger. 1931 veranstalteten die sozialdemokratischen Sportler, die sich mittlerweile nicht mehr LSI sondern SASI, Sozialistische Arbeitersport-Internationale, nannten, in Wien ihre zweite Arbeiterolympiade.

Die erste hatte 1925 in Frankfurt stattgefunden; sie war ein großer Erfolg, an dem allerdings sowjetische Sportler nicht teilnehmen durften. Als Gegenveranstaltung zur Wiener Arbeiterolympiade sollte in Berlin 1931 die zweite Spartakiade abgehalten werden; eine erste Spartakiade hatte es 1928 in Moskau gegeben. Nach Wien kamen etwa 80.000 Teilnehmer, auch für Berlin hatten sich Zehntausende Arbeitersportler angemeldet.

Die Eröffnung sollte am 5. Juli 1931 stattfinden, über 500 Fußballspiele waren angesetzt, 200 Handballspiele, 50 Hockeyspiele. Allein für die Schwimmwettkämpfe gab es über 4.000 Meldungen.

Kurz vor der Eröffnung verbot die sozialdemokratische Regierung Preußens die Spartakiade. Die Organisationsbüros wurden geschlossen, Funktionäre verhaftet und sogar das Tragen von Spartakiadeplaketten, mit deren Verkauf die Veranstaltung teilweise finanziert werden sollte, stand unter Strafe. Zeitgleich fanden dann über Berlin verteilt illegale Sportfeste statt, auch mit internationaler Beteiligung, eines unter dem Tarnnamen „Kreissportfest“ sogar im Berliner Poststadion.

1933 wurden dann beide Flügel des Arbeitersports verboten, der sozialdemokratische und der kommunistische. Die Rote Sportinternationale, vor hundert Jahren gegründet, löste sich 1937 auf.

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