Arbeit in Serie: Musikschullehrerin: „Ich komme mit wenig aus“
Heike Linke hat über sieben Jahre studiert und arbeitet seit 20 Jahren als Musikschullehrerin. Ihr Traumjob hat einen Preis: Vermutlich Altersarmut.
Der Arbeitsort
Holprige Klavierklänge aus dem Zimmer links, von gegenüber eine Harfe, weiter hinten schnarrt eine Geige und in der Ferne rumpelt ein Schlagzeug. „In der Musikschule ist hinter jeder Tür Musik“, sagt Heike Linke. Eine Freude sei es, hier zu unterrichten. Das Glück hat sie nicht immer, zu wenig Räume für den riesigen Bedarf. Für einige Kurse muss Linke in die angrenzende Grundschule ausweichen: Turnhallenbänke an den Wänden, ein schmuckloses Schulklavier in der Ecke. Die drei Schränke für ihre Trommeln und Klanghölzer, bunten Tücher und Reifen, „die sind hart erkämpft“.
Mit unserer „Arbeit in Serie“ werfen wir alle zwei Wochen Schlaglichter auf die Berliner Arbeitswelt, auf spannende Tendenzen und bedenkliche Phänomene. MehrfachjobberInnen, moderne ArbeitssklavInnen, ArmutsrentnerInnen: Wir schauen dahin, wo es wehtut. Aber auch dahin, wo die Berliner Wirtschaft boomt: Immobilienbranche, Unterhaltungsindustrie, Digitale Transformation. Wir stellen Fragen nach Wertschätzung und Perspektiven. Wir sprechen mit Menschen, die typisch sind für Entwicklungen und doch auch ihre ganz eigene Geschichte erzählen. Alle Folgen unter taz.de/arbeitinserie.
Der Mensch
Braune Haare zum Zopf gebunden, die Kleidung praktisch, der Körper drahtig, Lachfalten um die Augen. Laut, leise, schnell, langsam: Ihr Job heißt immer in Bewegung sein. Mit 3-Jährigen samt Eltern im Sitzkreis, mit 4-Jährigen singen und tanzen, mit 5-Jährigen den Rhythmus auf der Trommel suchen. Heike Linke ist fast 50 und seit über 20 Jahren Musikschullehrerin. Als freie Honorarkraft, feste Jobs sind die Ausnahme in diesem Beruf. Bis zu zwölf Kinder unterrichtet Linke pro Kurs, vor allem die Kleinen bis 6 Jahre, in musikalischer Früherziehung.
Wie alles begann
„Ich bin mit vier Geschwistern aufgewachsen in der DDR, bei uns zu Hause war immer das Klavier parat, wurde immer gesungen, in der Schule genauso. Mein Instrument ist meine Stimme, Sopran. Ich wollte ursprünglich auf die Bühne, habe Gesang studiert. 1989 war das. Alles im Umbruch, die ganzen kleinen Theater machten dicht, es gab einen Haufen Sänger und gar nicht mehr die Kapazitäten am Rest der Häuser. Aber ich habe dann sogar ein Jahr am Theater gearbeitet, im Chor, und war da überhaupt nicht glücklich.
Ich hatte ein Traumschloss aufgebaut als Jugendliche, das mit der Realität nichts zu tun hatte: Intrigen, Hierarchien. Ich wollte eine ehrliche Arbeit. Eine, bei der mir die Menschen sofort ins Gesicht sagen, das macht Spaß oder eben nicht. Ich habe dann einmal in eine Stunde musikalische Früherziehung reingeschnuppert und es war klar, das ist genau das. In Berlin konnte man elementare Musikpädagogik berufsbegleitend studieren, so kam ich hierher.“ Siebeneinhalb Jahre Studium werden es am Ende sein, seit 1998 unterrichtet Heike Linke an Berliner Musikschulen.
Die Branche
80 Prozent Honorarkräfte, die in den Ferien, viele auch bei Krankheit und im Mutterschutz kein Geld bekommen: „Lange waren die Verhältnisse an den Musikschulen kein Thema, es gab praktisch keine Chance auf Festanstellung“, sagt Linke. Ein Unikum in Deutschland, nirgendwo sonst gibt es so viele freie MitarbeiterInnen, die den Musikschulbetrieb aufrechterhalten. „In den letzten Jahren ist die Stimmung immer besorgter geworden.“
Musikschulen Die 12 öffentlichen Berliner Musikschulen, in den meisten Bezirken mit mehreren Standorten, sind fester Bestandteil in der Bildungslandschaft, mehr als 50.000 SchülerInnen bekommen hier ihre musikalische Grundausbildung. Die Wartelisten sind lang, auf einen Platz etwa für Instrumentalunterricht müssen Kinder und Eltern häufig ein Jahr und länger warten. Die Kosten sind in der Regel geringer als private Angebote, EmpfängerInnen von Hartz-IV-Leistungen können Zuschüsse aus dem Bildungspaket beantragen.
MusikschullehrerInnen Obwohl gerade einige feste Stellen geschaffen wurden, arbeiten die meisten der 1.800 Lehrkräfte immer noch als freie Honorarkräfte. Nur 20 Prozent der Unterrichtsstunden werden von Festangestellten erbracht. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt sind es rund 75. Die freien Honorarkräfte machen schon seit Jahren mit Unterstützung von Verdi immer wieder auf ihre prekäre Situation aufmerksam. Die Honorarkräfte werden nur für die Unterrichtsstunden bezahlt, viele bekommen kein Kranken- , Mutterschafts- und Urlaubsgeld. Weil die Stundensätze mit rund 24 Euro vergleichsweise gering sind, rutschen viele freie MusikschullehrerInnen in die Altersarmut. (mah)
Vielen Älteren droht die Altersarmut. Linke hat auch KollegInnen, die über 70 Jahre alt sind, die einfach nicht aufhören können zu arbeiten.
Die Arbeitszeit
An zwei Musikschulstandorten arbeitet Heike Linke 12 Stunden pro Woche – so viele werden ihr zumindest bezahlt, die reine Unterrichtszeit. Dazu kommen Vor- und Nachbereitung, jeden Monat die Honorarabrechnung. „Aber das zähle ich gar nicht zusammen.“ Die Unterrichtsstunden liegen vor allem in den Nachmittags- bis Abendstunden – dann, wenn die Kinder aus den Kitas und Ganztagsschulen kommen. „Familienfreundlich ist der Job nicht“, sagt die zweifache Mutter, alleinerziehend, die oft nicht vor sieben zu Hause ist. „Aber ich habe auch eine gewisse Freiheit, kann spannende Projekte annehmen, wenn sie kommen.“ Linke gibt noch Kurse an der Landesmusikakademie, in einer Kita, an der Uni.
Die Bezahlung
Was bleibt übrig am Monatsende? „Eine Erfahrung, die Freude.“ Heike Linke lacht. In Monatslöhnen rechne sie nicht, sondern in Schuljahren: Im September, nach den großen Ferien, in denen sie anders als die Festangestellten kein Geld bekommt, ist alles alle. Nur mit Disziplin und den zusätzlichen Jobs überbrückt sie zwölf Wochen Ferien im Jahr. „Der 1. Mai neulich, Tag der Arbeit – für mich war das kein Feiertag. Der Mittwoch ist mein arbeitsreichster Tag und an einem Feiertag geht mir mein ganzes Honorar verloren.“
Musikschullehrerin Heike Linke
Im vergangenen Jahr hatte sie ein Bruttoeinkommen von 18.000 Euro. „Da bleibt nichts übrig, gar nichts“, mit zwei Kindern, kaum Unterhalt und einer Monatsmiete von 850 Euro. Was sie sich leistet? „Einkaufen im Bioladen, aus Überzeugung. Urlaub im Zittauer Gebirge oder mal an der Ostsee, aber nicht im Sommer, dann ist es zu teuer.“ Stellen die Kinder keine Ansprüche? „Wenn ich sage: Urlaub oder neue Klamotten, ist die Entscheidung klar. Beides geht nicht.“ Zufrieden sei sie trotzdem, nur passieren dürfe nichts. „Meine Waschmaschine ist 20 Jahre alt und mein Auto hat 150.000 Kilometer, aber die halten durch, die kennen meinen Geldbeutel.“
Das Gewissen
Rein. „Das ist die ehrliche Arbeit, die ich gesucht habe.“ Eine Arbeit, die den Kindern nütze, der Gesellschaft und ihr selbst.
Die Wertschätzung
„Wenn ich merke, was es für einen Run auf meine Kurse gibt, wenn die Kinder mich umarmen und singend aus der Musikschule laufen, dann fühle ich mich immer wieder wertgeschätzt, ja.“ Und von der Politik? „Da ist viel in Bewegung gerade. Das hätte vor zehn Jahren niemand gedacht, dass mal wieder neue Stellen ausgeschrieben werden. Wie viele das sind und zu welchen Bedingungen, das steht auf einem anderen Blatt, da ist noch nicht alles perfekt.“ Vor Kurzem sah es beinahe so aus, als könnte auch Heike Linke noch einmal auf eine Festanstellung hoffen, die halbe Stelle hatte sie schon fast sicher. „Aber die hätten mich mit 0 Jahren Berufserfahrung eingestuft, das war für mich nicht zu ertragen.“ Sie hätte kämpfen können, aber „so viel Kraft habe ich nicht, die brauche ich für was anderes“.
Die Perspektive
Was steht in der Renteninformation? „Unter der Brücke Nummer drei. Nee, im Ernst, 300 Euro oder so. Ich zahle in die Künstlersozialkasse ein und kann sonst nichts zurücklegen. Aber ich habe da irgendwann einen Cut gemacht, weil klar war, wenn ich über das Älterwerden nachdenke, werde ich verrückt. Ich muss jetzt leben, heute und morgen. Ich habe eine wunderbare Arbeit, die ich gern mache. Und ich bin gesund. Ich darf mir keinen Kopf machen, was in zehn Jahren ist.“
Und doch hat sie vor einem halben Jahr ernsthaft in Erwägung gezogen, als Quereinsteigerin an die Grundschule zu wechseln, noch einmal 5 Jahre Ausbildung. Aber die Rechnung – finanzielle Sicherheit versus kreative Freiheit –, sie ging für Heike Linke auch an dieser Stelle nicht auf. Also freie Musikschullehrerin, bis sie nicht mehr kann? „Ich habe eine Musikpädagogin erlebt, die hat sich mit 80 auf dem Fußboden gekugelt wie ein Osterei. Das geht.“
Linke hofft auf den Tarifvertrag, um den die freien MusikschullehrerInnen zusammen mit der Gewerkschaft seit Jahren kämpfen, der mehr Honorar und Absicherung bringen soll. Und welche Pläne hat sie sonst? „Ich sage immer zu meinen Kindern: Wenn sie 18 sind, ziehe ich aus. Dann suche ich mir eine ganz kleine Bleibe, vielleicht einen Zirkuswagen irgendwo auf dem Land. Ich komme mit ganz wenig aus. Und vielleicht kommt dann noch mal eine neue Perspektive, auf jeden Fall aber bleibt die Musik.“
Was kaufen Sie sich von unverhofften 100 Euro?
„Karten für die Philharmonie. Das kann ich mir sonst nicht leisten.“
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