Arbeit für Flüchtlinge in Jordanien: Besser dortbleiben als herkommen
14 Millionen Euro steckt die Bundesregierung in Stellen für Flüchtlinge in Jordanien. Der Gedanke dahinter: Das ist billiger als Integration hierzulande.
Sein Arbeitsgerät sind schwarze Müllsäcke und eine neue Schaufel. Khaled al-Hassan*, Flüchtling aus Syrien, macht hier in Jordanien die Straße sauber. Es ist Mittag, es herrschen 33 Grad, der Schweiß läuft ihm über das Gesicht. Neben der asphaltierten Fahrbahn hackt er kleine Sträucher aus dem Boden, in denen sich die umherschwirrenden Plastiktüten, die „jordanischen Vögel“, verfangen. Zahlreiche Getränkedosen und Kunststoffflaschen kratzt er ebenfalls zu Haufen zusammen.
Vor al-Hassan ähneln die Straßenränder einer Müllkippe, hinter ihm sieht es aus wie geleckt. Ein Effekt, der in spätestens einer Woche nicht mehr zu erkennen sei, meint der jordanische Vorarbeiter. Dann muss er die Arbeit von vorne beginnen.
Der Mann mit rotem Basecap, gelber Warnweste und grauem Vollbart ist Ende 40. Er stammt aus der syrischen Großstadt Dar’a etwa 50 Kilometer nördlich von hier. Vor zwei Jahren wurde er in seiner Heimat verhaftet. Im Gefängnis schlug man ihn so, dass er auf dem linken Ohr fast nichts mehr hört. Er wendet den Kopf und deutet auf das Hörgerät. Nach einem Jahr konnte er fliehen. Nun kehrt er die Straßen in der jordanischen Kleinstadt Wasattyah, bezahlt mit deutschem Geld. „Das ist zum Glück endlich ein sicheres Einkommen“, sagt al-Hassan, „davon kann ich meine Familie einigermaßen ernähren.“
Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Entwicklungsorganisation der Bundesregierung, schickt für diese Zwecke dieses Jahr 14 Millionen Euro nach Jordanien. Anfang September 2015, als Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, ließ Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bei der GIZ-Filiale anfragen, was man vor Ort tun könne.
Syrer räumen in Jordanien Abfall weg
Müllers Absicht: Besser zahlt man den Syrern Geld, wenn sie noch in den Nachbarländern ihrer kriegsverwüsteten Heimat leben. Dann bleiben sie vielleicht dort und wandern nicht nach Norden weiter. Damit könne sich Deutschland eine Menge Probleme ersparen, vermutet der Minister. Außerdem sei die Hilfe zum Dableiben billiger als die Integration hierzulande.
So finanziert die Bundesregierung nun etwas, was die Deutschen besonders gut können: saubermachen, Müll trennen. Syrer räumen jetzt in Jordanien mit deutschem Geld Abfall weg.
Die benachbarte Stadt Mafrak an der jordanischen Grenze hatte vor dem Krieg in Syrien etwa 70.000 Einwohner. Nun sind es schätzungsweise 140.000, die Hälfte davon Flüchtlinge. Darauf war die Müllabfuhr nicht eingerichtet. Die Lkw fuhren rund um die Uhr, bis sie kaputtgingen. Die Müllentsorgung brach zusammen. Nun spendieren internationale Geldgeber neue Müllautos.
Die GIZ kümmert sich um das Training der Mechaniker, sagt Ralf Senzel, Ingenieur aus Frankfurt/Main, der seit zweieinhalb Jahren in Jordanien arbeitet. Außerdem soll der gesammelte Müll getrennt, Rohstoffe wie Papier und Plastik sollen recycelt werden. Dabei will man syrischen Flüchtlingen auch Berufsqualifikationen vermitteln, mit denen sie später mehr Geld verdienen können.
Es geht vor allem um billige Aushilfsjobs
Doch zunächst geht es vor allem um billige, einfache Aushilfstätigkeiten. Mit seinem Cash-for-Work-Programm (Geld für Arbeit) finanziert das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) dieses Jahr rund 6.000 Stellen mit mindestens 50 Arbeitstagen.
Zum Beispiel für die Reinigung eines Picknickplatzes bei Wasattyah. Hier, zwischen Felsen, unter Pinien und Olivenbäumen, verbringen jordanische Familien gerne das Wochenende. Abends quellen die wenigen Mülleimer über und viele Essensreste liegen herum. Die sammelt Mohammed Emad Alusch* nun auf.
In Syrien arbeitete er auf dem Bau. „Als wir in Jordanien ankamen, war es anfangs sehr schwierig“, berichtet er, „nur ab und zu konnte ich einen Gelegenheitsjob finden.“ Jetzt arbeitet er vier Tage pro Woche und verdient „gutes Geld“. Das reiche für Lebensmittel und die Miete seiner Wohnung. Zusammen mit 20 weiteren Arbeitern durchkämmt er den Park und füllt die Müllsäcke. Auf seiner Warnweste trägt er die deutschen und jordanischen Nationalfarben, darunter den Schriftzug „Deutsche Zusammenarbeit“.
Aus Sicht der deutschen Steuerkasse ist das Projekt ein Geschäft. Von der Gemeinde Wasattyah, letztlich aber vom BMZ, bekommt Alusch 200 jordanische Dinar pro Monat. Das sind etwa 250 Euro. Würde er nach Europa reisen und hier als Flüchtling anerkannt, erhielte er inklusive Miete mindestens 700 Euro. Hinzu kämen Kosten für den Sprach- und Integrationskurs.
Das Ganze ist Teil von Schäubles und Müllers „Marshallplan“
Auch für Alusch persönlich macht die Sache Sinn: „Wenn es eine Perspektive gibt, so wie jetzt, bleibe ich gerne hier, in der Nähe meiner Stadt Dar’a. Vorher, ohne Arbeit, habe ich nach einer Gelegenheit gesucht, wie ich weiterziehen kann.“
Im Falle von Alusch – und einigen seiner Kollegen, die Ähnliches sagen – klappt Minister Müllers Plan. Die Flüchtlinge bleiben, wo sie sind. Das ist Teil einer größeren Strategie. Der CSU-Politiker und auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nennen sie „Marshallplan“. Mit diesem Begriff nehmen die beiden Bezug auf das umfangreiche Programm, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die Staaten Westeuropas unterstützten.
In der aktuellen Situation geht es laut Müller um nichts weniger, als die Staaten der Region des Mittleren Ostens zu stabilisieren, „die Flüchtlingskrise zu bewältigen und Syrien nach einem Ende des Krieges wieder aufzubauen“. Schäuble dehnte die Vision auf Nordafrika und die Regionen südlich der Sahara aus.
Aber der Vergleich mit dem großen Vorbild hinkt. Für den historischen Marshallplan gaben die USA nach heutigem Wert rund 100 Milliarden Euro aus. An diese Summe reichen die heutigen Anstrengungen nicht heran. Bei der Londoner Syrienkonferenz im Februar 2016 kündigten unter anderem die Vereinten Nationen, Großbritannien und Deutschland an, bis 2018 rund neun Milliarden Euro für Syrien und die Nachbarländer zu mobilisieren. Rund drei Milliarden Euro will die Bundesregierung in diesem Jahr ausgeben, um Probleme im Zusammenhang mit der Migration zu lindern und die Ursachen von Fluchtbewegungen zu bekämpfen.
Zweifel an dem Programm
Vor Ort in Jordanien spielt ein umfassender Marshallplan augenblicklich keine Rolle. Was es gibt, sind einzelne Maßnahmen: mehr Cash-for-Work-Stellen, Unterstützung für die jordanische Wirtschaft, Geld für Schulen, damit diese syrischen Flüchtlingskindern zusätzlichen Unterricht anbieten können. Sinnvolle Dinge, die kaum aber den großen Begriff rechtfertigen.
„Ich hege Zweifel“, sagt Mathias Mogge, Vorstandsmitglied des Verbandes Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro). „Es wären deutlich mehr Geld und eine bessere Kooperation beispielsweise innerhalb der EU nötig, damit man von einem ausreichenden Programm für den Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika sprechen könnte.“
Am Picknickplatz kommen inzwischen die Lkws an und holen den Müll ab. Aus dem Schatten einer Pinie beobachtet Wasattyahs Bürgermeister Emad Assam die Szenerie. Der wohlgenährte Mann mit weißem Schnäuzer findet gut, was die GIZ hier tut. Wobei er die Erfolgsaussichten relativiert: Nach Beginn des Krieges in Syrien habe seine Gemeinde etwa 10.000 Flüchtlinge beherbergt. Mittlerweile sei die Zahl auf 8.000 bis 9.000 gesunken, weil einige weiterzogen. „Deutschland ist attraktiv“, sagt der Bürgermeister, „die Schulen, das Gesundheitssystem.“ Ein Arbeitsplatz in Syrien sei für Flüchtlinge ein Argument zum Bleiben, aber nicht unbedingt das entscheidende.
Und er legt Wert darauf, dass auch seine Leute etwas von dem Programm mitbekommen. Der Bürgermeister erzählt diese Geschichte: Als die syrischen Flüchtlingskinder erstmals in jordanische Schulen gingen, schenkten die Vereinten Nationen ihnen neue Schultaschen. „Unsere Kinder bekamen nichts“, erinnert er sich. Das habe zu Neid geführt.
Bei ihrem Jobprogramm hat die GIZ daraus den Schluss gezogen, möglichst ebenso viele Jordanier wie Syrer einzustellen. Denn Arbeitslose gibt es auch unter den Einheimischen. „So kann das Projekt die Konflikte mindern“, sagt Bürgermeister Assam.
* Namen geändert
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