Arabische Literaturtage: "Wir haben keine Angst mehr"
Auf den Arabischen Literaturtagen in Frankfurt/M. sprachen Intellektuelle und Schriftsteller über die Umbrüche im Nahen Osten. Besonderes Interesse fand Syrien.
FRANKFURT AM MAIN taz | Die libanesische Schriftstellerin Alawiyya Sobh ist überzeugt: Auch in ihrem Land steht ein Großteil der Menschen auf Seiten der syrischen Opposition. Sobh ist Autorin des Romans "Marjams Geschichten" und Chefredakteurin der in Beiruth erscheinenden feministischen Zeitschrift Snob.
Sie sprach am Wochenende in Frankfurt am Main bei den von Litprom veranstalteten "Arabischen Literaturtagen" im Literaturhaus. Neben ihr waren Schriftsteller wie Boualem Sansal (Algerien), Mansoura Essedin (Ägypten) oder Najem Wali (Irak) eingeladen.
Autorinnen wie Sobh begrüßen prinzipiell die durch den "Arabischen Frühling" ausgelösten Veränderungen, äußern aber auch Befürchtungen. Organisationen wie die Muslimbrüder könnten das Machtvakuum nutzen und an Einfluss gewinnen.
Eine Entwicklung vor der auch Boualem Sansal immer wieder leidenschaftlich warnt. Im Herbst hat er den Friedenpreis des Deutschen Buchhandels überreicht bekommen. Sansal sieht die Gefahr eine Rückschlags, resultierend aus einem gefährlichen Zusammenwirken von Islamisten und alten konservativen Machteliten.
Aus solchen Tendenzen würde sich auch erklären, dass ein Comic wie Magdy el-Shafees "Metro" 2008 unter Mubarack verboten gewesen sei - und es heute, nach dem Sturz des Diktators, noch ist. El-Shafees Werk "Metro" wurde im Literaturhaus teilweise ausgestellt. Es verbindet politische Kritik mit dem Kampf um gesellschaftlich-kulturelle Freiheitsrechte, enthält einige schön gezeichnete explizite Liebeszenen.
Kontrolle der Information
Sansal spricht im Hinblick auf den Stillstand der Revolutionen in Tunesien und Ägypten von einer "katastrophalen Entwicklung". Geprägt von den Erfahrungen in Algerien, als die demokratische Opposition im Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Militär- und Staatseliten aufgerieben wurde, sei er in großer Sorge. Alles, so Sansal, verblasse derzeit vor der eskalierten Brutalität des Assadregimes: "Wir müssen Tränen über die Situation in Syrien vergiessen," sagte er und fuhr mit der Frage fort: "Was können wir tun, um den Menschen dort zu helfen und diesen Wahnsinn zu stoppen?" Sansal ist dafür bekannt, dass sich sein Engagement nicht auf reine Rhetorik beschränkt. Er fordert gegebenenfalls - wie in Libyen - Handeln und Eingreifen der Weltstaaatengemeinschaft.
Auch wenn prominente syrische Exil-Schriftsteller wie Rafik Schami in Frankfurt am Main merkwürdiger Weise fehlten, zielten viele Diskussionen auf die skandalösen Vorkommnisse im Reich Assads. Seit März befindet sich die syrische Bevölkerung in einem, wie es der Politwissenschaftler Volker Perthes nennt, "Abnutzungsaufstand" mit dem Regime. Tausende wurden ermordet, Assad schreckt vor nichts zurück. Unabhängige Berichterstattung ist nur unter Lebensgefahr möglich. Und wie die Auseinandersetzungen um die Beobachterkommission der Arabischen Liga gerade zeigte, ist die Kontrolle der Information ein wichtiges Kampffeld.
Allein deswegen war es erstaunlich, dass es der syrischen Schriftstellerin Rosa Yassin Hassan gestattet wurde, zu der Veranstaltung von Damaskus nach Frankfurt zu fliegen. 2010 veröffentlichte sie auf Deutsch den Roman "Ebenholz", der in ihrem Heimatland zensiert erschien. In Damakus hat sie auch den Verein "Frauen für die Demokratie" mitgegründet.
Hassan erinnerte das Frankfurter Publikum an die kurze Phase des Tauwetters, den Damaszener Frühling, der nach dem Machtwechsel von Assad dem Älteren zu Assad dem Jüngeren 2000 anbrach. Und auf den bald folgenden harten Damaszener Winter. Das Regime kannte nun die Gesichter der neuen Generation, schmiss viele in die Kerker.
Globalisierter Protest
Doch auch in Syrien stand die Erde nicht still. Mit dem Ende des Kalten Krieges, den Syrien stramm an der Seite der Sowjetunion verbrachte, aber vor allem auch mit der wirtschaftlichen und medialen Globalisierung verlor die Diktatur an Rückhalt in der Bevölkerung. Dreiviertel der Syrer sind heute jünger als 35 Jahre, viele arbeitslos.
Neben der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit fühlen sich viele auch von den rigide Moralvorstellungen drangsaliert, von denen auch die Autorin Maha Hassan in Frankfurt berichtete. Ehrenmorde würden von dem ach so laizistischen Assad-Regime in einigen Regionen des Landes toleriert. Die alten Moral- und Politikvorstellungen sehen jedoch jedoch viele in Widerspruch mit den technischen Modernisierungen im Telekommunikationsbereich. Hierbei hat sich einer von Assads Cousins eine goldene Nase verdiente, doch durch Mobilkommunikation und Internet wurde das Volk nebenbei eben auch immer wissender.
Die Frage, ob Assad noch die Kontrolle über das ganze Land habe, beantwortete der syrische Exilschriftsteller Rafik Schami der taz im November: "Nein, die hat er nicht. YouTube-Aufnahmen zeigen seltsame Massendemonstrationen in umzingelten Städten wie Homs oder Daraa. Seltsam, weil ein Volk, das ängstlich vierzig Jahre lang vor einem dummen Geheimdienstler zitterte, nun vor der realen Bedrohung durch Panzer nicht zurückweicht. Das gab es noch nie. Und es hat noch nie einen Herrscher gegeben, dessen Denkmäler und Bilder zerstört werden, während seine Arme den Platz umzingelt." Keine Revolution heute ohne Wackelkamera.
"Undercover Syrien"
Wo es keine unabhängige Pressearbeit gibt, werden die über Internet und Mobilfunk verbreiteten Bilder und Texte immer wichtiger. Und auch deren Interpretation. Am Rande der Arabischen Literaturtage wurde so auch der Dokumentarfilm "Syrien undercover: Im Herzen der Revolte" von Sofia Amara gezeigt und diskutiert.
Der Film basiert auf heimlichen Aufnahmen, die im August 2011 in Syrien gemacht wurden. Koordinatoren des Aufstands in Städten wie Rastan oder Homs treten anonymisiert vor die Kamera. Die Bilder zeigen zivile Protestversammlungen und Aufmärschen des Militärs. Demonstranten und Angehörige von Opfern kommen zu Wort, ebenso Mediziner, deren Gesichter unkenntlich gemacht wurden.
Sie berichten von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in syrischen Militärspitälern systematisch begangen würden. Eingelieferte verletzte Zivilisten, unter ihnen Kinder, verschwänden hier. Sie würden nicht versorgt, sondern unter Beteiligung von Medizinern bestialisch gefoltert und ermordet. "Syrien Undercover" präsentiert für diese Behauptungen auch Film- und Fotodokumente. Im Vorfeld der Tagung wurden gegen den Film Gerüchte gestreut, sie erwiesen sich bislang allerdings als völlig substanzlos.
Vor allem auch solche wie in "Syrien Undercover" vorgebrachten Anschuldungen untergraben die Autorität des Regimes weiter. In dem Film tritt auch eine Gruppe von Deserteuren auf, die sich "Freie Offiziere" nennen. Sie haben nichts mehr zu verlieren, wer erwischt wird, ist des Todes. In "Syrien Undercover" nennen sie Namen, Einheit, Dienstgrad. Sie zeigen demonstrativ Gesichter und halten ihre Ausweise in die Kamera. Niemand soll behaupten, dies hier sei bloß eine Inszenierung. Die früheren Offiziere berichten auch von Menschenrechtsverbrechen, die die Armee begeht und weswegen sie desertierten.
Alle UN-Gremien blockiert
Ob es in solch einer Situation ausreicht, eine in sich zerstrittene Beobachterkommision der Arabischen Liga nach Syrien zu schicken, dürfte nicht nur der Algerier Boualem Sansal bezweifeln. Alle verfügbaren Quellen deuten darauf hin: Assads Staat begeht in großem Masstab Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die UNO zählt zwar die toten Zivilisten, so sollen dem Assad-Regime laut UNO seit Beginn des Aufstands 5.400 Menschen zum Opfer gefallen sein, doch zum Handeln ist die Weltgemeinschaft unfähig. Die dafür entscheidenden UN-Gremien sind durch die menschenrechtlichen Zwergmächte Russland und China blockiert.
Assad setzt darauf, dass die Nachrichten aus Syrien abnehmen und seine Seite den Abnutzungsaufstand militärisch gewinnt. Doch hört man mutige Zeitzeugen wie Rosa Yassin Hassan in Frankfurt sprechen, so kann man sich dies kaum noch vorstellen.
"Wir haben keine Angst mehr," sagte sie, sei keine Parole der Minderheiten mehr, sondern haben wie in anderen arabischen Staaten auch in Syrien die gesamte Gesellschaft erfasst. Ein Jahr nach Ausbruch der Rebellion in Tunesien scheint eine Rückkehr zum Status quo im gesamten Nahen Osten kaum vorstellbar. Assad bliebe jetzt so nur noch der isolationistische Weg nordkoreanisch-iranischer Prägung. Einen, den aber wohl seine jetzigen Gefolgsleute kaum für ein attraktives Geschäftsmodell halten werden.
Der Autor hat auf den Arabischen Literaturtagen moderiert und ließ sich dort zu diesem Text anregen.
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