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Aprender español en Guatemala

Besonders Langzeittraveller, die irgendwo zwischen Mexiko und Argentinien unterwegs sind, machen einen billigen Spanisch-Schnellkurs in einer guatemaltekischen Sprachschule. Das Angebot ist groß  ■ Von Ina Kerner

„Früher war ich verletzt, wenn ich TouristInnen sah, die unsere Kleidung trugen. Jetzt ist das anders. Viele Menschen im Dorf leben davon, Trachten zu verkaufen. Aber ich habe Angst: vor Überfremdung. Der Einfluß von außen ist groß, und die Jungen wenden sich ab von unserer Kultur, den alten Sitten.“ José Calmo Cruz, Grundschullehrer und Spanischlehrer, sieht die touristische Entwicklung durchaus kritisch.

Spanischstunde in Todos Santos Cuchumatán, einem kleinen Dorf im nördlichen Hochland von Guatemala. José trägt sein gestreiftes Hemd mit dem bunten, gewebten Kragen, der bis auf die Brust herabhängt, die grellrote Hose, den schwarzen Lendenschurz und den Hut; die Männertracht von Todos Santos. Hier lernen die Kinder als erste Sprache Mam.

In Todos Santos, wo Anfang der achtziger Jahre die Armee ein Massaker verübte, wo die Landparzellen zu klein sind, um den Menschen das Überleben zu sichern, so daß viele als SaisonarbeiterInnen auf die Plantagen müssen – und wohin jede Woche rund fünfzig TouristInnen kommen, um die buntgekleideten Menschen zu betrachten, ihren Markt und die atemberaubende Landschaft drumherum. Seit zweieinhalb Jahren kommen sie auch, um Spanisch zu lernen. 1991 gründeten Cruz und andere El Proyecto Lingüistico de Español/Mam Todos Santos, eine kleine Sprachschule mit Platz für vierzehn SchülerInnen. Sie haben fünf Stunden Einzelunterricht pro Tag und wohnen bei Familien im Dorf. Nebenher können sie Dokumentarfilme sehen und Mam lernen, eine der gut zwanzig Maya- Sprachen. Sie können die Verhältnisse in einem Indigena-Dorf erfahren, das verzweifelt darum kämpft, seine Identität zu bewahren, sie aber verkaufen muß, um zu überleben. Hundert Dollar zahlen die StudentInnen dafür wöchentlich. Für die LehrerInnen und die Gastfamilien fällt davon genug ab für einen bescheidenen Wohlstand. Ihren Profit verwendet die Schule, um ein Wiederaufforstungsprojekt in der Gemeinde zu finanzieren, und einen Lehrer für die Grundschule.

Spanischstunden in Guatemala – das machen fast alle, jedenfalls die Langzeittraveller, die irgendwo zwischen Mexiko und Argentinien unterwegs sind. Weil es so billig ist: Hundert Dollar pro Woche sind der Standardpreis, für 25 Stunden Einzelunterricht, Bett mit Familienanschluß und gedecktem Tisch. Zwei Wochen, und man kann sich gut durchschlagen, einen Monat, und man spricht spanisch.

Die meisten gehen nach Antigua, der alten, schönen Kolonialstadt voller Kirchenruinen, Kopfsteinpflasterstraßen, guter Restaurants, netter Cafés, dunkler Kneipen, Kunsthandwerkmärkte, linker Buchläden, Spanischschulen und TouristInnen. Statt Dokumentarfilmen gibt es hier vor allem Milchkaffee oder Bier im internationalen Kreis Gleichgesinnter, und statt sozialen Projekten streicht ein Sprachschulbesitzer die Gewinne ein.

Und dann ist da noch Quetzaltenango, die zweitgrößte Stadt im Land, eine halbe Tagesreise von Todos Santos wie Antigua entfernt. Auch in Xela – so nennen die EinwohnerInnen ihre Stadt – gibt es mittlerweile zwei Dutzend Spanischschulen. Xela ist noch guatemaltekisch statt touristisch, hat zwei Universitäten, ein Museum mit einem zweiköpfigen Kalb und eine indigene Wirtschaftselite. Einige der Schulen arbeiten als Kollektiv, finanzieren soziale Projekte und unterrichten neben Konjunktiv, Fragepronomen oder Gossenvokabeln auch über die politische und soziale Lage ihres Landes.

„Wie jeden Freitagabend sind wir sehr traurig“, sagt Nery Fernandez jeden Freitagabend mit einem Stapel riesiger Abschiedsdiplome in der Hand und muß dabei einen Moment grinsen, weil er jeden Freitagabend dasselbe sagt. Dann übergeben die LehrerInnen ihren SchülerInnen die Urkunden, und die SchülerInnen müssen irgend etwas sprechen auf spanisch, und dann singen die LehrerInnen Protestlieder, und dann singen manchmal die SchülerInnen, und dann sammelt jemand Geld ein und geht Bier kaufen, und irgendwer stellt die Musik an, und fast alle tanzen Salsa.

Seit drei Jahren gibt es die Escuela de Español Juan Sisay, die nach einem indigenen primitivistischen Maler, einem Autodidakten vom Atitlansee benannt ist. Zweiundzwanzig SchülerInnen haben dort Platz, und die LehrerInnen, die ihr Projekt selbst verwalten, studieren nebenher an der Universität. Die meisten von ihnen sind politisch aktiv, und politisch ist der Anspruch der Schule. Zusätzlich zum Sprachunterricht bieten sie deshalb Vorträge an, zeigen Filme oder organisieren den Besuch verschiedener Projekte. Die Escuela Juan Sisay finanziert mit ihrem Gewinn eine Gruppe sozial benachteiligter Kinder, finanziert ihre Schul- und Arztbesuche und lädt sie zweiwöchentlich zu einem großen Essen ein. Daneben betreibt sie ein Wiederaufforstungsprojekt und unterstützt eine Kindertagesstätte auf einer selbstverwalteten Plantage. Zweimal pro Jahr beherbergt sie Xela-Aid, eine Gruppe von ÄrztInnen und Handwerkern aus Kalifornien, die eine Woche lang Brillen verpassen, Krankheiten kurieren helfen und Häuser ausbessern. „Mir macht's riesigen Spaß, hier zu arbeiten“, erzählt Joel Meyer, der gringo des Centro de Estudios de Español Pop Wuj. (In vielen Schulkollektiven in Quetzaltenango arbeitet eine hängengebliebene Reisende, um beim Übersetzen und Verwalten zu helfen.) Er steht an der Spüle im Hof der Schule und wäscht Socken. „Die Atmosphäre hier ist sehr familiär und kollegial.“ Fünfzehn bis zwanzig SchülerInnen lernen im Schnitt am Centro Pop Wuj. Auch diese Schule ist selbstverwaltet, die LehrerInnen studieren an der Universität oder sind gerade fertig, und neben dem Spanischunterricht gibt es ein Programm täglicher Aktivitäten. Das Centro Pop Wuj unterhält vier Projekte, in die es zum Großteil seine SchülerInnen einbindet: Latrinen- und Herdbau in einer kleinen Gemeinde, eine Mittagsküche für Kinder und einige Studienstipendien für bedürftige GuatemaltekInnen.

Eine ähnliche Schule ist El Proyecto Lingüistico Educación para Todos, ein Ableger des Proyecto Lingüistico Quetzalteco de Español, ebenfalls in Quetzaltenango, und mit diesem und der Schule in Todos Santos lose verbunden. „Wir haben drei Ziele“, erzählt der Lehrer Oscar Gómez, der gerade seinen turnusmäßigen zweiwöchigen Bürodienst leistet: „Spanisch unterrichten, Mittel erwirtschaften, mit denen wir Bildung finanzieren können, und unseren SchülerInnen einen Eindruck vermitteln von der Realität Guatemalas.“ In den Kalender nachmittäglicher Aktivitäten sind vor allem Filmtitel eingetragen; die Gewinne der Schule finanzieren Grundschullehrer.

Die fünfte und älteste Schule im ideellen Bunde ist das Instituto Central América ICA. Sie hat Platz für über vierzig SchülerInnen, gehört statt einem LehrerInnenkollektiv dem Gründungsehepaar, und finanziert verschiedene soziale und ökologische Projekte.

Freitagnachts in Quetzaltenango. Wenn die Schulfeste zu Ende sind, ziehen internationale Pulks, manchmal von Guatemalteken dominiert, in Richtung Stadtrand, zur discoteca La Garage. Dort tanzen sie dann abwechselnd zu Reggae, Texmex und einer Techno-Version des Ententanz. „Freitag ist da Gringotag“, erklärt Minor, ein Gastfamilienenkel.

Information und Kontaktadressen: Wer Hausaufgaben macht, kann sich nach zwei Wochen Unterricht gut auf spanisch durchschlagen und spricht nach einem Monat ohne Mühe. Voranmeldungen sind im Regelfall nicht notwendig.

Preise schwanken je nach Jahreszeit und Schule zwischen 100 und 120 US-Dollar pro Woche.

„El Proyecto Lingüistico de

Español/Mam de Todos Santos“,

Todos Santos Cuchumatán,

Huehuetenango, Guatemala,

América Central;

„Cervantes Academia de

Español“ (halbalternatives Pro-

jekt), 5a. Calle Poniente No. 42,

La Antigua, Guatemala,

Telefon/Fax: 00502-9-320635;

„Escuela de Español Juan Sisay“, 15 Avenida 8–38, Zona 1, Quetzaltenango, Fax: 00502-963-0327;

„Centro de Estudios de Español Pop Wuj“, 1a. Calle 17–72,

Zona 1, Quetzaltenango,

Telefon/Fax: 00502-961-8286;

„Proyecto Lingüistico Educación para Todos“, 6a. Calle 7–42,

Zona 1, Quetzaltenango,

Telefon: 00502-961-4857;

„Proyecto Lingüistico Quetzalteco de Español“, 5a. Calle 2–40,

Zona 1, Quetzaltenango,

Telefon/Fax: 00502-963-1061;

„Instituto Central América ICA“, 1a. Calle 16–93, Zona 1, Quetzaltenango, Tel./Fax: 00502-963-1871

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