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„Anwerben, ansetzen, abschalten“

■ Grüner Bundestagsangestellter wurde seit fünf Jahren beschattet / Das baden–württembergische Innenministerium dementiert Aufforderung zu Straftaten an Bedienstete des Verfassungsschutzes

Aus Stuttgart D. Willier

Winfried Taschler, Geschäftsführer des Regionalbüros der Bundesgrünen im Oberschwäbischen Ravensburg, wurde nach Auskunft des baden–württembergischen Innenministers seit über fünf Jahren vom Amt für Verfassungsschutz überwacht und beschattet. Vor Pressevertretern erklärte der Vorsitzende des ständigen Ausschusses im Stuttgarter Landtag, Lang (CDU), Taschler habe Beziehungen zu linksextremistischen Gruppen unterhalten, sich an gewalttätigen Demonstrationen beteiligt, selbst zu solchen aufgerufen und sich im privaten Kreis positiv zu einem Brandanschlag auf das Bundesamt für Verfassungsschutz im Sommer dieses Jahres geäußert. Der baden–württembergische Innenminister bestritt nicht, daß einzelne Mitglieder der Grünen aufgrund von „Erkenntnissen“ vom Verfassungsschutz beobachtet würden; eine generelle Beschattung habe es aber nie gegeben. Die Ravensburger V–Frau Vera Mößner, die nach dreimonatigem „Dienst“ ihre Kontaktbeamtin zusammen mit Winfried Taschler und Mitarbeitern der taz in einer dramatischen Aktion enttarnt hatte, bezichtigte der Vorsitzende des ständigen Ausschusses der Lüge. Frau Mößner sei niemals zur Beteiligung an Straftaten aufgefordert worden. Auf eine Strafanzeige wolle man aber verzichten, um nicht andere V–Leute von einer solchen Tätigkeit abzuschrecken. Rezzo Schlauch, Vertreter der Grünen im ständigen Ausschuß, kritisierte die Bespitzelung grüner Geschäftsträger heftig: Sogenannte Erkenntnisse des Verfassungsschutzes hätten in fünf Jahren offenbar weder zu einem Ermittlungsverfahren noch gar zu einer Strafanzeige ausgereicht. Die Grünen sind der Meinung, daß der Verfassungsschutz überhaupt abgeschafft werden müsse. In einem weiteren, von der ARD–Sendung Panorama berichteten Fall soll eine V–Frau über sieben Jahre „wertvolle“ Informationen aus dem „Umfeld der RAF“ geliefert haben. Die Frau war bereits im Februar 1985 aus dem Dienst ausgeschieden, weil sie sich nicht ausreichend entlohnt fühlte. Sie hatte in der Panorama–Sendung angekündigt, ihre Forderungen nach neuer Identität und einer Abfindung von 250.000,– DM notfalls gerichtlich einklagen zu wollen. SPD–Mitglieder des ständigen Ausschusses forderten eine sofortige Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes, der Abgeordnete der Grünen nannte die bisherigen Kontrollmöglichkeiten eine „schlichte Farce“.

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