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Anwalt über pakistanischen Richter"Die Fragen passten Washington nicht"

Pakistans Oberster Richter wurde abgesetzt, weil er Verschwundenen nachforschte - sagt der Anwalt Muneer Malik. Nach fünf Monaten wurde sein Hausarrest nun aufgehoben.

Wieder auf freiem Fuß: Iftikahr Chaudhry, ehemals Oberster Richter in Pakistan. Bild: dpa

taz: Herr Malik, Iftikahr Chaudhry, der frühere Oberste Richter Pakistans, ist wieder frei. Präsident Musharraf hatte ihn fast fünf Monate lang unter Hausarrest gestellt. Warum?

Muneer Malik: Präsident Musharraf hatte Angst, dass Chaudhry zusammen mit den Anwälten zum Obersten Gericht marschieren und sich wieder auf den Stuhl des Obersten Richters - also seinen legitimen Platz - setzen würde. Das hätte einen Eklat gegeben. Die alten Richter waren ja mit Gewalt entfernt und durch neue Richter ersetzt worden.

Die neuen Richter hatte Musharraf persönlich ausgewählt?

Ja, handverlesen.

War das legal?

Unserer Meinung nach nein. Die neuen Richter haben das aber für rechtskräftig erklärt. Aber das ist, als ob man einen Dieb zum Richter ernennt. Im Jahr 2000 hatte Musharraf schon einmal das Gleiche gemacht. Aber das war noch zu einer anderen Zeit, das Internet war damals in Pakistan noch nicht so zugänglich wie heute. Und als dann der "Krieg gegen den Terror" oberste Priorität bekam, da wollte man eine Richterschaft, die nicht nach verschwundenen Personen fragt. Chaudhry aber verlangte Rechenschaft über den Verbleib der Vermissten.

Er stellte der Armee Fragen?

Ja. Er fragte die Armee und die Geheimdienste: Wo sind die Verschwundenen? Einige waren in Guantánamo, Afghanistan oder Ägypten, wo sie verhört wurden, andere hatte man da schon ganz aus der Welt geschafft. Und wieder andere fanden sich irgendwo in Pakistan ein.

Was ist mit denen passiert?

Manche wurden aus der Haft entlassen, andere kamen vor Gericht. Um nicht missverstanden zu werden: Es ging uns nicht darum, dass diese Leute freigelassen werden. Sondern darum, dass sie ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen. Was passiert denn, wenn das Gesetz im Kampf gegen den Terror einfach außer Kraft gesetzt wird? Heute fängt man ein paar Terroristen, aber morgen verschwinden Unschuldige, und übermorgen werden dann private Rechnungen beglichen. Wo hört das auf?

Waren die Inhaftierten denn alle Angehörige der Taliban oder Islamisten?

Nein. Es gab eine Reihe von Nationalisten aus Belutschistan darunter, die für Autonomie ihrer Region kämpften, oder Nationalisten aus Sindh. In einem Krankenhaus in Islamabad habe ich einen Mann angetroffen, den hatte der Geheimdienst kassiert, weil ein Armeeoffizier eine Liebesaffäre mit seiner Frau eingegangen war: Da stand der Mann plötzlich im Weg. Chaudhry war es, der den Offizier dafür zur Rechenschaft zog.

Warum wollte Musharraf nicht, dass das Verschwinden von Menschen ans Tageslicht kommt?

Das hätte die Amerikaner in Verlegenheit gebracht. Viele Menschen waren ihnen ja überstellt worden. Es war im Interesse der USA, dass die Justiz nicht nach deren Verbleib fragt.

Die "Bewegung der Anwälte", der Sie angehören, wurzelt in den späten Siebzigerjahren, als sich der islamistische General Zia-ul Haq an die Macht putschte. Was motivierte Sie damals?

Einerseits wollten wir die Einstellung der Leute verändern: Wir wollten ihnen beibringen, was Recht und Gerechtigkeit ist. Pakistans Gesellschaft ist noch immer feudal geprägt; in den Dörfern bestimmen die großen Feudalherren das Gesetz. Wenn etwa ein Mitglied von Stamm A jemanden von Stamm B erschießt, ruft der Feudalherr beide Stämme zu einer Jirga - einem Rat - zusammen. Als Kompensation für den Toten aus Stamm B befiehlt er, dass drei Mädchen von Stamm A den Söhnen der Familie des Toten zur Frau gegeben werden. Damit wären sie quitt.

Das ist die Tradition?

Ja, aber das ist doch keine Gerechtigkeit! Schließlich war es doch nicht das Verbrechen der Mädchen, dass jemand getötet wurde. Gerechtigkeit wäre, wenn der Mörder vor Gericht käme. Chaudhry wollte diese archaischen Sitten ändern. Er zitierte die Feudalherren und die Polizisten, die solch ein Vorgehen akzeptierten, zu sich und bestrafte sie. Erinnern Sie sich an den Fall von Mukhtar Mai, dieser jungen Frau, die von einer ganzen Gang vergewaltigt wurde, als es um einen Familienstreit ging? Sie war so mutig, vor Gericht zu ziehen. Die westlichen Medien haben ihr applaudiert. Aber Musharraf beschuldigte sie, "Pakistan in ein schlechtes Licht zu stellen".

Hat sich Chaudry denn viele Feinde gemacht?

Ja, zumal er auch Fällen von Regierungskorruption nachging. So wurden die Stahlwerke, das größte Staatsunternehmen Pakistans, an eine Gruppe von Geschäftsleuten verscherbelt, die den Segen des damaligen Premierministers hatten. Nachdem das Oberste Gericht den Fall untersucht hatte, sagte Chaudhry, der Preis entspreche nicht einmal dem Wert des Grundstücks, auf dem das Werk stand, und erklärte den Verkauf für ungültig.

Hat die Bewegung der Richter und Anwälte die großen Medien auf ihrer Seite?

Ja. Aber auch die Zeitungen oder Talkshows, die gegen uns sind, mussten etwas über uns bringen. Rund eine Million Leute haben in unserem Land Zugang zum Internet, da kann man uns nicht verschweigen. Als dann die Berichterstattung über uns durch die Regierung unterbunden wurde, gingen die Leute auf die Straße, um sich über unsere Aktionen aus erster Hand zu informieren. In den Städten ist SMS ein effektives Mittel, um Nachrichten zu verbreiten. Also wurden wir immer mehr.

Die Zivilgesellschaft steht also hinter Ihnen?

Ja. Unser Problem ist nur, dass diese Zivilgesellschaft größtenteils aus gut gekleideten Frauen mit Jeans und Schmuck besteht. Mit den Frauen aus den Dörfern gibt es keine Gemeinsamkeiten, deshalb werden wir als elitär angesehen. Und es stimmt: Die Organisationen der Zivilgesellschaft sind im Grunde elitäre Organisationen. Es ist die Intelligenzija, ohne Zweifel. Aber wenn es darum geht, auf die Straße zu gehen, sind es doch zu wenige.

Wie viele Menschen können Sie denn mobilisieren?

Nach der Absetzung des Obersten Richters war unsere Strategie, dorthin zu gehen, wo unsere Unterstützer sind. Wir konnten ihn nicht zu den Stämmen im fernen Nordwesten nehmen. Wir mussten nach Lahore, wo 5.000 unserer Leute leben und Zehntausende auf dem Weg von Lahore nach Islamabad und Rawalpindi auf uns warteten.

Was ist mit den Studenten?

Unter General Zia-ul Haq wurden alle Studentenorganisationen verboten. Die Studenten sind noch immer dabei, aus dieser Depression herauszufinden.

Interessant, dass ausgerechnet die Richter politisch aktiver sind als die Studenten!

Stimmt. Normalerweise sind Richter als Gruppe konservativ, weil sie sich an Gesetze und Institutionen halten müssen. Aber hier ist es anders. Die Politik hat bewirkt, dass sich die Richter plötzlich an der vordersten Front der Veränderung wiederfinden. Das ist beispiellos.

Woran liegt das?

Das Herstellen einer unabhängigen Justiz ist für Pakistan jetzt das Wichtigste: Darauf kann man ein stabiles politisches System aufbauen.

Werden Sie vom Ausland unterstützt?

Nein. Wir wollen uns nicht den Vorwurf einhandeln, vom Ausland finanziert zu werden: Dann würden wir den Respekt des pakistanischen Volks verlieren.

INTERVIEW: ELISABETH KIDERLEN

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