Anwalt über Schadensersatz für NS-Opfer: "Italien spielt Berlins Spiel mit"
Der Rechtsanwalt Joachim Lau vertritt bei dem Verfahren Italien gegen Deutschland vor dem Haager Gericht die NS-Opfer. Er glaubt sie werden im Verfahren vergessen.
taz: Herr Lau, worum geht es in dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), in dem Deutschland gegen Italien steht?
Joachim Lau: In diesem internationalen Rechtsstreit klagt Deutschland die Anerkennung seiner Staatenimmunität vor italienischen Gerichten ein. Kurz: Deutschland will das Prinzip anerkannt sehen, dass Privatbürger, die im Zweiten Weltkrieg Opfer deutscher Verbrechen wurden, kein Recht darauf haben, vor ausländischen Gerichten Schadenersatzansprüche geltend zu machen.
Was heißt das konkret für Ihren Mandanten?
In Wirklichkeit geht es um die Annullierung der bescheidenen Schadenersatzansprüche des Herrn Ferrini in Höhe von 30.000 Euro, die ihm von einem italienischen Gericht dafür zugestanden worden sind, dass er zwischen 1944 und 1945 von den deutschen Truppen nach Thüringen verschleppt worden war, um dort mit einer Bullenpeitsche zur Arbeit in einer unterirdischen Waffenfabrik gezwungen zu werden.
Die von der deutschen Bundesregierung geltend gemachte Immunität eines ausländischen Staates vor ausländischen Gerichten hatte die italienische Justiz dem deutschen Staat im Fall des Herren Ferrini nicht mehr zugestanden. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass die Durchsetzung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit unter die universelle Gerichtsbarkeit aller Staaten fällt, weil durch solche schweren Menschenrechtsverstöße die internationale Rechtsordnung als Ganzes bedroht ist.
Wie viele Verfahren laufen denn noch in Italien gegen Deutschland?
Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat am Montag das Verfahren über die Zulässigkeit von Entschädigungsklagen gegen Deutschland im Zusammenhang mit NS-Verbrechen begonnen. Deutschland hatte das höchste Gericht der Vereinten Nationen angerufen, nachdem es von italienischen Gerichten zu Schadenersatzzahlungen verurteilt worden war. Damit verstoße Italien gegen das Völkerrechtsprinzip der Staatsimmunität, erklärte die Vertreterin Deutschlands, Susanne Wasum-Rainer, in Den Haag.
Der Anlass für das Verfahren in Den Haag war eine Klage eines ehemaligen italienischen NS-Zwangsarbeiters. Seine Entschädigungsklage gegen Deutschland war vom höchsten italienischen Gericht für zulässig erklärt worden. Wann die Richter eine Entscheidung treffen, steht noch nicht fest. (epd)
Meiner Kenntnis nach sind zwischen 200 und 300 Verfahren anhängig. Sehr wenige Verurteilungen sind bisher ergangen, sowohl wegen deutscher Massaker als auch wegen der Deportation und Zwangsarbeit.
Sie vertreten vor italienischen Gerichten auch griechische Mandanten, und auch um deren Ansprüche geht es jetzt in dem Verfahren vor dem IGH.
Da geht es um die Schadenersatzansprüche der Nachfahren von Opfern des Massakers von 1944 in dem Dorf Distomo. Im Jahre 2000 hat das Oberste Zivilgericht Griechenlands den Immunitätseinwand der Bundesrepublik zurückgewiesen mit der Begründung, dass der ausländische Staat bei der Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen stillschweigend auf seine völkerrechtlichen Immunitätsrechte verzichtet habe.
Die Vollstreckung des Urteils konnte dann jedoch in Griechenland nicht erfolgen, weil die griechische Regierung unter dem Druck der deutschen Regierung nicht die erforderliche Erlaubnis erteilt hatte. Wir haben deswegen das Distomo-Urteil in Italien zur Vollstreckung gebracht, weil hier nach einem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts die Zustimmung der Regierung nicht erforderlich ist.
ist Anwalt und vertritt vor italienischen Gerichten italienische und griechische Opfer der NS-Besatzung sowie deren Nachfahren.
Sind Sie nicht froh, dass der IGH jetzt die Frage klären soll? Internationalen Gerichtshof
Keineswegs. Anstelle ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nachzukommen, hat die Bundesregierung es vorgezogen, den Gerichtshof in Den Haag anzurufen. Vor dem Weltgericht soll, abstrakt und abseits der Öffentlichkeit sowie ohne die Beteiligung der Betroffenen, über die innerstaatliche Zulässigkeit und Durchsetzbarkeit des Schadenersatzanspruchs von Herrn Ferrini verhandelt werden.
Und Italiens Regierung?
Sie spielt dieses Spiel der Bundesregierung mit. Die Berlusconi-Regierung hat sich, sicherlich auch wegen der wirtschaftlichen Dominanz Deutschlands, "überzeugen" lassen, einer "Klärung dieser Rechtsfrage vor dem Internationalen Gerichtshof zuzustimmen. Ohne diese Zustimmung hätte das Verfahren nicht eröffnet werden können.
Welcher Weg müsste stattdessen eingeschlagen werden?
Für die Entschädigungsfrage aus der Besatzungszeit zwischen 1943 und 1945 einschließlich der Zuständigkeit der jeweiligen nationalen ordentlichen Gerichte ist ausschließlich zuständig ein Schiedsgerichtshof oder der Europäische Gerichtshof. Denn Deutschland hat in rechtswidriger Weise sowohl die Forderungen meiner Mandanten als auch die Möglichkeit, diese gerichtlich geltend zu machen, aberkannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass