: Anwälte fordern Freispruch für Inge Viett
■ Ankläger gegen Anwendung der Kronzeugenregelung
Koblenz (AP) — Im Prozeß gegen das ehemalige RAF-Mitglied Inge Viett haben die Verteidiger Freispruch in allen Anklagepunkten gefordert. Für den Fall einer Verurteilung setzten sich die Anwälte am Montag vor dem Oberlandesgericht Koblenz dafür ein, daß auf Inge Viett die Kronzeugenregelung angewendet werde. Die Bundesanwaltschaft hatte für die 48jährige lebenslange Haft wegen versuchten Mordes an einem Polizisten sowie für die Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag auf Nato-General Alexander Haig gefordert.
Inge Viett hatte 1981 in Paris einen französischen Polizisten angeschossen, der sie verfolgt hatte. Der Mann ist seitdem querschnittsgelähmt. Die Anklage wertet den Schuß als Mordversuch. Viett-Anwalt Jürgen Fischer erklärte dagegen, der Schuß sei unbeabsichtigt losgegangen, es handle sich somit um eine inzwischen verjährte schwere Körperverletzung.
Die zweite Beschuldigung, Inge Viett sei an dem Anschlag auf Nato- Oberbefehlshaber Haig am 25. Juni 1979 beteiligt gewesen, nannte Fischer „eine Erfindung der Bundesanwaltschaft“. Seine Mandantin habe weder Opfer, Ort noch Zeitpunkt eines geplanten Anschlages der Rote Armee Fraktion (RAF) gekannt. Zu dem Zeitpunkt des Anschlags habe sie noch zur getrennt von der RAF operierenden Gruppe „2. Juni“ gehört.
In seinem Plädoyer stellte Fischer die Aussage des Ex-Terroristen Werner Lotze in Frage, Inge Viett habe dem Kommando, das den Anschlag geplant habe, eine Maschinenpistole nach Brüssel gebracht. Der Anwalt stellte die Anträge, mehrere Zeugen zu vernehmen, so etwa die verurteilten Terroristen Peter- Jürgen Boock, Susanne Albrecht, Silke Maier-Witt und andere.
Die Bundesanwaltschaft will die Kronzeugenregelung nicht anwenden, weil Inge Viett sich weigert, frühere Mittäter zu belasten. Anwalt Becker sagte dagegen, die Angeklagte habe umfassender zu der Zusammenarbeit zwischen RAF und der Stasi ausgesagt als andere. Deshalb komme sie für die Regelung in Frage. Inge Viett sagte in einem kurzen Schlußwort, von der Schuld an dem französischen Polizisten werde sie nichts entlasten. Sie hoffe jedoch, die Richter würden ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren beachten. „Außer den Vertretern der Bundesanwaltschaft weiß doch jeder, daß ich mein politisches Denken geändert habe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen