: Antworten
■ an Herrn Prof. Dr. Dieter Borch meyer und allen anderen Unter zeichnerInnen des Briefs zu Ger trud Fussenegger, taz vom 11.11.93
Zur Verteidigung von Frau Fussenegger ziehen Sie – als Alibi – Juden heran, die – wie Paul Cassirer und Max Tau – in die Emigration gezwungen wurden. Die Wiener Kulturwissenschaftler Grandner, Heiß, Klamper bezeichnen eine solche „Vorgangsweise nur als weiteres Beispiel von Antisemiten: ,daß übrigens der Jude X auch dabei war, daß der Jude Y auch die Meinung vertreten hat‘ etc.“ (Zit. Forum 444, 57). Abgesehen von der ungeklärten Frage, ob Max Tau die antisemitischen Textstellen von Gertrud Fussenegger gekannt hat oder nicht, stellen wir Ihnen die Frage: Ist judenfeindliche Prosa durch einen freundlichen Brief eines Juden aus der Welt zu schaffen?
Unter Dutzenden von Besprechungen zitieren Sie aus der einzigen negativen, die uns bekannt ist, in der freilich der Autor immer noch Hoffnungen auf Fussenegger setzt – „eine der begabtesten Dichterinnen unserer Zeit“ –, was Sie unzitiert lassen. Diese Kritik hat Fusseneggers Karriere im Dritten Reich keinen Abbruch getan: Nach der „Mohrenlegende“ konnte die Autorin sechs weitere Bücher veröffentlichen, darunter ihren größten Erfolg – „Die Leute auf Faibeson“ in einer Auflage von 40.000. Daher fragen wir Sie: Woraus schließen Sie, daß Gertrud Fussenegger aus dieser Einzelkritik Schaden erwuchs?
Fussenegger beschreibt in ihrem Lebensbericht auf Seite 272, die Resonanz auf ihre „Mohrenlegende“: „Die Zeitungen besprachen gut, in einem Kölner Blatt erschien ein großer Artikel, über eine ganze Seite: ,Das junge Talent‘. Sogar der Mann, der mein Manuskript von Langen-Müller zurückgeschickt hatte, äußerte sich jetzt bedauernd, da sei ihm ein Lapsus unterlaufen. Ich konnte zufrieden sein.“
Sie hingegen behaupten, die Nationalsozialisten hätten die „Mohrenlegende“ als „Mitleidwerbung für Andersrassige“ bezeichnet. (Wir kennen dieses Zitat nur als Eigenaussage der Autorin in ihrem Lebensbericht „Ein Spiegelbild mit Feuersäule“, Stuttgart: DVA 1979, Seite 305 f.) Aus NS-Zeiten ist diese Aussage nicht nachgewiesen und daher fragen wir Sie: Woher stammt dieses Zitat? Zu Ihrer Verantwortung als Wissenschaftler zählt auch der präzise und sorgsame Umgang mit Quellen. Wir ersuchen Sie hochachtungsvoll, diese der Öffentlichkeit bekanntzugeben oder ihre Unterschrift zurückzuziehen. Forschungsgruppe Kulturge-
schichte: Angela Gruber, Vorsit-
zende; Thomas Zernig, Stellver-
tretender Vorsitzender
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen