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Antworten auf den Verfall

■ Yahya Kemal (Istanbul) und Fernando Pessoa (Lissabon) dichteten gegen den Zusammenbruch ihrer Kulturen

Beide Dichter wurden um die Jahrhundertwende geboren: Yahya Kemal am 2. Dezember 1884, Fernando Pessoa am 13. Juni 1888. Kaum wurden sie sich ihrer Umwelt bewußt, fanden sie sich inmitten sich auflösender Verhältnisse und zerfließender Werte.

Zwar lebte Pessoa am westlichsten Zipfel des europäischen Kontinents und Yahya Kemal am östlichsten. Doch sie empfanden ähnlichen Schmerz: Die Kultur, der sie sich verpflichtet fühlten – die portugiesische für den einen, die osmanische für den anderen – war im Verfall begriffen. Schuld daran waren die Umwälzungen in Europa zu Beginn des neuen Jahrhunderts.

Beide Poeten fanden eine ähnliche Antwort auf den Verfall: die Wiederbelebung grundlegender Werte als Antwort auf den Niedergang. Lissabon und Istanbul waren Städte, in denen sich portugiesische und osmanische Kulturen konkret manifestierten. Fernando Pessoa war verliebt in Lissabon, Yahya Kemal in Istanbul.

Ihre Leben haben sie in ihren geliebten Städten zu Ende geführt. Fernando Pessoa starb am 30. November 1935 in Lissabon, Yahya Kemal am 1. November 1958 in Istanbul. Keiner von beiden hat je geheiratet. Beide haben sie den größten Teil ihres Lebens in Pensionen und Hotelzimmern verbracht. Beide haben den französischen Dichter Stéphane Mallarmé und den amerikanischen Dichter Edgar Allan Poe bewundert.

Und beide haben gegen Ende ihres Lebens den großen iranischen Philosophen und Dichter Omar Khayyam übersetzt, dessen Gedichtform rubaiyat Ost und West nachhaltig beeinflussen sollte. Der Traum, den die beiden Poeten träumten, hatte den Osten mit dem Westen da schon längst vereint. Ömer Erzeren

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