■ Antisemitismus: Ministerpräsident Stolpe und der Fall Gollwitz: Das Brandenburger Chamäleon
Manfred Stolpe war zu DDR-Zeiten ein vielbeschäftigter Kirchenmann. Bekanntlich ist er heute Sozialdemokrat und Ministerpräsident eines Landes, aus dem meist wenig Schmeichelhaftes zu Schlagzeilen gerinnt. Stolpe aber weiß sich stets zu helfen, ist Brandenburgs Werbeagentur in eigener Sache. Wo der Ministerpräsident auftritt – die angeblich so Bedrängten und Deklassierten des Ostens können seiner Fürsorge sicher sein. Stolpes Politikstil erinnert an säkularisierte Seelsorge, darauf bedacht, die Gemütslage der Einwohner nicht zu überfordern.
Zuletzt war es der Gemeinderat des Dorfes Gollwitz, dessen einstimmiger Beschluß gegen die Aufnahme russischer Juden den Ministerpräsidenten eilig zur Interpretationshilfe trieb. Das Verhalten der Gollwitzer, erst aus Stolpes Mund wurde es der Republik erklärt: Das Motiv der Ablehnung sei kein Antisemitismus, sondern schlichtweg ein „Planungsfehler“ seiner Regierung, die einem kleinen Ort einfach zuviel zumute. Nun hat Stolpe sich auf Einladung des Berliner Tagesspiegel mit Ignatz Bubis getroffen, um die durch seine Äußerungen ausgelöste Empörung zu glätten. Doch was als Korrektur verstanden werden soll, gerät auch diesmal wieder nur zur lauen Ausflucht. Zunächst versicherten sich Stolpe und Bubis ihrer gegenseitigen Wertschätzung, so als sei Gollwitz kein Politikum, sondern schlichtweg ein persönliches Mißverständnis, eine Privatfehde, die auf Salonebene beendet werden könne. In der Sache aber bleibt Stolpe sich treu. Den Ostdeutschen stünde im Umgang mit Fremden noch eine riesige Lern- und Lehraufgabe bevor. Das klingt, im siebten Jahr der Vereinigung, wie Hohn. So als seien Antisemitismus und Rassismus in der DDR Fremdworte gewesen, die nun erst im gesamtdeutschen Unterricht mühsam buchstabiert werden müssen.
Zudem vereinnahmt Stolpe pauschal die Ostdeutschen dort, wo sich mancher Brandenburger ein klärendes Wort gewünscht hätte. Nicht zuletzt aber machen seine Erklärungen die Bewohner des Ostens zu hilflosen, verirrten Kindern, deren Worte man nicht für bare Münze nehmen muß. Bekanntlich müssen Kinder für ihr Verhalten nicht haften – im Falle Brandenburgs haben sie ihren „Landesvater“.
Der Beschluß von Gollwitz, der so einmütig ausfiel wie zu DDR-Zeiten und beängstigend an die große Volksgemeinschaft erinnert, ist die eine Seite des Skandals. Die andere ist ein Ministerpräsident, der stets besänftigt und zu erklären versucht, wo es nichts zu erklären gibt. Severin Weiland
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