Antikolonialer Anschlag in Hamburg: Aufgeklärt nach 50 Jahren
1969 detonierten auf einer Werft 20 Kilo Sprengstoff. Täter konnten nie ermittelt werden. Erst jetzt erfahren wir mehr über die Tat von Linken.
Im Hamburger Hafen gehen am frühen Morgen des 13. Oktober zwei Warnanrufe ein. Der erste erreicht um 6.13 Uhr eine Polizeistation, der zweite zwei Minuten später den Werkschutz von Blohm & Voss. Die 1877 gegründete Großwerft war mit der Produktion von Kriegsschiffen tief in den Nationalsozialismus verstrickt, wurde nach Kriegsende von den Briten geschlossen, teilweise demontiert, war aber 1955 wieder zugelassen worden und zu Beginn der sechziger Jahre dazu übergegangen, erneut Kriegsschiffe zu bauen. Ein anonymer Anrufer fordert: „Lassen Sie sofort die Korvette ‚João Coutinho‘ räumen: wir sprengen das Schiff in die Luft!“
Es dauert keine 20 Minuten, bis es tatsächlich so weit ist und um 6.32 Uhr ein Sprengsatz explodiert. Getroffen wird jedoch nicht so sehr das Kriegsschiff des Nato-Partnerlandes, sondern eine zwischen Kaimauer und der Korvette befindliche Schute. Den nicht sonderlich großen Kahn, der dem Transport von Gütern und Materialien dient, hat es so schwer erwischt, dass er in kurzer Zeit am Steinwerder-Kai versinkt. An der Korvette selbst, heißt es, sei nur geringer Sachschaden entstanden. Menschen sind nicht verletzt worden.
Die Reaktionen in der Presse sind eher bescheiden. Lediglich das Hamburger Abendblatt und die lokale Ausgabe der Bild-Zeitung informieren ihre Leser über das Ereignis. Später wird sich zeigen, dass das insbesondere bei den für den Anschlag Verantwortlichen für Verwunderung sorgt. Denn sie waren nicht nur davon überzeugt, dass sie eine spektakuläre antikolonialistische Aktion verübt hätten, sondern dass diese auch ohne die Verbreitung eines Bekennerschreibens durch das Medien-Interesse für die gewünschten Multiplikatoreneffekte sorgen würde.
Die Polizei tappt nach dem Anschlag im Dunkeln
Ganz im Gegensatz zum mangelnden Echo in der Presse widmen sich einige linke Gruppen und Zeitungen dem Anschlag. Überraschenderweise ist es aber eine niederländische Gruppierung, die als Erstes darauf reagiert. Ein in dem Nachbarland aktives Angola-Komitee lässt es sich nicht nehmen, die versuchte Attacke als antikolonialistische Aktion uneingeschränkt zu begrüßen. An Spekulationen beteiligen sich mehrere linksradikale Blätter. So wird etwa von der in Westberlin erscheinenden Wochenzeitung agit 883 behauptet, dass die Sabotageaktion von Werftarbeitern verübt worden sei.
Die mit dem Anschlag befassten Ermittler geben am Tag darauf bekannt, dass von den Tätern jede Spur fehle, man aber vermute, dass sie aus den Reihen einer antikolonialistisch eingestellten Organisation stammen würden. Konkret genannt werden das Governo Revolucionário de Angola no Exilio (Angolanische Revolutionsregierung im Exil, GRAE) und die Movimento Popular de Libertação de Angola(Volksbewegung für die Befreiung Angolas, MPLA). Diese beiden Organisationen würden auch, heißt es weiter, über Mitglieder in europäischen Studentenbewegungen verfügen. Mitglieder beider Organisationen hatten immer wieder mit Flugblattaktionen gegen den Bau derartiger Korvetten im Hamburger Hafen protestiert, zuletzt beim Stapellauf der „João Coutinho“ am 2. Mai.
Portugal tut im Übrigen so, als ginge es die Angelegenheit nichts weiter an. Ein Sprecher des in Hamburg befindlichen Generalkonsulats erklärt, dass „die Sache“ sie nicht betreffen würde. Solange die Schiffe nicht der Regierung ihres Landes übergeben worden und bis dahin Eigentum der Werft seien, hätten sie damit nichts zu tun.
Bei den 84 Meter langen und 10 Meter breiten Korvetten, die eine Besatzung von 70 Mann aufnehmen können, handelt es sich um eine eigene Schiffsklasse, die sogenannte „João-Coutinho“-Klasse. Die Schiffe verfügen über zwei 7,6-cm-Geschütze und zwei 4-cm-Maschinenkanonen in Doppellafetten. Portugal will sie zur Bekämpfung der in seinen Kolonien aktiven Guerillabewegungen einsetzen, die für die Unabhängigkeit ihrer Länder kämpfen. Nach ihrer Indienststellung sollen sie bei Patrouillenfahrten und Kampfeinsätzen in Angola, Mosambik, Guinea-Bissau und vor den Kapverden zum Einsatz kommen.
Trotz aller Anstrengungen verlaufen die von der Hamburger Staatsschutzabteilung K4 angestrengten Ermittlungen ergebnislos. Zwar sollen als verdächtig geltende Werftangehörige verhört und Mitglieder des Sozialistischen Lehrlingszentrums (SLZ) über Monate hinweg überwacht worden sein, aber niemand von ihnen wird festgenommen oder gar vor Gericht gestellt. Von den Urhebern des Anschlags fehlt jede Spur.
Erst 50 Jahre später beginnt die Aufarbeitung
Es wird schließlich ein halbes Jahrhundert dauern, bis sich das ändert. Die Betreffenden entscheiden, einen Bericht über Gründe und Hintergründe ihres Anschlags zu verfassen. Ihre Überlegungen sind eingebunden in einen kollektiven Erinnerungsprozess. Als sich die 68er-Bewegung im letzten Jahr zum 50. Mal jährte, trafen sich rund dreißig ehemalige Aktivisten – zum ganz überwiegenden Teil einstige Mitglieder des legendären Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS).
Die Hamburger Ehemaligen wollten es nicht bei einem einmaligen Treffen bewenden lassen, sondern einen Arbeitskreis bilden, um ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten. Als ein Vorgriff auf diesen Schritt ist dem Autor von einem Sprecher der Ehemaligengruppe ein Anfang März 2019 verfasster Bericht zugestellt worden, in dem der Auslöser für den Anschlag im Hamburger Hafen sowie der Ablauf der Aktion minutiös dargelegt wird. Auch wenn niemand der daran Beteiligten bereit ist, mit seinem Namen nachträglich für das Geschehene einzutreten, so gibt es keinen plausiblen Grund, an der Authentizität ihrer Darstellung zu zweifeln.
Es ist allgemein bekannt, dass die „Entdeckung“ der Dritten Welt samt den zahlreichen in Afrika, Asien und insbesondere in Lateinamerika aktiven Befreiungsbewegungen zu den Schwerpunkten der 68er-Bewegung zählte. Diese Hinwendung war maßgeblich durch die Nachrichten vom Vietnamkrieg befördert worden. Die grauenerregenden Bilder, die Tag für Tag von den südostasiatischen Schauplätzen per TV zu sehen waren, erschütterten insbesondere große Teile der jüngeren Generation.
Der Antikolonialismus ging aber weit über Vietnam als US-Stützpunkt hinaus, denn es ging dabei auch um den Restbestand an von europäischen Mächten beherrschten Ländern wie Angola. Im Frühjahr 1969 wurde dieser Aspekt von den Protestierenden aufgegriffen. So schlug etwa der seit dem Mai 1968 wegen Verletzung der Rathaus-Bannmeile mit Haftbefehl gesuchte Karl Heinz Roth, ein SDS-Kader, die Durchführung einer eigenen Kampagne gegen den Neokolonialismus vor, in deren Verlauf auch über den von Portugal in seinen afrikanischen Kolonien praktizierten Krieg aufgeklärt werden müsse.
Diese Bezugnahme kam nicht von ungefähr, denn es war den Protestierenden bereits bekannt, dass drei für die portugiesische Marine bestimmte Korvetten demnächst vom Stapel laufen sollten. Aus diesem Grunde hatte sich auch die MPLA Anfang April in Schreiben an die Geschäftsleitung sowie den Betriebsrat von Blohm & Voss gewandt und darin festgestellt, dass mit dem Bau der Kriegsschiffe eine Entscheidung für den portugiesischen Kolonialismus und damit zugleich auch für die Unterdrückung des angolanischen Volkes gefällt worden sei.
Und am Ende desselben Monats meldete sich mit Amilcar Cabral der Anführer einer anderen Befreiungsbewegung, der in Guinea-Bissau – einer an der afrikanischen Westküste gelegenen portugiesischen Kolonie – aktiven Partido Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde (PAIGC) zu Wort. Er spitzte die Vorwürfe dahingehend zu, dass die bei Blohm & Voss gebauten Fregatten „für den Völkermord im Kolonialkrieg gegen unser afrikanisches Volk bestimmt“ seien. Er richte deshalb an alle Kräfte, die sich für Recht und Freiheit einsetzen würden, „… die dringende Aufforderung, der Kollaboration zwischen den Regierungen in Bonn und Lissabon auf politischer, militärischer, wirtschaftlicher und finanzieller Ebene durch wirksame Aktionen ein Ende zu setzen“.
Zur selben Zeit führte der AStA im Auditorium Maximum der Universität eine Informationsveranstaltung zu dem in immer weiteren Kreisen als skandalös betrachteten Fall des Korvettenbaus durch. SDS-Mitglieder verteilten dort ein Flugblatt, auf dem auch der Brief der MPLA abgedruckt war.
Eine Hamburger Kommune bedenkt, was man tun kann
Der Bericht aus der Gruppe von Hamburger Ex-SDSlern beginnt damit, dass der Besuch eines niederländischen Kamerateams geschildert wird, das im Herbst 1968 in einer Hamburger Kommune vorbeigekommen war, um nähere Informationen über die drei im Bau befindlichen portugiesischen Korvetten zu gewinnen. Die in der im Stadtteil Harvestehude gelegenen Hochallee 21 lebende Kommune hatte die Aufmerksamkeit des Filmteams errungen, weil in einigen zum Thema portugiesischer Kolonialismus verteilten Flugblättern ihre Adresse gestanden hatte.
Nachdem der Film im niederländischen Fernsehen ausgestrahlt worden war, hatte das bereits erwähnte Angola-Komitee ebenfalls Kontakt zu den Kommunarden gesucht. Dessen Absicht war es, sich mit den Hamburger Antikolonialisten zusammenzutun, um sich über künftige Kooperationen bei der Bekämpfung des portugiesischen Kolonialismus, insbesondere dessen Unterstützung durch bundesdeutsche Rüstungskonzerne zu beraten.
Dabei stellte sich heraus, dass die Niederländer über enge Kontakte zur MPLA verfügten. Resultat dieser Verbindung waren die beiden bereits erwähnten an Blohm & Voss gerichteten Briefe der MPLA gewesen.
Da sich abzeichnete, dass sich Presse und Medien beim Thema Kolonialismus weitestgehend taub stellten, überlegte man, wie es gelingen könne dieses „Schweigekartell“ zu durchbrechen. Schnell reifte die Überzeugung heran, dass es einer besonders spektakulären Aktion bedürfe, um für die nötige Aufmerksamkeit zu sorgen. Auf diese Weise soll der Gedanke aufgekommen sein, einen Sprengstoffanschlag auf die im Bau befindlichen Schiffe zu verüben.
Die Beschaffung des Sprengstoffs
Um dieses Ziel zu verfolgen, mieteten sich zwei der Beteiligten im Mai 1969 einen VW-Käfer und fuhren mit ihm übers Wochenende nach Paris. Nicht aufs Geratewohl, sondern weil sie im Besitz einer Adresse waren, die Konkreteres versprach. Erster Anlaufpunkt war eine im Quartier Latin gelegene Buchhandlung. Nachdem ein zuvor ausgemachtes Losungswort genannt worden war, sei es zu dem gewünschten Kontakt gekommen. In dieser konspirativen Form ging es dann über verschiedene Umwege zu einer Wohnung, die kein Namensschild trug. Dort angekommen, musste man sich erst einmal auf eine stundenlange Diskussion über Widerstand und Politik, Einschätzungen der Sowjetunion, Kubas sowie Chinas und anderes mehr einlassen. Es schien ganz so, als habe man damit ihre Glaubwürdigkeit überprüfen wollen. Das eigentliche Ziel, Näheres über die Begehung eines Sprengstoffanschlages zu erfahren, heißt es weiter, sei dabei mit keinem Wort erwähnt worden. Anschließend ging es wieder zurück zur Buchhandlung. Dort erhielten sie lediglich den Hinweis, dass man sich bei ihnen melden würde. Doch nichts geschah. Es sah ganz so aus, als habe man die „Prüfung“ nicht bestanden oder aber als sei man ganz und gar genarrt worden.
Als der Sonnabend unverrichteter Dinge vorüber war, entschied man sich am Sonntag, auf eigene Faust einen erneuten Kontakt herzustellen.
Als die beiden nun in der Wohnung eintrafen, wurden sie zu ihrer nicht geringen Überraschung wie selbstverständlich in Empfang genommen. Fast schien es so, als habe auch die Hürde zur Selbstinitiative überwunden werden müssen, als sei das letztlich nur ein weiterer Schritt auf der Stufenleiter zur klandestin angelegten Zusammenarbeit gewesen. Nun stellte sich heraus, dass die Pariser Gruppe bereit war, den Hamburgern Plastiksprengstoff zur Verfügung zu stellen bzw. zum Verkauf anzubieten. Danach begann eine Unterweisung in den fachgerechten Zusammenbau eines solchen Sprengsatzes. Zum Abschluss der Instruktion hieß es lediglich, man werde von ihnen hören. Diesmal traf das auch tatsächlich zu.
Zwei Wochen später wurde der Sprengstoff geliefert. Um kein unnötiges Risiko einzugehen, schaffte man die 20 Kilogramm zusammen mit den vier Detonatoren in eine in einem Hamburger Vorort gelegene, unverdächtig erscheinende Wohnung. Und um sicher zu gehen, beschloss man erst einmal eine Testsprengung zu absolvieren.
Die wurde dann auf dem östlich von Rahlstedt gelegenen Truppenübungsgelände Höltigbaum durchgeführt. Der Einfachheit halber wurde die Detonation mit einem 50 Meter langen Kabel ausgelöst. Obwohl man mit 100 Gramm nur einen geringen Teil der Sprengstoffmasse benutzte, war die Wirkung so gewaltig, dass ein Baum völlig zerrissen wurde. Weil auf dem Gelände Geknalle durchaus üblich war, schöpfte offenbar niemand Verdacht.
Am 12. Oktober baute man die Bombe zusammen. Als Behälter für den Sprengstoff wählte man einen Farbeimer aus und verschloss ihn mit dem dazugehörigen Blechdeckel. Um sicherzugehen, dass keine vorzeitige Explosion ausgelöst werden würde, führte man vor Ort eine letzte Funktionsmessung durch und stellte den Auslöser auf eine halbe Stunde nach sechs Uhr ein.
Eindringen in die Werft, am Werkschutz vorbei
Kurz nach Mitternacht des darauffolgenden Tages fuhr man schließlich zur Norderelbe nach Steinwerder. Den Zaun, mit dem das Werftgelände abgesichert war, zerschnitt man an einer schwer einzusehenden Stelle mit einem Bolzenschneider. Um sich zu tarnen, hatte man sich die werftüblichen Kesselanzüge und Schutzhelme besorgt. Man wusste, dass man sehr vorsichtig würde vorgehen müssen, weil die „João Coutinho“ rund um die Uhr vom Werkschutz überwacht wurde. Man wusste allerdings auch, dass deren Angehörige es mit ihren Verpflichtungen nicht immer so genau nahmen, insbesondere nicht während ihrer Nachtschichten.
Und in der Tat – auch in dieser Nacht war der für die „João Coutinho“ zuständige Werkschutzmann ziemlich unaufmerksam. Er verbrachte längere Zeit in seinem am Heck des Schiffes befindlichen Aufenthaltscontainer. So gelang es den beiden Aktivisten in den frühen Morgenstunden des 13. Oktober wie geplant, diese mangelnde Überwachung auszunutzen. Einer von ihnen hangelte sich in Höhe des Schiffsbuges mittels eines Versorgungsschlauchs von der Kaimauer hinunter auf die sechs Meter darunter liegende Schute.
Weil sich herausstellte, dass es von dort aus keine Möglichkeit mehr gab, an Bord der Korvette zu gelangen, blieb ihm nichts anderes übrig, als den kurz zuvor scharf geschalteten Sprengsatz in einer Wassertiefe von einem Meter zwischen Schute und Korvette abzusetzen. Als der Aktivist über den Versorgungsschlauch wieder nach oben gelangt war, konnte er beobachten, wie der Werkschutzangehörige immer noch unverändert in seiner Bude saß. Er hatte von dem gesamten Vorgang nichts mitbekommen.
Trotzdem gab es noch für einen kurzen Moment die Gefahr, dass die ganze Aktion vor der Explosion aufgeflogen wäre. Denn als die beiden Bombenleger gerade dabei waren, durch das Loch im Zaun zu verschwinden, hörten sie ein „Halt, stehenbleiben!“. Das konnte nur die Stimme eines anderen Wachtpostens sein, der sie in letzter Sekunde noch beobachtet hatte. In dieser bedrohlichen Situation scheinen die deiden jedoch die Nerven behalten zu haben. Denn es heißt dazu nur, dass sie sich nicht weiter um den Wachmann gekümmert hätten. Und dieser hatte sein Misstrauen offenbar sofort wieder aufgegeben, weil es nachts ja immer mal wieder vorkam, dass Werftarbeiter das Gelände verließen, um eine nahe gelegene Kaffeeklappe aufzusuchen.
Die Suche nach der Telefonzelle
Nun blieb nur noch übrig, wie geplant vor der Sprengung zu warnen, um keine Menschenleben zu gefährden. Weil die Tagschicht um 7 Uhr begann, hatte man den Sprengmechanismus auf 6.30 Uhr gestellt. Es war verabredet worden, eine halbe Stunde vorher Polizei und Werkschutz anzurufen. Doch dann stellte sich heraus, dass die Telefonzelle defekt war. Nun gerieten die beiden doch noch in Panik. So schnell es irgendwie ging, suchten sie nach einer anderen Telefonzelle. Um 6.13 Uhr hatte man jemanden bei der Polizei erreicht und zwei Minuten später jemandem vom Werkschutz. Und weil man nicht einschätzen konnte, ob diese Anrufe überhaupt ernst genommen würden, meldete man sich um 6.20 Uhr noch ein weiteres Mal beim Werkschutz.
Es war schließlich 6.32 Uhr, als die Detonation zu hören war. Der Knall war so gewaltig, dass man ihn weit über das Hafengelände hinaus in Stadtteilen wie Altona und St. Pauli mitbekommen haben dürfte. Anstelle der Korvette sank aber nur die Schute. Die „João Coutinho“ schien lediglich an ihrer Außenhaut beschädigt worden zu sein. Möglicherweise waren aber doch größere Teile in Mitleidenschaft gezogen worden. Darauf wies jedenfalls die Tatsache hin, dass das Schiff noch einmal zur Reparatur ins Dock gebracht werden musste und sich seine Auslieferung um mehrere Monate verzögerte.
Den ganzen Tag über verfolgten die Gruppenmitglieder erwartungsvoll die Nachrichtensendungen. Stunde um Stunde verging, doch nichts tat sich. Der Anschlag schien keinerlei Echo ausgelöst zu haben. Warum nur? Erst in den Abendstunden wurde in den Nachrichten des 1. Programms der Anschlag ausführlicher geschildert. Dennoch schien das Ganze eine Pleite gewesen zu sein. Denn am Tag darauf stellte sich zudem heraus, dass mit Ausnahme der verhassten Springer-Presse keine einzige Zeitung, kein Magazin und keine Illustrierte über die Attacke auf die portugiesische Korvette berichtet hatte. Der 50 Jahre später entstandene Bericht endet mit dem Eingeständnis eines medialen Fehlschlags.
Allein in der niederländischen Presse fand der antikolonialistische Anschlag ein größeres Echo. Erstaunlicherweise verhallte der Vorstoß auch unter den im Gefolge der 68er-Bewegung entstandenen linksradikalen Gruppierungen. Der SDS war zersplittert und befand sich bereits in Auflösung. Und weder Maoisten noch Trotzkisten, weder Kommunisten noch Anarchisten schienen gewillt zu sein, das angeprangerte Thema Rüstungsexport und Kolonialismus aufzugreifen. Nur eines verdichtete sich. Die im Mai 1970 durch die Freischießung Andreas Baaders gegründete RAF schien über engere Kontakte zu verfügen. So schilderte etwa Jutta Ditfurth in ihrer 2007 erschienenen Ulrike-Meinhof-Biografie, dass die Mitbegründerin der Stadtguerilla-Truppe an der Finanzierung des Anschlags beteiligt gewesen sei, indem sie einen Teil des für die Beschaffung des Sprengstoffs nötigen Geldbetrags besorgt habe. Und als am 13. Juni 1972 Gudrun Ensslin in einer Boutique am Jungfernstieg verhaftet wurde, fand man bei ihr nicht nur eine Schusswaffe, sondern auch den Personalausweis einer jungen Frau, deren Adresse Hochallee 21 lautete. Doch all das geriet bald in Vergessenheit.
Für die beteiligten Aktivisten blieb es, wie sie heute betonen, „die einzige militante Aktion“. Die dabei eingegangenen hohen Risiken und der mediale Fehlschlag hätten zu einem Umdenken im Kampf gegen die Rüstungsexporte geführt. Man habe sich deshalb für Projekte wie Rüstungskonversion engagiert.
Epilog: 33 Jahre danach
Erst Jahrzehnte später kam es in Hamburg zu einem Anschlag, in dem für einen kurzen Moment eine Verbindung zum Geschehen des 13. Oktobers 1969 aufblitzte. In der Nacht vom 1. auf den 2. April 2012 zündeten Unbekannte in der Elbchaussee den Pkw des damaligen Blohm-&-Voss-Chefs Herbert Aly an. Auch wenn es hieß, dass bei dem Brandanschlag „keine politischen Hintergründe“ erkennbar seien, so ging man in Teilen der Presse doch davon aus, dass es sich – wie die taz zu melden wusste – um eine „antimilitaristische Aktion“ gehandelt habe. Denn es hatte in derselben Nacht noch zwei weitere, damit offenbar zusammenhängende Aktionen gegeben: einen gegen die Muehlhahn AG, eine in Wilhelmsburg angesiedelte Rüstungsfirma, gerichteten Brandanschlag, der freilich keinen größeren Schaden hatte anrichten können, und einen anderen, bei dem antimilitaristische Parolen an die Fassade einer Niederlassung der US-amerikanischen Rüstungsfirma Northrop Grumman in Hammerbrook gesprüht worden waren.
Die Verantwortung für den Brandanschlag auf Alys Mercedes hat schließlich eine „Arbeitsgruppe Oktober Neunundsechzig“ übernommen.
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