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Antikapitalismus heuteWos is des für a Revolution?

Warum ist Antikapitalismus idiotisch? Eine Begegnung mit Wolf Lotter, Mitbegründer von „brand eins“ und Autor des neuen Buchs „Zivilkapitalismus“.

Linker Neobiedermeiers: Schön die Hyazinthe im Glas ziehen und dabei auf den Kapitalismus schimpfen. Bild: hugo333/photocase.com

Wir können mit den Veränderungen der Welt nicht zurechtkommen, wenn wir nicht mal den Versuch machen, sie zu verstehen. Sagt Wolf Lotter.

Also dann: Warum ist Antikapitalismus im Jahr 2014 idiotisch, Herr Lotter? „Der Antikapitalismus, den ich kenne, ist ein Gefühlsantikapitalismus“, antwortet er lächelnd. „Insofern ist er idiotisch.“

Lotter, 51, ist Gründungsmitglied von brand eins, das als „Wirtschaftsmagazin“ sehr unzureichend etikettiert ist. Es geht um alles. Weshalb Wirtschaft im Zentrum steht, das ist ja eh klar. Beziehungsweise eben nicht. Lotter schreibt die Titelthemenessays und steht damit solitär in der Bahnhofsbuchhandel-Gegenwart. Jüngst hat er ein herausragendes Buch mit dem Titel „Zivilkapitalismus“ (Pantheon) veröffentlicht, einen Befreiungsschlag aus verkrustetem Denken. Wenn man dafür bereit ist.

Die Redaktion von brand eins arbeitet in der zweiten Etage des Zeit-Hauses am Hamburger Speersort. Am Nachmittag ist Titelkonferenz, aber zuvor ist Lotter heiter in die Gesprächsnische des Konferenzraumes gekommen, was nicht dem Augenblick, sondern seinem Wesen geschuldet zu sein scheint. Das ist jedenfalls zwei Stunden später der Eindruck.

Linker „Neobiedermeier“

Er ist ein kräftiger Mann, speziell im mittleren Bereich. Stammt wie Elfriede Jelinek aus dem österreichischen Mürzzuschlag, das liegt zwischen Wien und Graz. Es langweilt ihn, den Kapitalismus immer noch eindimensional zu denken als etwas Böses, was einem geschieht. Ohne eine Alternative beschreiben zu können. Das ist für ihn linker „Neobiedermeier“, der auf nichts hinaus will und kann. Und damit die Zivilgesellschaft nicht stärkt, sondern eklatant schwächt. Kapitalismus ist für ihn keine Ideologie, sondern ein Werkzeug, das man so oder so einsetzen kann.

Der andere Kapitalismus ist also kein delegierter „ethischer“ Kapitalismus, wie er seit einigen Jahren mancherorts beschworen wird; dass Unternehmer und Manager plötzlich umdenken und Markt und Moral versöhnen. Der andere Kapitalismus ist eigeninitiativer Kapitalismus. Du eignest dir die Ökonomie an und gestaltest sie. Zivil. Es geht also darum, sich nicht theoretisch um die anderen zu sorgen, sondern praktisch für sich und andere, etwa seine Angestellten.

Das ist selbstverständlich unbequemer, als aus der Verbeamtung, der Festanstellung und der Dachgeschosswohnung heraus „den“ Kapitalismus gemütlich rhetorisch „überwinden“ zu wollen. Lotter geht noch weiter und fordert einen „amoralischen Kapitalismus“. Tschieses Kreist, Lotter. Dafür können Sie verbrannt werden. Er grinst. „Amoralisch heißt, dass ich die Welt nicht nach meiner Vorstellung definiere, sondern sehe, was anderen hilft, ihr Leben zu verbessern.“ Moral ist für ihn das Delegieren der Eigenverantwortung, die Verweigerung, sich selbst in einer Situation ein Urteil zu bilden. „Ethisches Mitläufertum“ nennt er das.

Er sieht uns in selbstgenügsamer geistiger Gefangenschaft von Grundschulpoesiealbumsprüchen wie „Geld verdirbt den Charakter“. Das solidarische „Wir“ ist für ihn nicht die Lösung, sondern Paternalismus derjenigen, die das propagieren. Und eine Illusion, um sich der Verantwortung verweigern zu können, die nur eine persönliche Sache sein kann.

Wer denkt, Lotter sei Mitglied des FDP-Präsidiums und so weiter: Nein. Ihn befremdet indes die Häme nach der Bundestagswahl und er unterscheidet zwischen „der abgewählten Truppe“, die keiner brauche, und dem Liberalismus, für den es sehr wohl Bedarf gebe. Selbstverständlich hat er aber eine einwandfrei kommunistische Vergangenheit. Ein Großonkel, der ihn stark prägte, kämpfte in Spanien gegen den Franco-Faschismus. Und legte ihm die Schriften des Ökonomen Joseph Schumpeter zur Lektüre hin, als er 14 war. Er selbst war Mitglied der KPÖ. Zwei Wochen lang.

Mit 53 bereits in Pension

Lotter stammt aus einer Steiermärker Arbeiterfamilie. Die mütterliche Linie bestand aus Holzknechten und Tagelöhnern bei der Kirche. Krankenversicherung spendierte die nicht, dafür im Fall seines Großvaters gleich die Sterbesakramente. War billiger, wurde als nachhaltiger promotet. Wäre er innerhalb der Familienoptionen geblieben, hätte er zu den staatlichen Vereinigte Edelstahl Werken Mürzzuschlag gehen müssen oder bei der Österreichischen Bundesbahn irgendwas mit Formularen machen.

In letzterem Fall hätte er nächstes Jahr mit 53 bereits in Pension gehen können. So machten es einige seiner Jugendfreunde. Er wollte das damals nicht, wurde Buchhändler und fühlte sich als Außenseiter. Später wurde er Dichter und Mitglied der Grazer Autorenversammlung. Die war sehr politisch. Sie schrieben „unglaubliche viele Petitionen“. Es folgte nie was daraus, aber schuld waren immer die anderen. Und er fühlte sich gut.

Eine Zeit lang. Über den zweiten Bildungsweg kam er zu einem Geschichtsstudium und im Zuge dieses Kompetenzerwerbs war es mit der Monokausalität vorbei. Ende der 80er wurde er vom enttäuschten Linken zum „Internet-Theoretiker“. Er merkte, dass er tatsächlich etwas verändern konnte, für sich und für andere. Aber er machte sich auch jede Menge Illusionen. Nach dem Motto: Wir schaffen uns digital eine eigene Welt, wie sie uns gefällt. „Jetzt lernen wir, dass auch diese Welt von Staaten, Geheimdiensten und Konzernen gestaltet wird.“

Überforderte Elite

Für ihn sind die Parallelen zwischen der Finanzkrise und der NSA-Krise frappant. Hier wie da eine überforderte Elite, die das Dilemma nicht lösen kann, weil sie es nicht im Ansatz verstanden hat. Wissenschaft im Wolkenkuckucksheim und politisches Establishment, das sofort Kapital aus der Situation schlagen will, genau wissend, dass sie das Problem mitzuverantworten hat.

Mit noch mehr Regeln ist für ihn der Finanzkapitalismus nicht zu bändigen. Das System sei ja explodiert, weil der US-Finanzminister im Fall von Lehman die Verflechtung zwischen Politik und Banken („too big to fail“) aufkündigte.

Generell werde zu viel aus dem Verantwortungsbereich des Einzelnen weggenommen. Es gäbe auch kaum Kritik am Angestelltendasein, am Arbeiterleben, am „stahlharten Gehäuse“, in dem abhängig Beschäftigte steckten. Kaum einer werde inspiriert, Unternehmer zu werden oder Genossenschaften zu gründen, „also Instrumente des Marktes nutzen und der ökonomischen Emanzipation“. Woraus für ihn folgt: „Wir sind nicht bei einer fortschrittlichen Bewegung, die den Kapitalismus kritisiert, um ihn verändern zu wollen. Wir sind beim Biedermeier, der schreit, dass der Kapitalismus böse ist, weil er ihn in seiner Ruhe stört.“

Die abhängig Festangestellten, grade auch in Medienberufen, neigten zu zwei Sichtweisen auf selbstständige Unternehmer: Auf finanziell Schlechtergestellte herunterzuschauen, etwa Spätkaufbetreiber oder freie Journalisten. Und die Erfolgreichen und Bessergestellten als Feindbild nutzen. Damit man selbst fein raus ist. „Wos is des für a Revolution“, sagt Lotter heiteren Gesichts, „die auf der Befindlichkeit von Leuten beruht, deren Maßstab die eigene Festanstellung ist?“

Die Expansion in China

Lotter ist gerade Vater eines Sohnes geworden, was ja häufig dazu führt, sich über die eigene Lebenserwartung hinaus ernsthaft mit der Zukunft zu beschäftigen. Was den Klimawandel angeht und die damit verbundenen Krisen, ist er sicher, dass „wir die Expansion in China nicht überleben werden mit derselben Methode, die wir im Westen angewendet haben.“ Über die schönen „Sustainability“-Broschüren der Unternehmen kann er sich genauso aufregen wie über Ökos, die aus ethischen Gründen zur Ökodiktatur neigen. Den Schrei nach Postwachstum, also Reduktion von Verbrauch und eine schrumpfende Wirtschaft, hält er für Quatsch beziehungsweise Besitzstandswahrung jener, die mehr als genug haben.

Und der Green New Deal, nachhaltiges Wachstum, wie es der Grünen-Denker Ralf Fücks propagiert, ist ihm zu „paternalistisch und von oben gesteuert“.

Weder könne man noch will er die nachholenden Gesellschaften am Wachsen hindern. Die Frage sei daher: „Können wir Methoden entwickeln, damit wir das alle zusammen weiter wachsen lassen können?“

Auch der Rezensent der Neuen Zürcher Zeitung fand das Buch gut, bemängelte allerdings die fehlende Konkretion; also wie der Zivilkapitalismus – im Gegensatz zum Industrie- und Finanzkapitalismus – denn nun genau funktioniert. „Das halte ich für albern, den Leuten eine Anleitung zum Zivilkapitalismus zu geben“, sagt Lotter. „Eine Bedienungsanleitung wäre Bevormundung.“

Das Buch sei ein Aufruf zum Kern allen politischen Bewusstseins: „Du bist in der Lage, etwas zu ändern.“ Als sozial unternehmerisches Bürger. Die ökonomische Emanzipation, das Zusammendenken von Zivilgesellschaft und Zivilkapitalismus, die Befreiung des Menschen von seiner selbst verschuldeten ökonomischen Abhängigkeit: Das ist für Wolf Lotter der letzte und fehlende Bereich der Aufklärung.

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25 Kommentare

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  • Zivilgesellschaft, was ist das?

    Früher hatte man im Westen das Bild, das die Leute in der DDR mit gesenktem Blick nach vorn gebeugt als Bittsteller aufs Amt gehen und nicht gehen ohne sich 10 mal bedankt zu haben. Stimmt das? Wie das auch war, hat sich eigentlich die Haltung, wie man da aufs Amt geht geändert? Und wie hat man dort darüber gedacht wie man in Westdeutschland aufs Amt geht? Und wie ist eigentlich das Selbstverständnis von Beamten, von Verwaltungsangestellten? Wir sind eine Vamilie?

    Die Vorhersagemaschine glaubt: Wer Geld hat, der hat Erfolg. Wer Erfolg hat der hat Recht. Wer Geld hat, der hat Recht.Sagen die Börsen…Kann ich nix für, wegen des Berechnungskoeffizienten : Wachstum = (Löhne + Arbeitsplätze + Bevölkerungswachtum )= Minus +Börse=PLUSHalten wir uns 3, oder 4 Mio Arbeitslose? Weil nach Erwerbsregel188 große Nachfrage nach Arbeit= niedrige Löhne, bei Vollbeschäftigung 0 kleine Nachfrage=hohe Löhne. …? Apropo, was fehlt: Hady Khalil, Berliner Sparkasse, KTO:1062759091, BLZ: 10050000. Stichwort: 1 Euro fürs Rechthaben. Vielen Dank

  • dear peter unfried, wenn der wolf lotter ein stockholm-syndrom hat, why you? der politische preis für die taz wird diesen monat wieder besonders bitter zu zahlen. aber wenn die miete wieder steigt, weil mitten in der oligarchischen revolution eben nur noch beton-geld angelegt wird, werde ich an Dich denken und aufrichtig versuchen mich wie in business-punk zu fühlen, bitte schreib doch für die falls es das innovative blatt noch gibt und sie sich nicht kreativ selbst zerstört haben.

  • @COSMOPOL - Zustimmung-

     

    Es scheint, als versuche der frisch gebackene Vater Lotter eine neue kapitalistische Märchen-Erzählung, die da heißt: ‘Eigeninitiativer Kapitalismus’.

    Wenn er diese zum gegebenen Zeitpunkt seinem kleinen Sohn erzählen wird, so hoffe ich doch sehr dass, ganz im Sinne der Geschichte von

    “ Des Kaisers neue Kleider”, das Kind seinem Vater die Augen öffnet, damit dieser die nackte Realität, sprich, SCHEINgesellschaft erkennen kann. :-D

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @Ute Plass:

      Aber das schlimmste real-existierende Märchen ist doch, daß Mensch nicht ohne wettbewerbsbedingte Symptomatik wie Steuern zahlen, usw., leben kann - weshalb die Konsum- und Profitautisten dieser Welt- und "Werteordnung" mit stets GESCHLOSSENEN Augen, Münder und Ohren den Sündenbock suchen, wählen und ...!? ;-)

      • @688 (Profil gelöscht):

        @HTO - "Konsum- und Profitaustisten" - ja, das klingt nach Figuren wie aus einem Horror-Märchen. ;-)

        • 6G
          688 (Profil gelöscht)
          @Ute Plass:

          Nee, das ist immernoch die Wirklichkeit, wo keiner es gewesen sein will!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Es geht also darum, sich nicht theoretisch um die anderen zu sorgen, sondern praktisch für sich und andere, etwa seine Angestellten."

     

    Wenn man dies also EIN WENIG ernst nimmt, dann kann man zweifelsfrei sagen: DAS HATTEN WIR AUCH SCHON und als nicht reformwürdig erkannt, weil es der Kern des NATIONALSOZIALISMUS ist!!!

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @688 (Profil gelöscht):

      Bisher war jede Revolution nur eine Reform, der menschenunwürdigen Zustände im geistigen Stillstand.

      • @688 (Profil gelöscht):

        "Die einzige Revolution, die je gesiegt hat, war die technische Revolution." Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Dietmar Kamper, wenig gelesener deutscher Philosoph, immer auf der Suche nach Auswegen aus den geistigen Sackgassen, sagte irritiert gegen Ende seines Schaffens: "hatte Andres also doch recht"?

        Zum Text: Wiener Geschnetzeltes, ganz beliebig im Hier und Jetzt. Den mittlerweile von Herrschaftsinteressen missbrauchten Begriff Solidarität als mit Selbstverantwortung inkompatibel zu denunzieren, entspricht ganz dem Zeitgeist, oder richtiger Ungeist der Zeit.

        • 6G
          688 (Profil gelöscht)
          @Bernardo Markowsky:

          Im wettbewerbsbedingten Kreislauf des geistigen Stillstandes dieser real-existierenden Welt- und "Werteordnung", hatten Worte noch nie eine eindeutig-zweifelsfreie Bedeutung!

        • 6G
          688 (Profil gelöscht)
          @Bernardo Markowsky:

          "Herrschaftsinteressen" - die seit geraumer Weile unvermittelt immernoch die "individualbewußten" Gewohnheits- und Wohlstandsinteressen sind - nur ein wirklicher Tor wundert sich wahrhaftig, wenn ...!? ;-)

      • 6G
        688 (Profil gelöscht)
        @688 (Profil gelöscht):

        "Es geht also darum, sich nicht theoretisch um die anderen zu sorgen, sondern praktisch für sich und andere, etwa seine Angestellten."

         

        Wie wäre es denn damit: Wenn einer aus Gründen des "freiheitlichen" Wettbewerbs expandieren MUß, so daß der Laden nur mit mehr Menschen geschmissen werden kann, dann hat er gleichberechtigte Partner, NICHT etwa SEINE Angestellte, die sich möglichst selbst ausbeuten dürfen - die Kapitaleinlagen, die im real-existierenden Kapitalismus Ausbeutung und Unterdrückung regeln, die werden dann einzig durch Humankapital / Vernunfteinlagen gedingst!?

         

        Aber das geht dem "Zivilkapitalisten" sicher zu nahe, an seine geschürten Ängste (durch Bildung zu Suppenkaspermentalität) vor dem menschenwürdigen Sozialismus!?

        • 6G
          688 (Profil gelöscht)
          @688 (Profil gelöscht):

          "... einen Befreiungsschlag aus verkrustetem Denken."

           

          Ja, der "individualbewußte" Surfer auf dem Zeitgeist, macht sich stets die gepflegte Dummheit der Menschheit zu Nutze - z.B. für Mikrokosmen wie die taz!

  • Einer solch naiven Kritik ist ein System von der adaptiven Widerständigkeit, verführerischen Attraktivität und rationalen Brutalität des Kapitalismus wirklich nicht würdig. Ist dieser "Wolf Lotter" echt oder eine satirische Kunstfigur? Der Name könnte von Thomas Pynchon stammen

  • Bisschen sehr dünn, das alles, wa? Scheint so ein Prinzip der Band 1 zu sein: Viel blabla, paar markige Parolen und wenn man dann genauer hinsieht entdeckt man - nichts.

    Nö, ist ihr Geld nicht wert.

  • So´n Dünnschiss - die FAZ nimmt den Mann nicht mehr, jetzt klingelt er bei der taz an. Passt zusammen...

    P.S.: Ronald Barnabas Schill´s Großvater war auch in der KPD - trozdem ist aus Schill ein Rassist mit faschistoiden Auffassungen geworden.

  • C
    cosmopol

    Es gibt ja jetzt 'ne Menge Bilder eines irgendwie anderen Kapitalismus. Aber:

    "Der andere Kapitalismus ist eigeninitiativer Kapitalismus." ist so mit das abgedroschenste, was mir in letzter Zeit unterkam. Eigeninitiativ ist der derzeitige, realexistierende Kapitalismus nicht weniger, Eigeninitiative ist eine begehrte Tugend verwertender und verwertbarer Subjekte, ganz gleich ob "frei"beruflich oder "fest"angestellt. Antikapitalist*innen geht es aber eben nicht um das Verhalten im- oder die Zähmung des Systems, sondern um seine Beseitigung. Ich kann meine Angestellten so gut behandeln wollen wie ich will, trotzdem werden im Kapitalismus immer externe Dynamiken und Zwänge da sein die das verunmöglichen. Zumindest wenn ich nicht gegen meine Konkurrenz verlieren will. Wie soll denn ein System gerecht gestaltet werden dessen Minimalgrundlage das Vorhandensein und Schaffen von Gewinner*innen und Verlierer*innen, von Armen und Reichen ist? Sich die Ökonomie aneignen ist übrigens genau das ,was Antikapitalist*innen wollen. Aber nicht in dem sie Unternehmer*innen werden und in den kapitalistischen Konkurrenzwahnsinn eintreten, sondern indem die Produktionsmittel derselben vergesellschaftet werden. Der Autor schlägt da wohl entweder auf Strohpuppen oder Steinzeit-Realsozialist*innen ein. Das mag ja ganz lustig sein, ist aber vor allem billig.

    "Kann ein Mensch, der seine eigene Ökonomie nicht im Griff hat, frei sein?" Wo hat denn der kapitalistische Unternehmer die Ökonomie im Griff? Er mag darin noch so zu Hause sein, er ist ihren Regeln und Gesetzen weiterhin ausgeliefert. Glaubwürdige Antikapitalist*innen wollen das die Steuerung der Wirtschaft zum demokratischer Prozess wird. Das empfinde ich persönlich als allemal mehr Kontrolle, als den Entrepreneur zu markieren.

    • C
      cosmopol
      @cosmopol:

      Ich habe jetzt noch mal zwei andere Rezis gelesen (zitiere teils daraus), um zu sehen ob ich auch da den Eindruck habe, das eine mit ökonomischer Theoretik gespickete Ressentiment-Sammlung verkauft werden soll ... dem scheint so zu sein.

       

      Das Schlimme ist ja, das wohl durchaus richtige Thesen aufgestellt werden. "eine Welt [...], die so tut, als sei sie zivilgesellschaftlich verfasst.Das aber ist nur dann der Fall, wenn die Einflussnahme und die Entscheidungsfähigkeit möglichst vieler möglichst hoch ist."

      Ja, da stimme ich völlig zu. Und genau das, ist in einer kapitalistischen Ökonomie ein Dinge der Unmöglichkeit. Kapitalismus ist im Kern antidemokratisch, wenn er funktionieren will.

  • Ethik und Moral ist nur im kleinen Kreis möglich und wenn dann auch nur so weit wie das schwächste Glied der Gier wiedersteht. Wie sieht es denn aus wenn ein Broker oder Hedgefond Manager an der Wallstrett einen siebten Monitor gestellt bekommt mit einer Moralskala.

    Erwarteter Gewinn für Goldman Sachs 2,4 Millionen Dollar, Ihre Provision wird vorraussichtlich um 55000 $ steigen Achtung: "Verkaufen sie die Anteile von X verlieren 2512 Personen ihren Arbeitsplatz. Was wollen sie tun? Verkaufen Ja/nein

     

    Das funktioniert nicht! Solange dieser Mensch Angestellter von Goldman und Sachs ist und das mit unter seine Aufgabe ist wofür er studiert hat und bezahlt wird.

     

    Man kann alles predigen und anprangern aber das nützt nichts, einer wird die Anteile von X verkaufen und den Gewinn einstreichen. Es gibt keine Alternative zum Raubtierkapitalismus das ist wie als würde man erwarten das ein Löwe morgen anfängt Salat zu essen.

    • D
      D.J.
      @penz:

      Gewiss - nichts ist kindischer als an die Verantwortung von "Arbeitgebern" zu appellieren - zum Beispiel bei der Schaffung von Lehrstellen oder Arbeitsplätzen. Das klappt nicht mal bei Einzelnen, geschweige denn in der Gesamtwirtschaft. Politiker, die es dennoch tun, machen sich m.E. lächerlich. Da nehme ich dann sogar sehr linke Politiker ernster, die das Ganze mit Zwang organisieren wollen, auch wenn ich es für einen Irrweg halte.

      • C
        cosmopol
        @D.J.:

        Also den Leuten zutrauen sich verantwortlich zu verhalten ist Quatsch, aber sie mittel politischer Maßnahmen dazu zu zwingen auch? ;)

        • D
          D.J.
          @cosmopol:

          Auf freiwilliges verantwortliches Handeln Vieler im konkurrenzorientierten ökonomischen Umfeld zu hoffen, ist eine Illusion.

          Eine Antwort ist der Sozialliberalismus: 1. Schaffung von klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen, ohne sich zu sehr in das wirtschaftliche Handeln selbst einzumischen. 2. Sozialstaat.

          • C
            cosmopol
            @D.J.:

            Naja, staatliche Eingriffe/Rahmensetzungen beinhalten immer Zwang und Sanktion. Klar, da kann mensch sich dann streiten wie weit so ein Rahmen sein soll, da verläuft dann evtl die Grenze zwischen der "sozialen Marktwirtschaft" der CDU und dem was du hier als "liberal" verstehst.

            Sicher ist aber eins: er muss um Bestehen zu bleiben permanent erodiert und wiederaufgebaut werden, weil er den Interessen eines großen Teils der gesellschaftlichen Elite zuwiderläuft.

             

            Sozialstaat ist ein Luxus der davon abhängt, das Überschuss zum Verteilen da ist. Sich darauf zu verlassen, ist in einem permanent von Krisen geschüttelten System recht mutig. Außerdem verweist das in einer zunehmend automatisierten Welt einen guten Teil der (writschaftlich überflüssigen) Bevölkerung ans staatliche Gängelband. Und der Staat muss auch erstmal mehr aufwenden wollen als zur reinen Reproduktion unbedingt notwendig ist. Wie willst du diese Widersprüche umgehen bzw einengen?

  • „Eine Bedienungsanleitung wäre Bevormundung.“ Klar, sagen meine linkradikalen Freunde genauso bezüglich befreite Gesellschaft. Geschwister in der Methode: Die einen kritisieren den Kapitalismus, und Lotter will aus seiner eigenen "Dachgeschosswohnung heraus die Kapitalismuskritik und die irgendwie böse Wirtschaft gemütlich rhetorisch überwinden", tut also exakt spiegelbildlich das, was er den Linken vorwirft.

    • C
      cosmopol
      @Spin:

      Och naja, das "Bilderverbot" bei linken Antikappies ist ja jetzt nicht dem umstand geschuldet das feste Konzepte "Bevormundung" wären. Die gibt es tatsächlich sogar wie Sand am Meer. Sondern, dass die genaue Form dieser so einer Gesellschaft basisdemokratisch ausgehandelt würde, du eben, wenn du ehrlich sein willst, zwar spekulieren kannst wo die Reise hingeht, aber, was in der Natur der Sache liegt, eben nur essentielle Grundbausteine (Aufhebung von Klassenantagonismen etc) wirklich abstecken.