piwik no script img

Antifa spielt mit politischer Selbstjustiz

■ Hess-Demo: Linke verteilen Privenau-Privatadresse / Stadtamt in der Verbots-Klemme

Das hatte sich das Stadtamt ganz anders gedacht: Der Gedenkmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Hess ist verboten, heute entscheidet das Bremer Oberverwaltungsgericht über eine neuerliche Beschwerde des Bremer Neonazis Markus Privenau – doch jetzt machen die GegendemonstrantInnen Probleme. Die mobilisieren nämlich unter anderem für den Samstagmorgen, neun Uhr, auf den Ziegenmarkt, und bringen damit das Stadtamt in die Verbots-Klemme. Das müßte nämlich auch die Gegenaktionen verbieten, wenn es sich an die Argumentationslinie halten will, die das Verwaltungsgericht ausgegeben hat. „Wir verhandeln mit Engelszungen“, sagte Klaus Hinte, kommissarischer Chef des Stadtamtes gestern. Wer jetzt demonstrieren wolle, der spiele den Rechten in die Hände. „Ich hoffe, daß die Linken das kapieren.“ Die allerdings wollen sich ihre Aktionen nicht verbieten lassen, sagte gestern Reinhard Seekamp, Sprecher der Gruppe „Linke Einheit gemeinsam organisieren – Lego“. Und in ihrer Art der Mobilisierung sind die Legos alles andere als zimperlich: Auf Flugblättern wird unter der Überschrift „Wer ist Markus Privenau?“ nicht nur der Lebenslauf des Bremer Neonazis nachgezeichnet, sondern außerdem noch Privenaus Privatadresse verbreitet. Seekamp: „Damit die Leute in der Nachbarschaft mal sehen, wer da wohnt. Was die dann damit machen, das müssen sie selbst wissen.“

In der rechten Szene glaubt niemand an juristische Punktsiege. Erwartet wird, daß sich die versammelte Rechte am Samstag eher von der Straße fernhält. Eine bundesweit zentrale Demo ist eher unwahrscheinlich. Der Kopf der vielen Gedenkmarsch-Anmeldungen, der Hamburger Christian Worch, sei mit der Publizität im Vorfeld durchaus zufrieden. Was allerdings in der kommenden Woche auf lokaler Ebene passieren wird, das sei nur schwer kalkulierbar. Worch hat Flugblätter mit dem Hess-Konterfei drucken lassen, ein Teil der Auflage ist auch nach Bremen gekommen. Die müssen nun unter die Leute kommen, aber aller Voraussicht nach nicht am Samstag.

„Der Privenau will sich an dem Tag verstecken“, hieß es gestern aus berufenem Munde. Er hat auch allen Grund dazu, seit seine Privatadresse veröffentlicht wird. Eine Aufforderung, nein, eine Aufforderung sei das nicht, meinte dazu Lego-Sprecher Seekamp. „Wir wollen solche Leute nur aus der Anonymität holen.“

Mit derlei Aktionen bringen die linken Gegendemonstrantenm das Stadtamt ins Schwitzen. Das Verwaltungsgericht hatte nämlich das Verbot der Privenau-Demo mit der zu erwartenden Radale bei gleichzeitigen Gegendemonstrationen begründet. Nun, so Stadtamtschef Hinte, müßte auch der Umkehrschluß gelten, die linken Demos müßten genauso verboten werden wie die rechten. Gerade hatte es so ausgesehen, als sei die Lage im Griff. Hinte: „Wenn der Deubel das will, dann geht das erst richtig los. Wir sagen denen, laßt es sein, oder geht nach Bremen-Nord.“ „Das ist mal wieder typisch“, kontert Lego-Sprecher Seekamp, „hier geht es um eine politische Entscheidung und nicht um formale Kriterien“, findet er. Es müsse öffentlich Position bezogen werden, „das sagen doch die Politiker immer.“

Vier Gegendemonstrationen waren ursprünglich angemeldet, alle für den Fall, daß dert Heß-Gedenkmarsch stattfindet. „Die erledigen sich also von selbst“, sagt Klaus Huinte. Bei einer Anmaldung verhandelt das Stadtamt noch. Lego hat erstmal nur zu einem Treffen an den Ziegenmarkt eingeladen. Dort soll abgewartet werden, ob sich die Neonazis auf die Straße trauen. Seekamp: „Dann sehen wir weiter, ob die Rechten was machen.“

Jochen Grabler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen