piwik no script img

Antifa in KöpenickEin Haus geht mit der Zeit

Einst saß im "Haus der Jugend" die FDJ-Kreisleitung. Nach der Wende wurde ein Club für Jugendliche daraus. Die engagieren sich gegen die neuen Nachbarn von der NPD.

Relikt aus alter FdJ-Zeit. Leninbüste Bild: ap

Ein ganz normaler Freitagabend im Haus der Jugend Köpenick. Viel los ist nicht. Aus den Probenräumen im Keller dröhnen Schlagzeugbeats und Gitarrenriffs. Der Flur ist mit Plakaten tapeziert, die längst vergangene Konzerte ankündigen. Auf der Bühne im Konzertraum stehen ein Schlagzeug, Verstärker und ein schlecht gestimmtes Klavier. Ein paar Leute kommen schließlich doch. Auch die Bands im Keller beenden ihre Proben, um sich das Konzert der Kreuzberger Band "Zargenbruch" anzuhören. Es herrscht Wohnzimmerstimmung; Bierflaschen klirren, die Konzertpause wird für eine Runde am Kicker genutzt.

Jan Bloch steht hinter dem Mischpult. Mehr als 70 Konzerte mit jungen Bands mischt der Mann mit den grauen Locken jedes Jahr ab. Seit 1993 ist er Leiter des Jugendclubs. "Vor der Wende saß in diesem Haus die FDJ-Kreisleitung", erzählt der 50-Jährige. "Bis auf eine Gruppe von Thälmann- und Jungpionieren war das ein reines Verwaltungsgebäude." Wenige Wochen nach dem Fall der Mauer waren die meisten Funktionäre weg. "Damals wurde beschlossen, dass dieses Haus allen engagierten Jugendlichen offenstehen soll", sagt Bloch. Im Januar 1990 gab der letzte FDJ-Sekretär den Jugendlichen den Schlüssel und ging. Von da an war die Seelenbinderstraße 54 besetzt. In den nächsten zwei Jahren entwickelte sich das Haus zu einem szenigen Jugendclub für engagierte Jugendliche gegen rechts. Und es bekam einen neuen Namen: nicht Café, sondern Cafe, mit kurzem "e". Es war die Zeit des "Alles ist möglich", die Zeit, in der auf einmal alle Menschen politisch waren, weil die Umbrüche sie direkt betrafen. Im Cafe wurden eine eigene Zeitschrift und eine Liedermacherplatte herausgegeben. "Wer damals nicht politisch war und ins Cafe kam, der wurde es", erinnert sich Uta Köbernick, eine damalige Aktive.

Als Jan Bloch 1993 Leiter des Cafe wurde, waren die meisten kreativen Köpfe wieder verschwunden. "Es ist ihnen einfach zu viel geworden, denn so ein Haus bedeutet auch Arbeit", sagt er. "Die Arbeit blieb immer bei denen kleben. Irgendwann hatten sie einfach keine Lust mehr, ständig die umgefallenen Bierflaschen anderer Leute wegzuräumen." Übrig geblieben waren die Punks und Hippies, diejenigen, die abhängen wollten, die das Cafe als zweites Zuhause sahen. "Ich wollte das ändern. Es sollte wieder so werden wie früher, und darin sah ich meine Aufgabe: einen organisatorischen Hintergrund und einen rechtlichen Rahmen für kreative Jugendliche zu schaffen."

Es folgten jahrelange Auseinandersetzungen zwischen den verbliebenen Jugendlichen und Bloch. Drogenkonsum und extremistische Ansichten wollte er in einem staatlich geförderten Jugendclub nicht dulden. Einige Aktive aus der Zeit meinen, das sei der Grund dafür, dass immer weniger neue Jugendliche ins Cafe kamen. Aber das sollte sich bald wieder ändern.

Denn im August 1999 kauften Erwin Kemna und zwei Kameraden in unmittelbarer Nachbarschaft des Clubs das Haus Seelenbinderstraße 48 für 370.000 Mark. Kemna, damals Schatzmeister der NPD, vermietete es an seine Partei, die dort ihre Zentrale einrichtete - keine 150 Meter entfernt vom Haus der Jugend Köpenick. 2002 verkauften Kemna & Co. es an die NPD für 282.000 Euro.

Doch erst als im Januar 2000 die rot-weiß-schwarze Fahne der NPD vor dem Haus gehisst wurde, wurde den Leuten im Cafe klar, wer ihre neuen Nachbarn sein sollten. Im Februar fand ein großes Krisentreffen statt, zu dem Vertreter alle Köpenicker Jugendclubs kamen. Schnell waren sich alle einig, dass sie ihren Protest zeigen mussten: Statt der erwarteten 300 beteiligten sich über 3.000 Menschen an einem bunten Straßenumzug im März. Ganze Familien kamen, die Kinder bunt verkleidet und auf Rollschuhen.

"Es war klar, dass ein Protest, der nur aus Opposition besteht, schnell einschläft", sagt Conny Heidrich. Sie engagierte sich damals ehrenamtlich gegen rechts und bekam deshalb die Stelle für politische Bildung im Bezirk Köpenick. "Wir wollten einen bunten, kreativen Protest, der sich nicht aus einer Dagegen-Haltung definieren sollte. Alle waren eingeladen, und selbst den Nachbarn, der sich sonst für gar nichts interessiert, wollten wir davon überzeugen, dass dieses Problem ihn direkt betrifft." So entstand das Bündnis "Bunt statt Braun", das Aktionen und Kampagnen gegen Rechtsradikalismus organisiert. Bis heute findet einmal Jahr das Benefizfestival "Bands für Bunt" statt.

Für das Cafe sollte dies der Auftakt für eine ganze Reihe von Veranstaltungen werden. Man beteiligte sich am Christopher Street Day mit eigenen Wagen, veranstaltete Transvestiten-Bälle, machte 2004 eine Ausstellung über das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. "Höhepunkt der Bälle war, dass wir Gruppenfotos vor NPD-Parteizentralen schossen", erinnert sich eine ehemalige Aktive. Sogar eine eigene Fachbibliothek mit den Schwerpunkten Rassismus und Zivilcourage wurde im Jahr 2007 eingerichtet.

Die NPD hingegen hielt sich bedeckt. Seit ihrem Einzug hat es fast keine direkten Konfrontationen zwischen dem Cafe und den Rechten gegeben. Nur einmal hätten tagsüber plötzlich fünf, sechs Glatzen im Flur gestanden, erzählt Conny Heidrich. Die Leiter hätten vergessen, vor einer Besprechung die Haustür abzuschließen. So freundlich wie möglich sei den Rechten gesagt worden, das Cafe sei im Augenblick nicht geöffnet. Darauf hätten sie sich umgedreht und seien wieder gegangen.

Viele der damals engagierten Jugendlichen sind inzwischen erwachsen und weggezogen oder haben keine Zeit mehr. Seit 2007 arbeitet auch Conny Heidrich nicht mehr im Cafe. Ihre Nachfolgerin setzt neue Akzente in der politischen Bildung: Sie hat den Europäischen Freiwilligendienst ins Cafe gebracht und engagiert sich für die heimatlosen Menschen in der Westsahara. Manche werfen ihr vor, sich zu wenig mit den politischen Geschehnissen im Umfeld des Hauses zu beschäftigen. Doch viele Jugendliche kommen heute ohnehin nicht mehr, um Politik zu machen. Sie möchten einfach ihre eigenen Projekte verwirklichen.

Laura und Eva sind 15 und 16 Jahre alt. Seit zwei Jahren proben sie hier zweimal in der Woche mit ihrer Band Equal Nuts. Für sie ist das Cafe ein ganz besonderer Ort - aber nicht wegen seiner Vergangenheit: "Schon als wir das erste Mal hier ankamen, sind wir sofort ernst genommen worden. Wir haben einen Probenraum bekommen, und sie haben uns geholfen, Konzerte zu finden, auf denen wir spielen können. Jan motiviert uns ständig", erzählen die beiden.

An die Zeit vor 1989 erinnert heute nur noch ein Lenin-Gemälde: Mit erhobenem Kopf schaut der Revolutionär in die Ferne. Bevor es vor einigen Jahren über der Bar aufgehängt wurde, hatte es seinem Platz auf dem Klo. Von da aus hat er alle kommen und gehen sehen: Hausbesetzer und Anarchisten, Punks, Politiker, Musiker, Hetero- und Homosexuelle. Nur keine Nazis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!