Anti-Tracking-Möglichkeiten im Netz: Riesiger Schatten, halb Bär, halb Hund
Wie findet man heraus, mit welchem Dienst man am besten Tracking verhindert? Ein Selbstversuch in ungezählten Akten. Aber es gibt ein Ergebnis.
BERLIN taz | Ich sitze seit vier Stunden vor dem Rechner, ich will etwas über Me and my shadow schreiben, eine Plattform zur Förderung des Datenschutzbewusstseins. Auf der Seite gibt man ein, welche Endgeräte, Dienste und Betriebsplattformen man nutzt, und die Seite sagt einem dann, wo man welche Daten losgeworden ist. Das wird dann visualisiert, als digitaler Schatten. Das ist doch mal was, womit man arbeiten kann.
Bei mir ist es ein riesiger Schatten, halb Bär, halb Hund. Eigentlich sieht er ganz nett aus, wie aus einem Kinderbuch, für – sagen wir – Neunjährige. Im Begleittext würde dann stehen: Das hier ist dein digitaler Schatten. Das sind die Rückstände deines digitalen Lebens, jene Daten, die Du hinterlässt und die die Lumpensammler einsammeln, um dich zu vermessen.
Also: dachte ich. Soweit ich das richtig sehe, weiß die Seite gar nicht genau, welche Daten ich hergebe, sondern rät sie bloß. Aber nach welchem Muster? Das sagt sie mir nicht. Warum, weiß ich nicht. Müsste ich aber wissen, wenn ich darüber schreibe. Wenn ich das nicht verstehe, wie soll das ein Leser verstehen, der in drei Minuten diesen Artikel überfliegt und sich auch sonst nicht mehr als es die Krankenkasse empfiehlt mit dem Thema auseinandergesetzt hat?
ist freier Autor der taz. Außerdem hat er ein Buch geschrieben („Randgruppenmitglied“, 2010, Verbrecherverlag), twittert unter //twitter.com/#!/freval:freval, hat eine Lesebühne in Neukölln („Read on, my dear“) und arbeitet an seinem zweiten Buch. Um nicht die ganze Zeit nur am Schreibtisch zu sitzen, arbeitet er noch als Krankenpfleger.
Irgendwo weiter unten, am letzten Ende der Seite, steht, das sei eine closed beta Version. Noch nicht ganz fertig also. Aber Hauptsache, man hat mal sensibilisiert für die ganzen Datenkollekte. Wer seine Daten wahllos verteilt, hat so nen Schatten. Ich könnte jetzt aufschreiben, dass das Ding nett gemacht ist und eventuell ein paar weniger netzaffine Leute anspricht, sich mit dem Thema Datenschutz zu befassen. Allerdings hab ich den Eindruck, dass sich weniger netzaffine Leute fast nur noch mit dem Thema Datenschutz befassen. Und andererseits: Wenn sie da ein Tool-Problem haben, werde ich nicht dafür bezahlt, ihnen zu helfen, das Problem zu lösen? Falls sie es gelöst haben wollen.
Es ist halb zwölf, ich habe mehr Browsertabs offen als Gehirnzellen in Betrieb. Ich dachte, ich seh mich mal um, was es so für Antitracking-Add-Ons gibt, ich bin noch nicht einmal auf Seite vier der ersten Googlesuche und weiß: biblisch viele. Mehr, als Abraham Nachfahren hat. Und ich rede hier nur von Firefox.
Eine angeschmolzene Eisblume
Was ich immerhin herausfinden konnte: Viel cooler als Me and my shadow ist Collusion, das mir in einem sehr hübschen Diagramm aufmalt, auf welchen Seiten ich schon war und wer da an andere Seiten Daten verschickt. Meine kleine Animation sieht inzwischen aus wie eine angeschmolzene Eisblume hinter einem umgedrehten Fernrohr. Zeit für ein paar Runden Solitär, diesem Beruhigungsschaukeln derjenigen, die den ganzen Tag am Rechner sitzen.
Was ich auch gelernt zu haben glaube: Für Firefox taugen vor allem Ghostery, Adblock Plus und NoScript. Ghostery nutze ich schon seit langem, das blockt Scripte, sobald man es ihm sagt. Adblock soll ähnlich gut funktionieren. NoScript dagegen, dieser Jens Jeremies der Trackingtackler, haut erstmal alles um und sagt dann, wenn man das nicht wollte: Oh, sorry. Passiert.
Es gibt, stelle ich anschließend fest, noch einen Haufen anderer Dienste, zum Beispiel privacyscore, das selbst Google Analytics nutzt und deswegen ungefähr so glaubhaft ist wie ein schlachthausbesitzender Tierschützer. Panopticlick weiß, wie groß mein Bildschirm ist, welche Plugins ich verwende und über welche Schriftarten ich verfüge. Na gut, denke ich, dann nehmt dies, Datenkraken! Danach Sharemenot und Trackmenot ausprobiert und den Unterschied nicht verstanden; kurz darauf, beim Versuch, dieses Manko zu beheben, knapp vor der Gehirnkernschmelze aufgehört; duschen gegangen.
Irgendwer muss mir helfen
Inzwischen ist es halb drei, kein Nutzer, der ein Interesse daran hat, seinen Job zu behalten, wird sich so lange mit Antitracking-Methoden aufhalten. Irgendwer muss mir helfen. Ich schreibe einige mir bekannte Programmierer an, ob sie Übersichtsseiten kennen, Blogs, die das evaluieren, irgendeine Brotkrumenspur durch diesen verdammten Märchenwald kennen. Aufgeschlüsselt nach Browser, verständlich geschrieben, mit einer klaren pro-contra-Kante. Ja, es suchen einen Zentralisierungsfantasien heim, wenn man sich mit Selbstermächtigung im Internet beschäftigt.
Der erste antwortet recht schnell, er ist im Urlaub: Du kannst Fragen stellen, sagt er, nimm halt Ghostery, NoScript ist dir eh zu kompliziert. Klassische Programmiererantwort, denke ich, im Grunde sind das die Juristen unserer Zeit: Man stellt ihnen eine Frage, und sie verstehen nicht, dass man nicht verstehst, was sie schon verstanden haben. Dann macht man ihnen genau das verständlich, sie erklären es einem, und nach einer Stunde hat man es auch tatsächlich verstanden – außer man kommt auf die Idee, noch einen Programmierer zu fragen, dann gilt der Satz: Zwei Programmierer, drei Lösungen. Mr. Lessing, can you hear me: Code is no poetry at all, code ist law. Und das Internet ist ein Schloß.
Wer mir das vielleicht erklären könnte, wäre der Bundesbeauftragte für Datenschutz. Wer, wenn nicht er, müsste einem da weiterhelfen können? Ich rufe also da an, in Bonn, und schildere mein Problem: Ich bräuchte entweder eine differenzierte Aufstellung von Antitracking-Werkzeugen, einen Experten, der sich damit schonmal beschäftigt hat oder mindestens jemanden, der jemanden weiß, der etwas Nennenswertes zu dem Thema erzählen könnte. Der Mann am anderen Ende der Leitung stutzt, dann sagt er: „Sie sind hier aber beim Datenschutz, das wissen Sie doch schon, ne?“ Ich frage, ob sich der Datenschutz nicht mit sowas beschäftigt; er gibt mir eine Durchwahl und antwotet: „Ich leite Sie dann mal weiter.“ Es ist besetzt; als nicht mehr besetzt ist, geht keiner mehr ran. Am nächsten Morgen wird mir die Pressesprecherin empfehlen, es mit den Datenschutzbeauftragten in NRW und Schleswig-Holstein zu versuchen – die Zentralisierungsfantasien kippen ins Postkommunistische.
Nimm halt Ghostery
Zwischendurch trudeln weitere Mails bekannter und befreundeter Programmierer und Auskenner ein, alle sagen sie den einen Satz: Nimm halt Ghostery, stell Dich nicht so an. Es ist siebzehn Uhr. Gut, na dann, nehm ich halt Ghostery, inzwischen seh ich ja auch so aus.
Als ich den Artikel abschicken will, ruft mich ein Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten Schleswig-Holstein an; ja, sagt er, Ghostery sei der wahrscheinlich brauchbarste Dienst, verhindere aber kein Flash-Tracking, leider. Das könne man aber mit //addons.mozilla.org/en-US/firefox/addon/betterprivacy/:betterprivacy beheben. Also sei die Kombination aus Ghostery und betterprivacy ideal? Ja, das sei empfehlenswert. Ich warte auf den Haken, und siehe da: Das heißt, so lange an betterprivacy weitergearbeitet würde, die Entwicklung könne durchaus zwischendrin mal eingestellt werden. Möglicherweise.
Schön, denke ich, immerhin. Kann ich den nächsten Artikel direkt für in sechs Monaten anfragen.
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