Anti-Terrorgesetz in Neuseeland: Pseudokriegsspiele mit Moko-Tattoo
Mit dem "Gesetz zur Unterdrückung des Terrorismus" gehen neuseeländische Behörden gegen Friedensaktivisten und radikale Maori vor.
PARIHAKA taz | Die Morgensonne saugt den Tau aus dem satten Grün der Wiesen um Parihaka. Dampf steigt in den blauen Himmel, nach einer sternenklaren, kalten Nacht. Am Horizont thront der Vulkan Taranaki, schneebedeckt. Der Berg ist gleichzeitig atemberaubend schön und bedrohlich. Wie andere Vulkane auf dem geologisch unstabilen Neuseeland schläft er nur. Niemand weiß, ob und wann er aufwachen wird.
Vor dem "Marae" - dem Gemeinschaftshaus - des kleinen Dorfs versammeln sich die Gäste. Der weinerliche Gesang einer Maori-Frau ist für sie die Einladung, einzutreten. An den Wänden hängen dutzende von Bildern längst verstorbener Vorfahren. Darunter warten die Bewohner von Parihaka, bereit zum traditionellen "Hongi": Jeder Gast gibt jedem Gastgeber die Hand. Gleichzeitig drücken die beiden Nase und Stirn an einander.
Man teilt den Atem - die Kraft des Lebens, man schenkt sich Vertrauen. Einmal im Monat treffen sich Bewohner und Gäste der Umgebung im Maori-Dorf für eine tagelange Besprechung. "Jedes Thema ist erlaubt", sagt Vorsitzender Ruakere Hond. Kommunaldebatten sind eine uralte Tradition der ersten Bewohner von Aotearoa, wie die Maori Neuseeland nennen. Am Morgen wird ausschließlich Maori gesprochen, am Nachmittag ist Englisch erlaubt. "So wollen wir das Überleben unserer Sprache und Kultur garantieren", meint Hond.
Zwischen den größtenteils indigenen Gastgebern steht der Schweizer Urs Signer. Blond, großgewachsen, seinen kleinen Sohn Piriniki auf dem Arm, begrüßt er die Besucher in fließendem Maori. Der Basler lebt in Parihaka mit seiner Partnerin, einer Maori.
Nationale Sicherheit
Wenn es nach der neuseeländischen Polizei gehen würde, säße Signer hinter Gittern. Für sie ist er ein Terrorist. Der Student, Musiker und Friedensaktivist ist einer von 17 Personen, die am 15. Oktober 2007 nach einer Razzia im Maori-Dorf Ruatoki im Nordosten der neuseeländischen Nordinsel verhaftet worden waren. Eine Polizeieliteeinheit riegelte das Gebiet hermetisch ab, durchsuchte Häuser, hielt Bewohner unter Todesdrohung fest. Die Aktion sei der Höhepunkt einer langen verdeckten Überwachung, so die Polizei damals euphorisch.
Die Sicherheit der Nation stehe auf dem Spiel: Eine Gruppe von Nationalisten habe eine Kampfausbildung gehabt und geplant, die Regierung mit Waffengewalt zu stürzen, im "Stil der Irisch-Republikanischen Armee IRA", so eine Stimme damals. Eine schwere Beschuldigung - im Fall einer Verurteilung drohte lebenslange Haft. Denn Polizei und Staatsanwaltschaft hatten zum ersten mal das "Gesetz zur Unterdrückung des Terrorismus" als Rechtsgrundlage für den Einsatz angewendet. Es war die "hysterische" Reaktion Neuseelands auf die Terrorattentate in den USA am 11. September 2001, sagen Kritiker.
Meldungen von "Terrorcamps" im Hinterland der sonst für Schaf- und Rinderzucht bekannten Nation gingen um die Welt. Doch nur wenige Tage nach dem Einsatz weigerte sich der Staatsanwalt, die Verhafteten unter dem Terrorgesetz anzuklagen. Vier Gewehre und 250 Schuss Munition waren sichergestellt worden - es blieb bei einem Verstoß gegen das Waffengesetz; und für fünf Beschuldigte die Zugehörigkeit zu einer "kriminellen Vereinigung". Seither warten die Angeklagten auf den Prozess.
Jetzt wurde der für Ende Mai angesetzte Termin auf Februar 2012 verschoben - jenseits des Scheinwerferlichts des Rugby-Weltcups im September und der Wahlen im November. "Eine Zermürbungsprobe", sagt Urs Signer: "Es ist eine Belastung für uns alle. Für unsere Familien, für unsere Freunde. Vor allem, weil niemand von uns sich irgendeiner Schuld bewusst ist." Wie alle Angeklagten will Signer auf Anraten seines Anwalts vor der Verhandlung nicht sagen, wie er involviert ist, was die Gruppe getan hat.
Doch Quellen berichteten schon damals, es habe sich mehr um "amateurhafte" Pseudokriegsspiele gehandelt als um eine Vorbereitung zum Umsturz. Für die Akademikerin Rawinia Higgins, die in Wellington Maori-Kultur unterrichtet, ist jedenfalls klar: "Der Vorwurf des Terrorismus war lächerlich." Dass Waffen gefunden wurden, erstaunt sie überhaupt nicht: "In diesen abgelegenen Gebieten hat jeder ein Gewehr. Jeder ist Jäger."
Mehr Rechte
Ganz harmlos also? Keineswegs. Das vorwiegend von Maori bewohnte Dorf Ruotaki ist einer von mehreren Brennpunkten des Maori-Nationalismus. Auch verhaftet wurde damals Tame Iti, ein notorischer, oft provozierender 58-jähriger Maori-Nationalist mit traditionellem "Moko", einer Volltätowierung im Gesicht. Er ist Teil einer Bewegung, die sich an der oftmals gewaltsamen Kolonialisierung Neuseelands durch Großbritannien Anfang des 19. Jahrhunderts orientiert - und am Kampf der traditionell wehrhaften, kriegerischen Maori gegen ihre Besatzer. Je nach Grad ihrer Militanz streben die Nationalisten mehr Rechte für Maori an, fordern ein unabhängiges "Homeland" oder gar den Rausschmiss aller "Pakeha", der vorwiegend britisch-stämmigen, weißen Neuseeländer.
14,6 Prozent der 4,3 Millionen Neuseeländer bezeichnen sich als Maori. Die Militanz Einzelner täuscht darüber hinweg, dass kaum ein Land der Welt in relativ kurzer Zeit so viel erreicht hat in der Zusammenführung der Ethnien wie Neuseeland. Noch in den Siebziger Jahren schämten sich viele Urbewohner ihrer Herkunft - ihre Kultur wurde beinahe absorbiert von jener der "Pakeha". Maori standen auf der untersten Stufe der Gesellschaft, hatten kaum politischen Einfluss und litten unter schweren sozialen Problemen. Zwar sind vor allem in den Großstädten auch heute noch viele unterprivilegiert, was Beschäftigung, Ausbildung und Gesundheit angeht. Doch Maori sind auch prominent im Parlament vertreten und genießen eine wachsende Präsenz in der Wirtschaft.
Neuseeland hat seiner Vergangenheit in die Augen geschaut und versucht - mit je nach Regierung wechselndem Grad des politischen Willens -, früheres Unrecht wieder gutzumachen. Im Gegensatz zu anderen Ländern, die von europäischen Kolonialmächten besiedelt worden waren, hatte Neuseeland seine Urbewohner schon 1840 im Vertrag von Waitangi anerkannt, 70 Jahre, nachdem Captain James Cook Neuseeland für Großbritannien beansprucht hatte.
Doch seit der Unterzeichnung dieses Dokuments, mit dem 500 Maori-Häuptlinge ihre Souveränität an London abtraten, klagten die Ureinwohner, die Regierung habe sich nicht an die darin festgelegten Abmachungen gehalten. Obwohl der Vertrag den Maori den Besitz ihrer natürlichen Ressourcen garantieren sollte und der Staat verpflichtet war, dieses Recht zu schützen, kam es regelmäßig zu Landenteignungen durch weiße Siedler und Soldaten.
Waitangi-Tribunal
1975 begann die damalige Labour-Regierung die Unzufriedenheit der Maori ernstzunehmen. Das Waitangi-Tribunal wurde gegründet, das sich die Forderungen der "Iwi" anhörte, der Stämme. Versöhnungsverträge mit verschiedenen Stämmen folgten; Wiedergutmachungszahlungen und die Rückgabe von touristisch und landwirtschaftlich genutzten staatlichen Boden, Seen, Inseln. Während einige "Iwi" mit wachsender Frustration auf ihre Anerkennung und Kompensation warten, ist der Stamm Ngai Tahu auf der Südinsel ein herausragendes Beispiel für den Erfolg der Politik. Der "Iwi" wurde zu einem der größten Wirtschaftskonglomerate im Land: aktiv im Tourismus, Liegenschaftenbau, Einzelhandel, Export und der Fischerei.
"Maori, die früher zur Arbeitslosigkeit verdammt gewesen wären, sind heute beschäftigt, Jugendliche haben eine Ausbildung", so der Exvorsitzende Wally Stone. Begleitet wurde der Prozess der Versöhnung von einem Ausbau der Repräsentanz der Maori im Parlament. Maori haben eine garantierte Zahl an Sitzen. Die 2004 gegründete Maori-Partei ist heute ein wichtiger Teil der Regierung von Premierminister John Key.
Selbst regierungskritische Stimmen wie die Akademikerin Rawinia Higgins geben zu, dass der Status der Maori in der neuseeländischen Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft heute um einiges besser ist als die Situation anderer indigener Völker. "Vor allem, was die Förderung der Sprache angeht, sieht man uns sogar als Beispiel." In vielen Schulen lernen auch "Pakeha"-Kinder Maori.
Die Abendsonne taucht den Taranaki in ein gleißendes Licht. Einmal mehr stand an diesem Tag der Prozess und die Angst vor einer Verurteilung im Vordergrund der Diskussionen im "Marae", auch wenn die Angeklagten mit milden Strafen rechnen können. "Das Antiterrorgesetz hat nur einen Zweck: legitimen politischen Widerstand zu verhindern, vor allem den von Maori", sagt Urs Signer.
Die Akademikerin Higgins stimmt zu: "Die Regierung hat schon immer versucht, unseren Wunsch nach mehr Unabhängigkeit zu unterdrücken". Einige Maori-Aktivisten sehen allerdings längst nicht mehr die Regierung als wichtigsten Opponenten, sondern Teile der Privatwirtschaft. In vielen Teilen des Landes opponieren Maori gegen die Öl- und Gasindustrie, die in traditionellen Jagd- und Fischereigebieten Bohrtürme aufstellen wollen. Die Urbesitzer fürchten die Zerstörung einer Landschaft, für die sie sich kulturell und moralisch verantwortlich fühlen. Meist haben sie dank der Landrückgaben ein Mitspracherecht.
Nicht aber in Taranaki, wo der Prozess der Versöhnung stockt. Hier, im Schatten des Vulkans, verloren die Ureinwohner im 19. Jahrhundert in blutigen Kämpfen mit den britischen Truppen ihr Land. Der Boden gehört heute weißen Landwirten - Nachkommen jener Soldaten, die einst ihre Vorväter abgeschlachtet hatten.
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