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Anti-Sprachfloskel-Maßnahme

■ Malersaal: Premiere von Peter Handkes „Kaspar“, inszeniert von Jossi Wieler

Diese Blablas sind von der lieben Intelligenzler-Sorte. Sie reden eher leise und ziehen sich sehr schnell in sich selbst zurück, sind aber publikumssüchtig. Gegen den Sprachverlust im Theater und dem Rest der Welt setzt Jossi Wieler im Schauspielhaus Peter Handkes Kaspar, mit fünf Intellektuellen als Kaspar Hauser, Symbol für Anwendung von Sprache als Gewaltmittel.

Der intellektuelle Elfenbeinturm fällt im Malersaal neonweiß, beinahe dreidimensional und außerordentlich schräg aus. Aus dem Munde der Blablas steigen keine gewöhnlichen Dialoge, sondern Sprechblasen wie Luftballons auf, nach deren Zerplatzen dünne Luft freigesetzt wird. Sätze, die im Raum herumhängen, ein bißchen hängen bleiben, schließlich abgehängt werden, weggepackt, weg! Gedanken kräuseln sich, deren lose Enden sich die Blablas um den Hals schlingen, bis sie selbst zu Boden stürzen und die Rampe herunterkullern.

Die erste Hälfte des Stückes kennzeichnet liebliche Verwirrtheit und kokette Hast in emsig gehüpfter Körpertanzsprache. Besonders einem (André Jung) steht der Schweiß auf der Stirn, er wankt im Bühnenkreis der Sprache hinterher. Oder spechtelt wie in einer WG vorsichtig um die Ecke, ob jetzt doch schon jemand gestaubsaugt hat. Nach der Austreibung der Alltagssprach-Floskeln herrscht ein Trümmerfeld. „Und scheint die Sonne noch so schön, am Ende muß sie untergehen“ (Handke).

Jedoch keine Sprachlosigkeit – denn im zweiten Teil des Stücks klärt sich die Selbstbezogenheit der Intelligenzler schockartig. Einer der ihren ist hingekracht, quer über die Bühne, platt auf den Bauch. Plötzlich zeigt sich der Fußboden gläsern und durchsichtig, viele nackte Arme kratzen von unten an der Trennwand. Die Intelligenzler starren gebannt hinab. Eine Frau (Sabine Wegner) bemüht sich um die Anteilnahme der anderen. Umsonst, Blablas sind so leer für andere, daß man Bauchweh kriegt.

Doch die damit verbundene Klärung des Sprachausdrucks hält nicht lange an. Die Blablas sehen gegen Ende des Stückes wieder recht zufrieden aus. Wie sie zu fünft in Pyramidenform zuerst in die Luft, dann durch den Fußboden auf das Sklavenvolk schauen, wirken sie eher wie gutlaunige Kasperles als wie isolierte Kaspars.

Der Regisseur Jossi Wieler setzte mit der einstündigen Vorstellung auf Reduktionismus. Eine hämische Abstoppung der Sprachfiguren oder eine Anti-Sprachfloskel- Maßnahme, inszeniert aus Angst vor Ansteckung des Publikums mit Sprachunlust, Sprachleere, sozialer Leere? Die befreundeten Blablas im Malersaal mußten sich beim Zuschauen und Zuhören für einmal Elfenbeinturm hinauf, hinunter und wieder hinauf ganz schön beeilen.

Kerstin Kellermann

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