Anti-Rushdie-Proteste: "Entschieden in der Sache"
Der Westen muss mit den Protesten leben lernen, nicht aber mit Drohungen, sagt der Schriftsteller Navid Kermani
taz: Herr Kermani, wie ernst muss man die Proteste gegen Salman Rushdie nehmen?
Navid Kermani: Wie ernst die Bedrohung für Rushdies Leben ist, kann ich nicht beurteilen. Dazu muss man sich die innenpolitische Lage in den genannten Ländern, vor allem in Pakistan, genau anschauen. Allerdings ist Rushdies Bewegungsfreiheit schon durch die Drohung an sich eingeschränkt. Und das ist nicht hinnehmbar.
Wie sollen liberale Muslime auf den Konflikt reagieren?
Unabhängig davon, wie man zu Rushdies Literatur steht, muss klar sein: Ohne die Freiheit der Kunst und der freien Meinungsäußerung gibt es keine freie Gesellschaft. Dieses Recht müssen alle Bürger verteidigen. Es ist klug, wenn auch muslimische Bürger dies tun. Wohlfeil ist es allerdings, das Gleiche von Intellektuellen im Iran zu verlangen. Denn in der religiösen Diktatur des Iran kann das physische Folgen haben. Dort bedarf es eines anderen Mutes als des Mutes, den ich ich hier aufbringe.
NAVID KERMANI, 39, Schriftsteller mit deutschem und iranischem Pass, lebt in Köln. Im Frühjahr erschien sein jüngster Roman, "Kurzmitteilung".
Kann man den aktuellen Protest des Iran mit der Fatwa gegen Rushdie in den späten 80ern vergleichen?
Nein. Dass die iranische Regierung den britischen Botschafter einbestellt hat, ist ein normales Mittel der Politik. Und wir im Westen müssen eben auch ertragen, dass die iranische Regierung protestiert. Das gehört zu der Liberalität, die wir für uns beanspruchen. Protest ist in Ordnung - solange er nicht mit Gewaltdrohungen verknüpft wird oder mit dem Versuch, westliche Demokratien massiv unter Druck zu setzen.
Gilt die Fatwa gegen Rushdie noch?
Eine Fatwa ist ein Gutachten, kein Urteil. Deshalb kann man sie nicht aufheben. Die iranische Regierung hat aber 1998 erklärt, dass sie sich nicht mehr an die Fatwa gegen Rushdie gebunden fühlt.
Der Vizepräsident des iranischen Parlaments hat gesagt, die britische Monarchie lebe in einer Traumwelt und glaube, dass ein Ritterschlag "irgendeine Bedeutung" habe. Offenbar nimmt aber niemand diesen Ritterschlag ernster als die Islamisten
Wenn jemand brüllt: "Du bist unwichtig, und ich rege mich überhaupt nicht auf", zeigt dies natürlich das Gegenteil. Am besten sollte man den Vizepräsidenten des iranischen Parlaments antworten: Prima, wenn die Queen und der Ritterschlag so bedeutungslos sind, warum dann die Aufregung?
Stehen die Rushdie-Proteste in einer Reihe mit dem Karikaturenstreit?
Ja, insofern es wieder um den Konflikt westliche Meinungsfreiheit versus Verletzung religiöser Gefühle von Muslimen geht. Man sollte aber aus dem Karikaturenstreit auch lernen, dass man Entschiedenheit in der Verteidigung der Meinungsfreiheit mit Gelassenheit im Ton verbinden sollte. Also: die Sache nicht größer machen, als sie ist. Die Proteste im Karikaturenstreit wurden ja erst mit der Debatte immer größer. Ein Karikaturenstreit Nummer 2 kann nicht im Interesse Salman Rushdies sein.
Wenn die Queen Rushdie zum Ritter schlägt, wird das Bild um die Welt gehen. Sollte sie darauf verzichten?
Nein, keinesfalls. Die Queen darf nicht den Eindruck erwecken, dass sie sich von Politikern in Karatschi oder Demonstranten in Pakistan diktieren lässt, was sie tut.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
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