Anti-Atom-Bewegung strahlt aus: Castor-Protest unterwegs ins Seebad
Gorleben kennt jeder. Andere Castor-Transporte provozieren kaum Demos. In Lubmin an der vorpommernschen Ostseeküste könnte sich das nun ändern.
Alles ist so schön hier in Lubmin. Die Kliffküsten, die malerischen Kiefernwälder, der feinkörnige Sand, die sanften Wellen. Lubmin ist immer eine Reise wert. Denn abseits von Lärm, Stress und Hektik, unberührt vom Massentourismus erwarten komfortable Hotels und gemütliche Pensionen ihre Gäste. Und ganz in der Nähe ein Atommüll-Zwischenlager, das noch immer kaum entdeckt ist. Lubmin. Wieso nur interessiert sich kaum jemand für die abgelegenste Atommüllhalde Deutschlands?
Wann immer hier ein Castor anrollte - Deutschland verschlief es. Als 2001 der bislang vorletzte Atommüll nach Lubmin transportiert wurde, passierte kaum etwas. Als 2007 der Reaktordruckbehälter aus dem Ex-DDR-Atomkraftwerk in Rheinsberg anrollte, demonstrierten gerade einmal 160 Menschen.
Doch nun könnte der Protest auch in Lubmin wachsen: Erstmals wird dort auch Strahlenschrott gelagert, der nicht aus der DDR stammt. Ende dieser Woche soll aus dem verschlafenen Rentnerdomizil in Mecklenburg-Vorpommern ein Ziel für politische Aktionsreisen im großen Stil werden. Atomkraftgegner wie Felix Leipold erwarten am Samstag um 13 Uhr mehrere tausend Menschen zu einer Demonstration in Greifswald - und in den folgenden Tagen Sitzblockaden und kreative Aktionen gegen den für den 15. und 16. Dezember avisierten Castor-Transport ins oberirdische Zwischenlager Lubmin.
Nach dem Großereignis im Wendland, wo vor einem Monat bis zu 50.000 Menschen gegen den Castor-Transport demonstriert haben, will die Protestgemeinde das Brachland entdecken. Denn ganz in der Nähe des Ostseebades schlummert eines der größten Atommülllager Deutschlands.
65 gefüllte Castor-Behälter sind dort derzeit geparkt, bis ein Endlager für sie gefunden ist. Und das kann dauern. Mit der Dezember-Lieferung aus dem französischen Cadarache werden vier weitere Castoren mit Kernbrennstäben aus bundesdeutschen Einrichtungen erwartet. Anfang nächsten Jahres werden in Lubmin fünf weitere Castoren aus dem Forschungszentrum Karlsruhe eintreffen. Darin befindet sich sogenannte Atomsuppe. Das ist eine radioaktive Lösung, die für Transport und Lagerung in Glaskügelchen umgewandelt wurde.
Dieser Text erscheint in der sonntaz vom 4./5. Dezember 2010, zusammen mit vielen Reportagen, Interviews und anderen guten Geschichten. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.
Der Termin: Der nächste Castortransport mit Atommüll soll ins norddeutsche Lubmin rollen. Für Samstag, den 11. Dezember, um 13 Uhr rufen daher Anti-Atom-Initiativen zu einer zentralen Demonstration in Greifswald auf. In den Folgetagen wollen sie mit Sitzblockaden und kreativen Aktionen gegen den Castortransport vorgehen, der von Atomkraftgegnern ab dem 15. Dezember erwartet wird.
Das Zwischenlager: Es befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen DDR-Atomkraftwerkes. In den Hallen werden derzeit 65 Castoren gelagert, 4 kommen im Dezember dazu, 5 voraussichtlich Anfang 2011. Nach Angaben des bundeseigenen Betreibers, der Energiewerke Nord, sollen dann keine Castoren mehr in das Lager kommen, 80 passen hinein.
Bernd Ebeling weiß, was Atomsuppe ist. Er ist einer der Protestpioniere von Lubmin. Der 44-jährige Wasserbauingenieur aus dem westdeutschen Uelzen war 2001 schon da. Und 2007 auch wieder. Damals kamen sie zu viert aus dem Wendland angereist. Heute schicken die AktivistInnen von dort einen ganzen Bus mit DemonstrantInnen auf die Reise. Sie unterstützen den Ostprotest mit Personal, mit Infrastruktur und Spenden. Aus dem Rest der Republik kommen weitere 15 Reisebusse.
Denn am Ende eines der bewegungsreichsten Protestjahre der deutschen Atomkraftgegnerschaft ist das eingetreten, was Aktivist Jochen Stay den "Heiligendamm-Effekt" nennt: Zwar sind die HauptprotagonistInnen der Anti-Atomkraft-Bewegung fix und fertig - doch die Proteste gehen auch ohne sie weiter. Nach der bundesweiten Großdemonstration in Berlin im September und den Mammutprotesten von Gorleben haben sich die Aktivitäten vieler lokaler Gruppen verselbständigt. In über 40 deutschen Städten gibt es inzwischen Montagsspaziergänge gegen Atomkraft. "Vor einem Vierteljahr hätte ich gesagt: Nach Lubmin kommen 200 Leute. Heute rechnen wir mit tausenden. Es ist eine Dynamik entstanden, die wir so nicht erwartet hätten", sagt Stay.
So ergibt sich in Lubmin - beflügelt von einer beispiellose Anti-Atom-Welle - nun erstmals die Möglichkeit, mit den Protesten gegen das dortige Zwischenlager auch bundesweit wahrgenommen zu werden. Felix Leipold, Pressesprecher der Initiative "Lubmin nix da", geht davon aus, dass in der kommenden Woche hunderte Atomkraftgegner bleiben, um die Gegend rund um Lubmin beim Castor-Transport mit Protest zu bevölkern.
Axel Vogt findet das nicht witzig. Der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde Lubmin hat harte Geschütze aufgefahren und will in Zukunft gegen jene vorgehen, die weiter behaupten, das Zwischenlager bei Lubmin gehöre zu Lubmin.
Erst im November beschloss seine Gemeindevertretung, "rechtliche Schritte gegen Medien und Personen des öffentlichen Interesses zu unternehmen, sofern nicht korrekt vom Zwischenlager Nord berichtet wird und auf die namentliche Verknüpfung mit dem Seebad Lubmin verzichtet wird". Früher hat seine Gemeinde ganz gut von dem hässlichen Koloss gelebt: Ehe Lubmin zum Synonym eines Zwischenlagers wurde, betrieb man auf dem gleichen Gelände eines der zwei einzigen Atomstandorte der DDR.
Damals war das ein Arbeitsplatzgarant und im Kalten Krieg ein Symbol des fortschrittlichen Kommunismus. Längst sind die Atomreaktoren stillgelegt, was bleibt, ist der DDR-Müll, ergänzt um die Atomsuppe. Neben den Schienenstrecken, Kliffküsten, Kiefernwäldern, dem feinkörnigen Sand. Und den sanften Wellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“