piwik no script img

Ansturm auf Festung EuropaGrenzposten überrannt

Dutzende afrikanische Flüchtlinge stürmen die Grenzzaunanlage zu Spaniens Exklave Melilla. Auch die Zahl der Flüchtlingsboote steigt. Europas Abschottung funktioniert nicht.

Willkommen in Europa: Die Grenze der Exklave Melilla. Bild: rtr

MADRID taz Die ruhige Nachtschicht an der spanisch-marokkanischen Grenze war abrupt zu Ende. Gestern früh um 4.25 Uhr stürmten rund 70 afrikanische Migranten den größten Grenzposten zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla. Sie überrannten sowohl die marokkanischen Grenzsoldaten als auch ihre spanischen Kollegen von der Guardia Civil. Mehrere Grenzbeamte wurden leicht verletzt. Rund 50 Immigranten gelangten nach Angaben der spanischen Behörden nach Melilla, bevor die Guardia Civil die Grenzabsperrung wieder schließen konnte.

Ein Sonderaufgebot aus Gemeinde- und Nationalpolizei sowie Guardia Civil machte am gestrigen Sonntag den ganzen Tag über Jagd auf die Flüchtlinge. Bis Redaktionsschluss seien so gut wie alle festgenommen worden, heißt es. Die meisten hätten sich unweit der Grenze unter Fahrzeugen und in Müllcontainern versteckt. Sie wurden auf eine Polizeiwache gebracht, wo versucht wurde, sie zu identifizieren. Die meisten machten jedoch keine Angaben zu ihrer Person und ihrem Herkunftsland. Daraufhin wurden sie in ein Auffanglager überstellt. Dort warten sie nun auf einen Abschiebebescheid - der allerdings nur bei denen ausgeführt werden kann, deren Identität zweifelsfrei feststeht.

Es war der erste schwere Grenzzwischenfall in Melilla seit Heiligabend 2006. Damals versuchten mehrere dutzend Flüchtlinge, den sechs Meter hohen Grenzzaun zwischen Marokko und Melilla zu überwinden. Sie scheiterten. 40 Flüchtlinge wurden festgenommen. Die Grenzanlage war erst kurz zuvor verstärkt worden, nachdem im Sommer und Herbst 2005 128-mal Flüchtlinge den einst nur drei Meter hohen Zaun gestürmt hatten. Mindestens 17 Immigranten kamen dabei ums Leben. Teils wurde auf sie scharf geschossen. Die Schüsse seien alle von marokkanischen Grenzsoldaten abgegeben worden, hieß es aus spanischen Quellen. Amnesty international verlangte immer wieder eine genaue Untersuchung - ohne Erfolg.

Mittlerweile ist die Grenzanlage überall sechs Meter hoch. Sie besteht aus einem Doppelzaun mit einem Fahrstreifen für die Grenzschützer in der Mitte. Außerdem wurde als weiteres Element ein Wirrwarr aus Stahlseilen aufgebaut, in dem sich Eindringlinge verfangen sollen.

Der Ansturm von Samstagnacht kam überraschend. Denn anders als 2005 halten sich mittlerweile keine großen Gruppen von Flüchtlingen mehr in den umliegenden marokkanischen Wäldern auf. Die dort errichteten Camps, in denen Migranten aus allen möglichen Ländern Afrikas zusammen hausten, wurden inzwischen von Marokko auf Drängen Spaniens geräumt. Stattdessen verstecken sich die Flüchtlinge, die es bis an die Grenze schaffen, einzeln oder in kleinen Gruppen in den umliegenden Dörfern und Städten.

Nicht nur Melilla wurde in den letzten Tagen wieder das Ziel von Flüchtlingen aus Afrika, die nach Europa wollen. Ebenfalls in der Nacht auf Sonntag gelangte ein mit 75 Menschen besetztes Boot an die südspanische Küste in der Provinz Granada. Unter den Flüchtlingen befanden sich fünf Minderjährige. In der vergangenen Woche erreichten außerdem 500 Schwarzafrikaner die Kanarischen Inseln im Atlantik. Die meisten von ihnen kamen in bis zu 17 Meter langen Fischerbooten mit Außenbordmotoren aus Mauretanien, da die Küste Senegals mittlerweile von europäischen und einheimischen Patrouillenschiffen systematisch überwacht wird.

Das gute Wetter dürfte das Geschäft der Flüchtlingsboote erleichtern. Außerdem begann vor wenigen Tagen die Fischfangsaison in Mauretanien. Damit herrscht reger Betrieb in den Häfen. Die Flüchtlinge nutzen dies, um unerkannt abzulegen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!