■ Kommentar: Anspruchsvolle Alte
In den Grundsatzreden von Sozialpolitikern hört man hin und wieder das Schlagwort der neuen „anspruchsvollen“ Generation alter Menschen. Sie wollen komfortabler untergebracht werden und auch im Alter noch ihren Lebenshunger stillen. Altenheime sind out, Dezentralisierung mit Hilfe ambulanter Pflege ist angesagt. Auch die Vorgabe, daß künftig nur noch pflegebedürftige Menschen aus ihren Wohnungen in Heime ziehen, ist gewiß zu begrüßen. Aber man sollte auch bei der Umsetzung „fortschrittlicher“ Gesetze nicht die Menschen aus dem Auge verlieren, für die sie gemacht werden.
Die Verhältnisse im Seefahrer-Altenheim sind in der Tat beengt, das Durchsetzen der seit langem gültigen Mindeststandards wie Zwölf-Quadratmeter-Zimmergröße, Naßzelle und Teeküche sind auch heute noch „sozialer Fortschritt“. Doch die „anspruchsvolle“ Generation nimmt es auch für sich in Anspruch, selbst zu bestimmen, was gut für sie ist, politisch für die eigenen Interessen aktiv zu werden und sich nicht auf dem Reißbrett herumschieben zu lassen – Komfort hin oder her.
Ein alter Mensch, der für seine Interessen sogar in den Hungerstreik tritt, geht ein noch größeres gesundheitliches Risiko ein als ein junger. Aber es ist seine eigene Entscheidung, und er ist mit seinem Anliegen ernstzunehmen. Entschlossener Protest alter Menschen sollte nicht runtergespielt, sondern ebenso ernst genommen werden wie die Umsetzung neuer Richtlinien, die dem Wohle dieser Menschen angeblich dienen sollen. Also: ein Runder Tisch müßte her, die gemeinsame Suche von Stiftung, Behörde, Bezirk und Betroffenen nach einer verträglichen Lösung für die BewohnerInnen. Kaija Kutter
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