Anschlagsversuch in Bonn: Big Brother kann da auch nicht helfen

Experten halten die Forderung nach mehr Überwachung nicht für sinnvoll. Ein „Zeugnis der Hilflosigkeit“ nennt sie der Forscher Nils Zurawski.

„Die Bilderflut überfordert“: Überwachungskamera am Kölner Hauptbahnhof. Bild: dpa

BERLIN taz | Ein Mann stellt eine mit zündfähigem Material gefüllte Tasche im Bonner Hauptbahnhof ab – prompt verfällt die Politik in altbekannte Forderungen. Führende Sicherheitsexperten halten das Drängen nach mehr Videoüberwachung – etwa durch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) – aber für nicht zielführend. Es sei seit Jahren bekannt, dass durch Big Brother in Bahnhöfen Gewalttaten nicht verhindert werden können.

„Die Forderung nach mehr Überwachung ist ein Zeugnis der Hilflosigkeit“, sagt Nils Zurawski, Soziologie-Professor an der Universität Hamburg, der dort ein Forschungsprojekt zur Videoüberwachung leitet. Politiker müssten Härte zeigen und kämen dabei immer wieder auf dieselbe alte Diskussion zurück. Dabei könne Videoüberwachung das Problem von Terror nicht lösen: „Terroristen lassen sich nicht abschrecken“, so Zurawski zur taz. „Da zählt allein der Wille.“ Das Argument, man könne mit Videoaufnahmen zumindest Anschläge besser aufklären, hält er für „zynisch“: „Wenn der Bahnhof in die Luft fliegt, dann hat man tolle Bilder davon. Das hilft den Opfern nichts.“

Laut Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, können zwar Täter, die eine Straftat planen, durch Kameras abgeschreckt werden. Das führe aber nicht dazu, dass die Kriminalität insgesamt sinke: „Straftaten verlagern sich dafür in weniger belebte Gegenden“, sagt Pfeiffer. Zur Prävention von Affekttaten wie spontanen Prügeleien nützten sie sowieso nicht.

Selbst zur Aufklärung von Verbrechen seien Videokameras nur bedingt hilfreich, so Zurawski – „es sei denn, die Bilder werden ständig gesichtet und ein Polizeibeamter ist sofort zur Stelle“. Doch allein am Hamburger Hauptbahnhof seien mehr als 200 Kameras montiert. Zehn Leute könnten jeden Bildschirm nur drei Sekunden pro Minute beobachten. „Das Personal ist mit der Bilderflut völlig überfordert“, sagt Zurawski.

Helfen also computergestützte Überwachungssysteme weiter? Diese können automatisch erkennen, wenn sich Menschen auffällig verhalten. Mithilfe von Bilderkennungsprogrammen und Daten aus sozialen Netzwerken können dann Fahndungsprofile erstellt werden. „Computergestützte Überwachungssysteme arbeiten unpräzise und stellen Menschen unter Generalverdacht“, warnt Zurawski. Da die Kameras einen bescheidenen Einfluss auf die Verbrechensaufklärung hätten, könne diesen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte niemand rechtfertigen.

Die Erfahrungen aus dem wahrscheinlich bestüberwachten europäischen Land geben dem Wissenschaftler recht. Knapp 4,5 Millionen Kameras sind in den Straßen, Bahnhöfen und Einkaufszentren Großbritanniens montiert, eine Kamera kommt auf 13 Bürger. Doch nur 3 Prozent aller Diebstähle auf offener Straße würden per Video aufgeklärt, wie vor zwei Jahren aus einem internen Bericht Scotland Yards hervorging. Selbst Mike Neville, der Experte für Videoüberwachung bei Scotland Yard, sprach von einem „völligen Fiasko“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.