Anschlag auf Kölns OB-Kandidatin Reker: War Fremdenhass das Motiv?
In Köln wurde Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker von einem mutmaßlich rechten Attentäter schwer verletzt. Die Wahl findet dennoch statt.
Die parteilose Reker wurde nach offiziellen Angaben im Halsbereich schwer verletzt und musste im Krankenhaus operiert werden. „Aktuell ist sie stabil, aber nicht über den Berg“, sagte der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers am Nachmittag.
Die Wahl findet trotz des Attentats wie geplant am Sonntag statt. Die Wahlleiterin Gabriele Klug appellierte an die Kölner, nach dem Angriff auf Reker auf jeden Fall wählen zu gehen. Alle Parteien stoppten aber den Wahlkampf.
Das Attentat löste Sorge über zunehmende Gewalt in der Diskussion über die Aufnahme von Asylbewerbern in Deutschland aus. „Dieser feige Anschlag in Köln ist ein weiterer Beleg für die zunehmende Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte“, teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit. Er sei schon „seit langem besorgt über die hasserfüllte Sprache und gewalttätigen Aktionen“. Flüchtlinge, Helfer, Ehrenamtliche und Politiker würden angegriffen.
Am Samstagabend setzten die Spitzen der NRW-Politik ein Zeichen gegen Gewalt. Vor dem Kölner Historischen Rathaus begannen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), NRW-CDU-Chef Armin Laschet, der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner sowie Grünen-Politiker eine Menschenkette zu bilden. „Wir stehen hier zusammen als Demokraten, um ein Zeichen zu setzen gegen diese verabscheuungswürdige Tat“, sagte Kraft.
Dramatische Szenen
Am Tatort kam es am Morgen zu dramatischen Szenen. Ein Beamter der Bundespolizei, der in seiner Freizeit auf dem Markt war, griff laut Polizei als erster ein und überwältigte den mit zwei Messern bewaffneten Attentäter. Neben Reker wurden auch eine Kölner CDU-Politikerin, eine FDP-Ratsfrau und zwei Bürger verletzt. Reker und eine weitere schwer verletzte Frau wurden in ein Krankenhaus gebracht.
Der festgenommene Mann mit deutscher Staatsangehörigkeit hatte nach Angaben der Ermittler zwei Messer bei sich und griff Reker gezielt an. Der Angreifer habe für die Tat fremdenfeindliche Motive angegeben, sagte Norbert Wagner, Leiter Direktion Kriminalität. Nach der Festnahme habe er allgemeine Angaben zur Flüchtlingspolitik gemacht, den Namen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dabei nicht erwähnt. Die Polizei teilte am Abend, dass der Angreifer weiter in ihrem Gewahrsam sei. Am Sonntag werde der Staatsanwalt weitere Entscheidungen treffen.
Der Mann handelte nach ersten Erkenntnissen allein. Er werde auch auf seinen psychische Gesundheit untersucht. Nach eigenen Angaben war der Tatverdächtige seit längeren Jahren arbeitslos, von Beruf Maler und Lackierer sowie Hartz IV-Empfänger. Zuvor sei der in Köln lebende Mann polizeilich nicht ausgefallen.
Der ermittelnde Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn sagte: „Zum jetzigen Zeitpunkt deuten die Zeugenaussagen (...) darauf hin, dass in der Tat fremdenfeindliche Motive des Täters ausschlaggebend waren.“
War der Attentäter bei einer Neonazi-Gruppe aktiv?
Der mutmaßliche Messerstecher soll nach einem unbestätigten Medienbericht in den 1990er Jahren sogar bei einer Neonazi-Gruppe aktiv gewesen sein. Der aus Bonn stammende Mann soll bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeitspartei (FAP) mitgemacht haben, berichtet Spiegel Online ohne direkten Bezug auf eine Quelle. Die rechtsextreme Gruppe war 1995 vom Bundesinnenministerium verboten worden. Zuletzt sei der Mann mit ausländerfeindlichen Kommentaren im Internet aufgefallen, berichtete Spiegel Online unter Berufung auf Behörden.
Kanzlerin Merkel verurteilte die Tat und erkundigte sich in einem Telefonat bei NRW-CDU-Chef Armin Laschet nach dem Gesundheitszustand Rekers, wie eine Regierungssprecherin mitteilte. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki erklärte: „Es ist erschütternd, dass eine solch sinnlose Gewalttat den Wahlkampf überschattet.“
Die parteilose Reker wird von CDU, Grünen und FDP unterstützt und liegt laut einer jüngsten Umfrage vor ihrem SPD-Konkurrenten Jochen Ott. Eigentlich sollte schon Mitte September in der viertgrößten deutschen Stadt gewählt werden. Die Bezirksregierung hatte aber die Stimmzettel beanstandet, das Votum wurde um fünf Wochen verschoben.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 20.18 Uhr.
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